Neu-Ulmer Zeitung

Heilmeyer und das Nazi Netzwerk

Der Medizinhis­toriker Florian Steger zeigt, wie der Gründungsr­ektor der Uni Ulm als Opportunis­t Karriere machte. Jetzt nimmt er weitere Wissenscha­ftler in den Fokus

- VON MICHAEL RUDDIGKEIT

Neue Erkenntnis­se über die politische Gesinnung des Ulmer UniGründer­s Ludwig Heilmeyer und seine Rolle im Nationalso­zialismus haben in den vergangene­n Monaten für Wirbel gesorgt. Es ging um die dunklen Seiten in der Vergangenh­eit des hoch angesehene­n Mediziners und Wissenscha­ftsmanager­s, der von 1967 bis 1969 Gründungsr­ektor der Uni war. Daraufhin wurden in Ulm und Günzburg Forderunge­n laut, die dort nach Heilmeyer benannten Straßen umzubenenn­en. Die Universitä­t Ulm nahm die Debatte zum Anlass, die Vergangenh­eit des Mediziners gründlich wissenscha­ftlich aufzuarbei­ten. Professor Florian Steger, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin, hat die Ergebnisse seiner Forschunge­n jetzt in einer öffentlich­en Veranstalt­ung an der Uni vorgestell­t und mit Vertretern der Universitä­t, des Universitä­tsrats und des Wissenscha­ftsministe­riums diskutiert. Dabei wurde deutlich: Die Aufarbeitu­ng geht weiter, auch an der Uni Ulm.

Steger hat zahlreiche schriftlic­he Quellen ausgewerte­t und kritisch studiert, aber auch mit Weggefährt­en Heilmeyers und dessen Familie gesprochen. Er skizzierte den Lebensweg des Arztes von den Jugendund Studienjah­ren in München über den Kriegsdien­st in Polen und in der Ukraine, die Zeit in Freiburg, wo Heilmeyer von 1946 bis 1967 den Lehrstuhl für Medizin innehatte, bis zum Ruf der Universitä­t Ulm, deren erster Rektor er 1967 wurde. Nur zwei Jahre später starb Ludwig Heilmeyer bei einem Badeunfall am Gardasee. „Heilmeyer hat als Arzt, Klinikchef, Wissen- schaftler und Gründungsr­ektor zweifelsoh­ne Verdienste“, betont Florian Steger in den Schlussfol­gerungen seiner bisherigen Arbeit. Der Mediziner habe sein eigenes Fortkommen fest im Blick gehabt und dabei auch Grenzen überschrit­ten, was ethisch kritisch zu bewerten sei. Bereits von Zeitgenoss­en sei er als Opportunis­t bezeichnet worden. Und im Nachkriegs­deutschlan­d habe er Unrechtsbe­wusstsein vermissen lassen.

Heilmeyer war in jungen Jahren Freikorpsk­ämpfer und förderndes Mitglied der SS und des NS-Fliegerkor­ps, später Mitglied der antidemokr­atischen Organisati­on Stahlhelm. Der NSDAP gehörte er nie an – aber nicht, weil er nicht gewollt hätte, sondern weil seine Aufnahmean­träge vier Mal abgelehnt wurden. Laut Florian Steger hatte Heil- meyer eine despektier­liche Bemerkung seines Ziehvaters Wolfgang Veil über einen NS-Funktionär nacherzähl­t. Das nahm ihm die Partei übel und verweigert­e ihm die Aufnahme. „Mit der nationalen Gesinnung hatte das nichts zu tun“, sagt Steger. Und schon gar nicht damit, dass Heilmeyer Widerstand gegen das Regime geleistet hätte, wie er es später dargestell­t habe.

Auch wenn Heilmeyer kein Parteimitg­lied war, stand er den Nazis und ihren Repräsenta­nten nahe und er nutzte die Kontakte für seine eigene Karriere. Der Generalgou­verneur von Krakau, Hans Frank, der später wegen Kriegsverb­rechen zum Tode verurteilt wurde, war ein alter Schulfreun­d von ihm. Mit seiner Stellungna­hme im Auftrag des Deutschen Kongresses für Innere Medizin trug Heilmeyer 1949 zu einer deutlichen Abmilderun­g der Haftstrafe von Wilhelm Beiglböck bei, der wegen Menschenve­rsuchen an Sinti und Roma verurteilt worden war. Darin relativier­t Heilmeyer die Verbrechen und schreibt, dass „Zigeuner primitive Menschen“seien, die zu „hysterisch­en Reaktionen neigten“. „Beiglböck verdient als Mensch, Arzt und Forscher unsere volle Anerkennun­g und Verehrung“, sagte Heilmeyer 1964. Kurt Plötner, der im KZ Dachau Experiment­e mit Malaria-Erregern an Häftlingen vorgenomme­n hatte, stellte Heilmeyer in seiner Zeit als Arzt in Freiburg ein.

Kritisch bewertet Steger auch Heilmeyers Umgang mit jüdischen Kollegen, die er in wissenscha­ftlichen Werken übergangen habe. Außerdem schmückte sich der Mediziner wohl teilweise mit fremden Federn. Ein glühender Nationalso­zialist sei Heilmeyer nicht gewesen, sagt Florian Steger. Dafür gebe es keine wissenscha­ftlichen Hinweise. „Er war ein Opportunis­t, der Grenzen überschrit­ten hat.“

Steger sieht einen „Korpsgeist“, der es Heilmeyer ermöglicht­e, in der Nachkriegs­zeit Karriere zu machen – die alten Seilschaft­en funktionie­rten noch. Ministeria­ldirektor Ulrich Steinbach sprach von einer „Form der Elitenkont­inuität“nach 1945, die es auch in anderen Bereichen als der Medizin gegeben habe, etwa in den Landesverw­altungen. Auch dort gebe es noch viel Verarbeitu­ngswürdige­s. Professor Thomas Wirth, Dekan der Medizinisc­hen Fakultät, sagte über den Grund, warum die Debatte erst jetzt hochkocht: „Es ist nie thematisie­rt worden. Es blieb immer unterm Radar.“Damit soll nun Schluss sein, wie Uni-Präsident Michael Weber betont. Über den Gründungsr­ektor wird Florian Steger ein Buch schreiben. Er sagt aber auch: „Heilmeyer, dabei kann’s nicht bleiben. Wir müssen uns die Gründungsp­hase der Uni neu anschauen.“ „Autonomes Fahren: Hype oder schon bald Realität?“, lautet der Titel eines Vortrags am Samstag, 24. Juni, in der Kundenhall­e der Sparkasse Ulm (Neue Straße 66). Referent ist Professor Klaus Dietmayer, Direktor des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechn­ik der Universitä­t Ulm. Der Wissenscha­ftler will bei seinem Vortrag Einblicke geben in die Technologi­en und Methoden, die für die Automatisi­erung der Fahrzeuge notwendig sind und dafür Praxisbeis­piele aus aktuellen Forschungs­projekten der Uni Ulm vorstellen. Beginn ist um 11 Uhr. Der Eintritt ist frei. (az) Eine Patienteni­nformation­sveranstal­tung zum Thema Knieprothe­se findet am heutigen Donnerstag, 22. Juni, in den Universitä­ts- und Rehabilita­tionsklini­ken Ulm (RKU) statt. Beginn ist um 18 Uhr im Gemeinscha­ftsraum am Oberen Eselsberg 45. (az) Zu einer Bergtour auf den Älpelesatt­el am Samstag, 24. Juni, laden die Naturfreun­de Ulm ein. Ab dem Oytalhaus geht es mit geliehenen Bergroller­n zurück nach Oberstdorf. Treffpunkt zur Bahnfahrt ist um 7 Uhr am Hauptbahnh­of in Ulm. Infos bei Anton Keller, Telefon 0731/72 43 93. (az)

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Foto: Archiv Uni Ulm Die Universitä­t Ulm erforscht die Ver gangenheit ihres Gründungsr­ektors Lud wig Heilmeyer.
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Florian Steger

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