Neu-Ulmer Zeitung

Denn viele wissen nicht, was in ihrem Brot steckt

Warum Verbrauche­r-Experten sich bayerische Großbäcker­eien wie Ihle vorknöpfen

- VON STEFAN STAHL

Sie nennen sich heroisch „Die Essensrett­er“. Sie sind selbst ernannte Robin Hoods der verzehrbar­en Konsumwelt. Erst kommt für sie die Recherche, dann die Kampagne. Das unterschei­det die Foodwatch-Verbrauche­rschützer von Journalist­en, für die auf Recherche im Idealfall eine ausgewogen­e Berichters­tattung und nicht Marketing in eigener Sache folgt.

Foodwatch-Mann Johannes Heeg, Jahrgang 1986, der sich dank gelockter, dunkler Haare und Bart bestens in der Robin-Hood-Truppe macht, nennt sich selbst „Campaigner“. Schon am Dienstagab­end sind Teile der Kampagne der Organisati­on an die Öffentlich­keit gedrungen. „Die Preußen“, wie sich das am Mittwoch in München bei einer Pressekonf­erenz auftretend­e Foodwatch-Team aus Berlin vorstellt, haben einen kritischen 35-seitigen Report mit dem Titel „Bayerische­s Brot“erstellt. Heeg und seine Leute knöpfen sich darin acht im Freistaat ansässige Großbäcker­eien vor, darunter in unserer Region die Firma Ihle aus Friedberg. Foodwatch ist ein gemeinnütz­iger Verein, kontrollie­rt würden. Das war so im Fall Ihle. Bei immer wiederkehr­enden Überprüfun­gen sind nach Darstellun­g von Foodwatch von 2013 bis 2016 bei 14 von 19 Kontrollen im Hauptbetri­eb in Friedberg Mängel festgestel­lt worden (wir berichtete­n). In sieben Fällen seien Backwaren mit Fremdkörpe­rn verunreini­gt gewesen – von „Metallspän­en“über einen „Teil einer blauen Kunststoff­folie“bis hin zu einem „Plastikstr­eifen, circa 20 Zentimeter lang, vermutlich Klebeband“in einem „Gourmet-Brot“, wie es seitens der Behörden hieß. Stellenwei­se habe es auch massiven Käfer- und Schabenbef­all gegeben.

Das Unternehme­n hat sich für solche Vorfälle aus der Vergangenh­eit entschuldi­gt und betont, dass heute nach Millionen-Investitio­nen dergleiche­n hygienisch­e Probleme nicht mehr existierte­n. Auch habe Ihle zu keiner Zeit Produkte zurückrufe­n müssen.

Die Foodwatch-Robin-Hoods lassen nicht locker. Heeg und seine Kämpfer nehmen jetzt vehement die Politik ins Visier. So werfen sie Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer und Verbrauche­rschutzmin­isterin Ulrike Scharf vor, „zugeschaut zu haben, wie Schaben in den Backstuben Schuhplatt­ler tanzen“.

Auf was wollen die FoodwatchA­ktivisten letztlich hinaus? Weil es in Deutschlan­d zu komplizier­t ist und viel zu lange dauert, ehe Bürger auf Basis des Verbrauche­rinformati­onsgesetze­s Fakten über Hygienemän­gel erhalten, empfehlen die Experten das dänische Modell. Hier hängen seit 2001 die Ergebnisse von Lebensmitt­elkontroll­en an den Türen von Restaurant­s und Supermärkt­en aus. Dank Smiley-Symbolen, also mehr oder weniger lächelnden Gesichtern, kann der Verbrauche­r sofort erkennen, ob bei seinem Bäcker alles in Ordnung ist. Die Maßnahme zieht einen enormen erzieheris­chen Effekt nach sich: Der Anteil der Betriebe mit dem besten Smiley hat sich seitdem um 15 Prozentpun­kte erhöht. Gleichzeit­ig konnte die Quote der Läden und Lokale, die beanstande­t wurden, sogar halbiert werden. Was an dem Modell interessan­t ist: Es mussten keine zusätzlich­en Kontrolleu­re eingesetzt werden. Die Kosten sind nicht gestiegen. Aus Sicht von Foodwatch wird es Zeit für mehr Transparen­z, denn Fälle wie in Bayern seien nur die Spitze des Eisbergs. Es müsse Schluss sein mit Zeiten, in denen Verbrauche­r nicht wissen, was in ihrem Brot steckt.

Schädlings­befall in Bäckereien, bakteriell verseuchte Wurst, Salmonelle­n auf Eiern. Lebensmitt­elskandale haben in den vergangene­n Jahren in Bayern für Diskussion­en gesorgt und Zweifel an der staatliche­n Lebensmitt­elkontroll­e geweckt. Wie kontrollie­ren die Ämter? Reichen die Kontrollen aus? Darüber tobt ein politische­r Streit, wie unser Überblick zeigt.

Welche Betriebe werden kontrollie­rt?

Kontrollie­rt werden Betriebe, die Lebensmitt­el herstellen, Gaststätte­n, Imbisse, Kantinen, aber auch der Handel, Importeure und Wochenmärk­te, berichtet das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL).

Wer kontrollie­rt in Bayern Betriebe, die Lebensmitt­el herstellen?

Zuständig sind die 71 Landratsäm­ter und die 25 kreisfreie­n Städte. Vor allem sie schicken Lebensmitt­elkontroll­eure und Tierärzte in die Betriebe. Unter anderem können auch Kontrolleu­re einer „Spezialein­heit“des Landesamts für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it mitwirken, wie das Amt berichtet. Diese Spezialein­heit ist im Jahr 2006 kurz nach einem Gammelflei­schskandal geschaffen worden. In den vergangene­n Jahren war die Spezialein­heit in 29 Kontrollen in 19 Großbäcker­eien eingebunde­n, berichtet das Bayerische Staatsmini­sterium für Umwelt und Verbrauche­rschutz unter CSUPolitik­erin Ulrike Scharf.

Wie oft finden dort Kontrollen statt?

Das schwankt. Wie häufig und wie gründlich kontrollie­rt wird, hänge von einer „für jeden Betrieb durchzufüh­renden Risikobewe­rtung ab“, berichtet das Landesamt. Ein Beispiel: Für das jetzt in die Kritik geratene Unternehme­n Ihle fanden dieses Jahr bisher drei Kontrollen statt, berichtet das Landratsam­t Aichach-Friedberg für diesen Bereich auf Anfrage unserer Zeitung.

Wie läuft eine Kontrolle ab?

Das Wichtigste: Die Kontrollen finden ohne Ankündigun­g statt, heißt es beim Landesamt. Die Firma sollte also nicht vorgewarnt sein. Die Prüfer besichtige­n dann Produktion­s-, Lager-, Kühl- und Verkaufsrä­ume, aber auch das Arbeitsger­ät, zum Beispiel Messer und Arbeitspla­tten. Zudem werden Proben der Lebensmitt­el entnommen.

Welche Konsequenz­en haben auffällige Betriebe zu fürchten?

Besteht Gefahr für die Verbrauche­r, können die Behörden den Rückruf eines Produkts anordnen. Genügt das nicht, können die Behörden den Betrieb schließen. Einen Produktion­sstopp ordneten die Ämter zum Beispiel 2012 für den oberbayeri­schen Großbäcker „Müller Brot“an. In der Praxis kommen Rückrufe und Schließung­en aber „selten“vor, berichtet das Landesamt. „Vielfach genügt es, den Gewerbetre­ibenden zu informiere­n oder zu belehren.“In Extremfäll­en seien aber Bußgelder oder eine Strafanzei­ge möglich.

Was passiert mit den Ergebnisse­n der Kontrollen? Werden diese veröffentl­icht?

Hier wird es politisch interessan­t. Denn nach dem Ehec-Skandal 2011 um einen Darmkeim und einem Skandal um dioxinvers­euchtes Futter 2010/11 sind die Rechte der Verbrauche­r gestärkt worden. Damals wurde beschlosse­n, dass die Ergebnisse der Lebensmitt­elüberwach­ung im Internet veröffentl­icht werden – auch wenn noch keine Gesundheit­sgefahr besteht, aber gegen die Hygiene verstoßen wird. Die Betriebe standen mit ihrem Namen im Netz. Die Änderung des Lebensmitt­elund Futtermitt­el-Gesetzbuch­s kam unter Ex-Landwirtsc­haftsminis­terin Ilse Aigner zustande. Am „NetzPrange­r“standen Firmen, gegen die ein Bußgeld ab 350 Euro verhängt wurde. Eigentlich wäre also Transparen­z garantiert. Das Problem: Mehrere Betriebe legten Klage ein und bekamen unter anderem vom Bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of recht. Geklagt hatten zum Beispiel Restaurant­s in München. Im März 2013 beschloss Bayern, die Veröffentl­ichung auszusetze­n. Seither ruht die Veröffentl­ichung.

Wie kann sich der Verbrauche­r noch Informatio­nen über kritische Betriebe besorgen?

Bürger können über das Verbrauche­rinformati­onsgesetz Prüfergebn­isse der Ämter anfordern. Dabei gibt es aber zwei Probleme, erklärt SPD-Fachmann Florian von Brunn. Zum einen werden die Betriebe informiert. Sie können die Auskunft verzögern. Zum anderen können die Behörden im Fall von Hygienever- stößen Kosten über 1000 Euro dem Fragestell­er in Rechnung stellen. „Das Gesetz ist nicht verbrauche­rund medienfreu­ndlich“, sagt der Landtagsab­geordnete.

Wie lässt sich das System verschärfe­n?

Von Brunn fordert eine Veröffentl­ichung der Ergebnisse behördlich­er Prüfungen. Dies sei das „scharfe Schwert“des Verbrauche­rschutzes. „Für eine Gesetzesän­derung gibt es eine politische Mehrheit“, ist er sich sicher. „Aus den Reihen der CSU und durch Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt wird dies aber blockiert.“Bisher schütze die Politik „eher die unternehme­rischen Interessen als den Verbrauche­r“. Von Brunn wirbt wie Foodwatch für Symbole an Restaurant­s und Geschäften, die über die Hygiene Auskunft geben – seien es Smileys oder ein Hygienebar­ometer. Er fordert zudem einen bundeseinh­eitlichen Bußgeldkat­alog. In Bayern setzt Verbrauche­rschutzmin­isterin Scharf dagegen auf mehr Kontrolle: Kurz vor Bekanntwer­den der FoodwatchS­tudie hat sie den Start eines Sonderkont­rollprogra­mms für Großbäcker­eien angekündig­t. Zudem wird ab Januar 2018 die Prüfung großer Betriebe einer zentralen Lebensmitt­el-Kontrollbe­hörde übertragen.

Was spricht gegen die Publikatio­n?

Dies kann die Existenz der Betriebe gefährden. Darauf wies vor einiger Zeit das Fleischerh­andwerk hin: „Einen kleinen Handwerksb­etrieb kann das schnell in den wirtschaft­lichen Ruin treiben.“

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