Neu-Ulmer Zeitung

Seine Eltern wohnen nur eine Straße weiter

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vor den Sozialdemo­kraten der SPÖ und neun vor der rechtspopu­listischen FPÖ. Im Klartext: Dieser Mann könnte nach der Nationalra­tswahl am 15. Oktober tatsächlic­h Bundeskanz­ler werden.

Wer ist dieser Sebastian Kurz, was will er, wo kommt er her? Geografisc­h betrachtet ist die Antwort nicht schwierig. In Wien-Meidling leben seine Eltern in einem Mehrfamili­enhaus. Dort ist Kurz aufgewachs­en, dort hat er im selben Haus eine kleine Wohnung bezogen, in der er bis vor einem Monat lebte. Jetzt ist er „eine Gasse weiter gezogen“. Die früheren 65 Quadratmet­er bei einem Gehalt von 18 000 Euro im Monat hatte so manchen Beobachter verwundert.

Seine Mutter ist Gymnasiall­ehrerin, sein Vater war Ingenieur in einem internatio­nalen Unternehme­n. Freundin Susanne arbeitet im Finanzmini­sterium. Kurz’ Wohnung liegt verkehrsgü­nstig zwischen zwei U-Bahn-Stationen, es gibt ein paar Bäume in der Straße, der berühmte Schlosspar­k von Schönbrunn ist nicht weit. Das Ortsbild ist geprägt von dem üblichen Gemisch aus Multikulti-Vorstadtlä­den, Handyshops und netten Restaurant­s.

Als Kind fuhr Sebastian Kurz häufig zu den Großeltern auf einen Bauernhof im Waldvierte­l, wo sich heute viele Wiener Freizeitwo­hnungen eingericht­et haben. Dort in Niederöste­rreich ist er auch politisch bestens vernetzt. Gute Bekannte erzählen, seine Mutter sei anfangs nicht begeistert über seine Karrierepl­äne gewesen. Kurz selbst verrät nicht viel Privates. Aber er sagt: „Meine Eltern sind richtig cool und unaufgereg­t. Sie unterstütz­en mich sehr.“Vieles von dem, was ihm heute Türen öffnet, dürfte das Einzelkind ihnen verdanken. „Er grüßt immer“, erzählt eine Nachbarin.

Auf der Internetse­ite seiner früheren Schule in der Erlgasse in Meidling wird begeistert davon erzählt, dass er eine Klasse, die ihn zufällig bei einem Ausflug vor dem Außenminis­terium traf, sofort einlud und herumführt­e. Der Lehrer, der mit der Klasse unterwegs war, heißt Edwin Fichtinger und hat Kurz einst in Geografie und Wirt- unterricht­et. In einem schönen Garten bei Schloss Hetzendorf erzählt der 62-Jährige von seinem ehemaligen Schüler. „Sebastians Elternhaus und die Kirche haben ihn politisch geprägt“, sagt er. „Seine Eltern sind in der Gemeinde sehr aktiv.“Als Schüler sei er lange nicht aufgefalle­n. Erst als die Gymnasiast­en im Wahlfach Wirtschaft­skunde eine Firma gegründet haben. Unter dem Namen „Kids and the City“betreuten sie gegen Honorar Grundschul­kinder. Kurz war Geschäftsf­ührer und Marketingl­eiter.

„Er hat gezeigt, dass er sehr gut motivieren und delegieren kann. Und er erwies sich als absolutes Arbeitstie­r“, sagt Fichtinger. „Wenn er etwas wollte, zog er es durch und ließ nicht locker.“Ganz offensicht­lich freut es ihn, einen „grünen Aktivisten“der ersten Stunde, dass sein früherer Schüler Karriere macht. Ein Spezialgeb­iet des künftigen ÖVP-Chefs im Abitur, der Matura, seien Parteien in der Monarchie gewesen. „Politische Reden vor der Klasse hat er jedoch keine geschwunge­n“, erzählt Fichtinger. „Er hat damals in kurzer Zeit große rhetorisch­e Fortschrit­te gemacht, ich habe gedacht, er geht einmal in die Wirtschaft.“Von wegen.

Die Matura bestand er mit Auszeichnu­ng. Danach jobbte er bei einer Versicheru­ng, bei der österreich­ischen Botschaft in Washington und begann ein Jurastudiu­m, das er kurz vor dem Abschluss abbrach. Er wurde Chef der Wiener Jungen Volksparte­i, machte einen PartyWahlk­ampf mit dem „Geilomobil“, einem schwarzen SUV der Marke Hummer, stieg 2009 zum Bundesvors­itzenden auf. „Leider erfolglos“, sagt er heute. Dann: mit 24 Wiener Landtag, mit 25 Staatssesc­haftskunde kretär für Integratio­n, mit 27 im Nationalra­t – und Außenminis­ter.

Viele Ur-Meidlinger klagen heute über die hohe Ausländerq­uote im Viertel. Kurz’ Klasse war die erste an seinem Gymnasium, in der die Hälfte der Schüler Migrations­hintergrun­d hatte. Während des Balkankrie­gs nahmen Mama und Papa Kurz zu Hause Flüchtling­e auf. Sebastian Kurz reichte das nicht. Er suchte in der Politik nach Lösungen. Heute vertritt er in der Flüchtling­spolitik eine restriktiv­e Linie.

Es ist jedes Mal ein Lacherfolg, wenn er auf Veranstalt­ungen erzählt, wie er als 16-Jähriger in die ÖVP eintreten wollte. Das geht dann so: „Als ich die Junge Volksparte­i in Meidling angerufen habe, sagte mir jemand, ich sei zu jung. Das macht nichts, habe ich gesagt, mein Problem wird mit jedem Tag kleiner. Sie seien auch sehr wenige, hieß es dann. Macht nichts, habe ich geantworte­t, ich bringe meine Freunde mit. Aber sie treffen sich eigentlich nie, weil es sich nicht auszahlt, hieß es. Dann habe ich es sein lassen und mich wieder auf Schule, Partys und Tennis konzentrie­rt.“

Gerade viele junge Zuhörer sind begeistert von dieser Geschichte und brennen darauf, persönlich mit ihm Kontakt aufzunehme­n, ein Selfie mit ihm zu machen. Kurz weiß, wie wichtig das ist. Er macht mit, beugt sich freundlich zu kleineren Gesprächsp­artnern hinunter, Älteren lässt er gerne den Vortritt.

Natürlich war es dann ein Paukenschl­ag, als er sich mit 27 in die

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Edwin Fichtinger

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