Der Branchenveteran der Mode
Pierre Cardin mischt auch mit 95 Jahren unermüdlich im Geschäft mit. Noch heute steckt er Models in Plastik. Warum sein Reichtum angeblich keine Rolle spielt
Mit mehr als 800 Fabriken und Lizenzen weltweit, mehreren Restaurants und Theaterhäusern, einem Museum in Paris und einem Immobilienpark, zu dem unter anderem ein Schloss und ein halbes Dorf gehören, zählt Pierre Cardin zu einem der reichsten Männer Frankreichs. Womit er sich auch gerne schmückt. Er könne sich alles leisten, erklärte der Modeschöpfer in Interviews unbefangen.
Statt sich auf seinem Geldpolster auszuruhen, mischt der Modemacher noch immer unermüdlich im Geschäft mit. Cardin kann man ohne Bedenken einen Mann der Superlative nennen. Er darf sich mit dem Titel des Branchenveterans schmücken, der nach über 70-jähriger Karriere noch nicht an Ruhestand denkt. Er hat die futuristische Mode erfunden, er war der Erste, der eine Prêt-a-porter-Kollektion auf den Markt brachte, und entwarf Unterwäsche für Lidl. Mineralwasser, Essbesteck, Plattenspieler, Bettwäsche, Armbanduhren und Autos trugen und tragen seinen Namen. Am Sonntag wird er 95 Jahre alt.
Cardin hat die Mode revolutioniert. Im Jahr 1947 kreierte er als Designer bei Christian Dior den bekannten „New Look“, Kleider mit ausgeprägter Taille und runden Schultern, in den 60er Jahren ließ er seine Mannequins mit Helm und in astronautenähnlichen Anzügen über den Laufsteg defilieren und stieß damit die Ästhetiker der Branche vor den Kopf. Mit mehr Begeisterung wurden seine geometrisch geschnittenen Minikleider mit Schießscheibenmustern und Röcken mit Vinylstreifen gewürdigt. Sein eigenes Haute-Couture-Unternehmen gründete er Anfang der 50er Jahre. Später entwarf er als erster großer Modemacher auch Linien für Männer. Noch heute steckt er seine Models in Overalls aus Plastik und in hautenge, metallisch glänzende Bodysuits, doch sein Futurismus hat den Beigeschmack von Retro. Luxus hat den Sohn eines französischen Weinhändlers, der eigentlich Pietro Cardini heißt und bei Venedig zur Welt kam, nie interessiert. Für einen Mann, der an der Côte d’Azur im Besitz einer der teuersten Villen Europas ist, eine verblüffende Aussage. „Ich hatte schon, seit ich sehr jung war, die Möglichkeit, mir alles zu kaufen“, erklärte er einmal. Was ihn interessiere, sei der kreative Aspekt seiner Unternehmen und Vorhaben. Und dazu gehört der „Espace Pierre Cardin“in Paris, ein ehemaliges Theater, das er in ein Kulturzentrum mit Konferenzsälen, Luxusrestaurant, Kunstgalerie und Vorführraum für seine Kollektionen verwandelt hat.
2001 kaufte er das Schloss des Grafen und Schriftstellers Marquis de Sade im südfranzösischen Dorf Lacoste. Er ließ es für Konzerte und Musikfestivals renovieren und erwarb zudem mehrere Immobilien. Sein Vorhaben: Das rund 400 Seelen große Dorf in ein „Saint Tropez der Kultur“zu verwandeln. Sein Kunst-Mekka-Projekt scheiterte – zuletzt auch am Widerstand der Einwohner, die sich gegen Cardins feudales Grundbesitzer-Auftreten auflehnten. Zu „Martin Schulz knöpft sich Merkel persönlich vor“(Seite 1) vom 26. Juni: Ins Schwarze – oder besser ins Rote? – trifft Schulz, wenn er Merkel und der CDU vorwirft, sich vor inhaltlichen Aussagen zu drücken und damit einen „Anschlag auf die Demokratie“zu verüben. Denn zur Demokratie dürfte es gehören, dass dem Wähler die Positionen der einzelnen Parteien vorliegen sollten, wenn er seine Wahlentscheidung trifft. Merkel jedoch pflegt ihre Position und die der CDU in entscheidenden Fragen mehr oder weniger nebulös vorzulegen: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben?“Zu Recht wird in dieser Zeitung („Union wehrt sich gegen Schulz-Kritik“vom 27. Juni) die Frage gestellt,