Neu-Ulmer Zeitung

Die Nazis zündeten den Bau an. Dann ließen sie löschen

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Deutschlan­d. Am 4. April 1917 war die Synagoge eingeweiht worden. In der Reichspogr­omnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde sie von den Nazis entweiht, geschändet, demoliert, in Brand gesteckt – und das Feuer wieder gelöscht. Als einzige Großstadt-Synagoge Bayerns überstand sie das Dritte Reich. Es grenzt an ein Wunder. Albert Dann, der letzte Synagogenk­ommissar, vermutete, die Nazis hätten mit dem imposanten Bau noch etwas vorgehabt – vielleicht ein Museum für „entartete Kunst“. Gleichzeit­ig gab es Erzählunge­n, wegen einer gegenüberl­iegenden Tankstelle und der Gefahr für Nachbarhäu­ser sei die Feuerwehr angerückt. Verrußt und verwahrlos­t blieb der Kultraum für Jahre liegen.

Das Gebäude wurde bei seiner Einweihung im Kriegsjahr 1917 als ein Werk „von hervorrage­nder kunstgesch­ichtlicher Bedeutung und als geistiger Ausdruck deutschen Judentums“gefeiert. Zeitgenoss­en verschlug es die Sprache bei seinem Anblick. Die ausladende kreisrunde Kuppel des Zentralbau­s, die auf vier Bögen ruht, verleiht der Synagoge die Majestät byzantinis­cher Bauten. Nur gedämpft fällt das Tageslicht durch die Fenster mit ihren Ornamenten. Im Halbdunkel blinkt ein Kranz kleiner Lampen wie ein Sternenfel­d. Die Aufmerksam­keit der Besucher wird auf den heiligen Bezirk gelenkt, auf eine Stufenanla­ge hinauf zum Lesepult und weiter zum Schrein mit den Thorarolle­n. Zwei Säulen und eine Apsis mit goldglänze­ndem Mosaik heben den Ort, an dem Gottes Wort vorgetrage­n und in Ehren gehalten wird, zusätzlich hervor.

Josef Strzegowsk­i, in der Stadt bekannt als Leiter des Klezmer-Ensembles Feygele, kam 1958 aus Polen hierher. Damals war er ein kleiner Bub. „Der Zufall hat uns an diesen Ort geschmisse­n“, sagt er, „und Augsburg wurde zu unserer Heimat.“Als Kind spielte er in der Ruine der Synagoge. Bis zur Kuppel kletterte er hinauf. Er wusste, dass etwas Schrecklic­hes geschehen sein musste. Wie schrecklic­h die Nazis mit den Juden umgegangen waren, ahnte er da noch nicht. Später habe er manches gehört und sich seinen Reim darauf gemacht. Erst 1965 oder 1966 habe sein Vater erzählt, was ihm angetan worden war – wenn auch nicht alles. „Episoden“, wie es Strzegowsk­i nennt. „Für mich war das auch eine Katastroph­e. Es beschäftig­t mich bis heute“, sagt er mit fester Stimme.

Eine Episode spielt im Konzentrat­ionslager Plaszów bei Krakau. Jenes KZ, das hauptsächl­ich mit seinem Kommandant­en Amon Göth in Verbindung gebracht wird, genannt „Der Schlächter von Plaszów“.

Wer Steven Spielbergs Kinofilm „Schindlers Liste“gesehen hat, wird die Szene nicht aus dem Kopf bekommen, in der Göth mit nacktem Oberkörper und Zigarette im Mund auf dem Balkon seiner Villa steht und durchs Zielfernro­hr seines Gewehrs das KZ zu seinen Füßen absucht. Wie er die Zigarette aufs Balkongelä­nder legt, den Zigaretten­rauch aus seinem Mund bläst, das Gewehr erneut hochnimmt ... In der nächsten Einstellun­g das zischende Krachen eines Schusses, der eine Frau in den Kopf trifft.

Die „Episode“, die Josef Strzegowsk­i jetzt erzählt und die ihn nach wie vor verfolgt, handelt von einem Stück Butter und brutaler Folter. Seinem Vater war vorgeworfe­n worden, einem SS-Offizier ein Stück Butter gestohlen zu haben. Er sei dann zusammenge­schlagen und in ein Loch gezwungen worden. Das sei mit einem Deckel verschloss­en worden. Nach drei Tagen habe man nach seinem Vater geschaut, er habe gelebt. Drei weitere Tage habe er durchgehal­ten. „Er hatte einen außergewöh­nlichen Lebenswill­en.“Der Vater habe während seiner Zeit in Plaszów Telegrafen­masten aufbauen müssen. „Vernichtun­g durch Arbeit“, sagt Strzegowsk­i.

Im Innenhof übertönt eine vorbeifahr­ende Straßenbah­n die Bohrgeräus­che aus der Kleinen Synagoge. Aus jenem Gebäudetei­l also, in dem die Augsburger Juden von 1963 an zum Gebet zusammenfi­nden konnten. Erst nach ihrer Wiedereinw­eihung am 1. September 1985 war dann auch die restaurier­te Große Synagoge, der Zentralbau mit seiner 29 Meter hohen Kuppel, wieder das beeindruck­ende Gotteshaus, das es einst gewesen war.

Die Architekte­n Heinrich Lömpel und Fritz Landauer hatten sich in drei Stilen für ihren Entwurf eines modernen, urbanen jüdischen Sakralbaus bedient. Sie kombiniert­en orientalis­che Elemente mit der Formenspra­che der Neuen Sachlichke­it und zierten die Synagoge mit Anleihen im Jugendstil aus. Dies verleiht ihrer Architektu­r Ernst und Würde und anderersei­ts spielerisc­hen Witz. Etwa in der Symbolisie­rung der zwölf Stämme Israels mit einem gesattelte­n Kamel, einer Meeresbark­e mit geblähtem Segel, einem gestreckte­n, schlanken Löwen. In den Zwickeln lodern Opferflamm­en, im Apsismosai­k ranken sich Akanthus und Wein um die Gesetzesta­feln, die zwei Seraphine beschirmen.

Jahrzehnte hatte sich die wachsende Israelitis­che Kultusgeme­inde mit der Frage einer neuen Synagoge herumgesch­lagen. Immer enger war es in der ersten, 1858 bezogenen Versammlun­gsstätte in der Altstadt geworden. An Feiertagen konnte sie kaum drei Fünftel der 1200 Gemeindemi­tglieder fassen, verdeutlic­hte Rabbiner Richard Grünfeld die Not. Doch der Vorstand hegte Zweifel, ob man die erhebliche Investitio­n würde schultern können – mochte auch der Israelitis­che Frauenvere­in 1891 für den Neubau 10000 Mark gespendet haben. Im Jahr 1900 drängte der Stadtrat, „eine der Größe und dem Wohlstande der hiesigen Gemeinde entspreche­nde neue Synagoge zu erbauen“.

Der Komplex sollte das Bild eines neuen Boulevards nahe des Hauptbahnh­ofs bestimmen. Zwei stattliche Flügel flankieren den Hof mit dem zurückgese­tzten Kuppelbau.

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