Denn viele wissen nicht, was in ihrem Brot steckt
Warum Verbraucher-Experten sich bayerische Großbäckereien wie Ihle vorknöpfen
Sie nennen sich heroisch „Die Essensretter“. Sie sind selbst ernannte Robin Hoods der verzehrbaren Konsumwelt. Erst kommt für sie die Recherche, dann die Kampagne. Das unterscheidet die Foodwatch-Verbraucherschützer von Journalisten, für die auf Recherche im Idealfall eine ausgewogene Berichterstattung und nicht Marketing in eigener Sache folgt.
Foodwatch-Mann Johannes Heeg, Jahrgang 1986, der sich dank gelockter, dunkler Haare und Bart bestens in der Robin-Hood-Truppe macht, nennt sich selbst „Campaigner“. Schon am Dienstagabend sind Teile der Kampagne der Organisation an die Öffentlichkeit gedrungen. „Die Preußen“, wie sich das am Mittwoch in München bei einer Pressekonferenz auftretende Foodwatch-Team aus Berlin vorstellt, haben einen kritischen 35-seitigen Report mit dem Titel „Bayerisches Brot“erstellt. Heeg und seine Leute knöpfen sich darin acht im Freistaat ansässige Großbäckereien vor, darunter in unserer Region die Firma Ihle aus Friedberg. Foodwatch ist ein gemeinnütziger Verein, kontrolliert würden. Das war so im Fall Ihle. Bei immer wiederkehrenden Überprüfungen sind nach Darstellung von Foodwatch von 2013 bis 2016 bei 14 von 19 Kontrollen im Hauptbetrieb in Friedberg Mängel festgestellt worden (wir berichteten). In sieben Fällen seien Backwaren mit Fremdkörpern verunreinigt gewesen – von „Metallspänen“über einen „Teil einer blauen Kunststofffolie“bis hin zu einem „Plastikstreifen, circa 20 Zentimeter lang, vermutlich Klebeband“in einem „Gourmet-Brot“, wie es seitens der Behörden hieß. Stellenweise habe es auch massiven Käfer- und Schabenbefall gegeben.
Das Unternehmen hat sich für solche Vorfälle aus der Vergangenheit entschuldigt und betont, dass heute nach Millionen-Investitionen dergleichen hygienische Probleme nicht mehr existierten. Auch habe Ihle zu keiner Zeit Produkte zurückrufen müssen.
Die Foodwatch-Robin-Hoods lassen nicht locker. Heeg und seine Kämpfer nehmen jetzt vehement die Politik ins Visier. So werfen sie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf vor, „zugeschaut zu haben, wie Schaben in den Backstuben Schuhplattler tanzen“.
Auf was wollen die FoodwatchAktivisten letztlich hinaus? Weil es in Deutschland zu kompliziert ist und viel zu lange dauert, ehe Bürger auf Basis des Verbraucherinformationsgesetzes Fakten über Hygienemängel erhalten, empfehlen die Experten das dänische Modell. Hier hängen seit 2001 die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen an den Türen von Restaurants und Supermärkten aus. Dank Smiley-Symbolen, also mehr oder weniger lächelnden Gesichtern, kann der Verbraucher sofort erkennen, ob bei seinem Bäcker alles in Ordnung ist. Die Maßnahme zieht einen enormen erzieherischen Effekt nach sich: Der Anteil der Betriebe mit dem besten Smiley hat sich seitdem um 15 Prozentpunkte erhöht. Gleichzeitig konnte die Quote der Läden und Lokale, die beanstandet wurden, sogar halbiert werden. Was an dem Modell interessant ist: Es mussten keine zusätzlichen Kontrolleure eingesetzt werden. Die Kosten sind nicht gestiegen. Aus Sicht von Foodwatch wird es Zeit für mehr Transparenz, denn Fälle wie in Bayern seien nur die Spitze des Eisbergs. Es müsse Schluss sein mit Zeiten, in denen Verbraucher nicht wissen, was in ihrem Brot steckt.
Schädlingsbefall in Bäckereien, bakteriell verseuchte Wurst, Salmonellen auf Eiern. Lebensmittelskandale haben in den vergangenen Jahren in Bayern für Diskussionen gesorgt und Zweifel an der staatlichen Lebensmittelkontrolle geweckt. Wie kontrollieren die Ämter? Reichen die Kontrollen aus? Darüber tobt ein politischer Streit, wie unser Überblick zeigt.
Welche Betriebe werden kontrolliert?
Kontrolliert werden Betriebe, die Lebensmittel herstellen, Gaststätten, Imbisse, Kantinen, aber auch der Handel, Importeure und Wochenmärkte, berichtet das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).
Wer kontrolliert in Bayern Betriebe, die Lebensmittel herstellen?
Zuständig sind die 71 Landratsämter und die 25 kreisfreien Städte. Vor allem sie schicken Lebensmittelkontrolleure und Tierärzte in die Betriebe. Unter anderem können auch Kontrolleure einer „Spezialeinheit“des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mitwirken, wie das Amt berichtet. Diese Spezialeinheit ist im Jahr 2006 kurz nach einem Gammelfleischskandal geschaffen worden. In den vergangenen Jahren war die Spezialeinheit in 29 Kontrollen in 19 Großbäckereien eingebunden, berichtet das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz unter CSUPolitikerin Ulrike Scharf.
Wie oft finden dort Kontrollen statt?
Das schwankt. Wie häufig und wie gründlich kontrolliert wird, hänge von einer „für jeden Betrieb durchzuführenden Risikobewertung ab“, berichtet das Landesamt. Ein Beispiel: Für das jetzt in die Kritik geratene Unternehmen Ihle fanden dieses Jahr bisher drei Kontrollen statt, berichtet das Landratsamt Aichach-Friedberg für diesen Bereich auf Anfrage unserer Zeitung.
Wie läuft eine Kontrolle ab?
Das Wichtigste: Die Kontrollen finden ohne Ankündigung statt, heißt es beim Landesamt. Die Firma sollte also nicht vorgewarnt sein. Die Prüfer besichtigen dann Produktions-, Lager-, Kühl- und Verkaufsräume, aber auch das Arbeitsgerät, zum Beispiel Messer und Arbeitsplatten. Zudem werden Proben der Lebensmittel entnommen.
Welche Konsequenzen haben auffällige Betriebe zu fürchten?
Besteht Gefahr für die Verbraucher, können die Behörden den Rückruf eines Produkts anordnen. Genügt das nicht, können die Behörden den Betrieb schließen. Einen Produktionsstopp ordneten die Ämter zum Beispiel 2012 für den oberbayerischen Großbäcker „Müller Brot“an. In der Praxis kommen Rückrufe und Schließungen aber „selten“vor, berichtet das Landesamt. „Vielfach genügt es, den Gewerbetreibenden zu informieren oder zu belehren.“In Extremfällen seien aber Bußgelder oder eine Strafanzeige möglich.
Was passiert mit den Ergebnissen der Kontrollen? Werden diese veröffentlicht?
Hier wird es politisch interessant. Denn nach dem Ehec-Skandal 2011 um einen Darmkeim und einem Skandal um dioxinverseuchtes Futter 2010/11 sind die Rechte der Verbraucher gestärkt worden. Damals wurde beschlossen, dass die Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung im Internet veröffentlicht werden – auch wenn noch keine Gesundheitsgefahr besteht, aber gegen die Hygiene verstoßen wird. Die Betriebe standen mit ihrem Namen im Netz. Die Änderung des Lebensmittelund Futtermittel-Gesetzbuchs kam unter Ex-Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zustande. Am „NetzPranger“standen Firmen, gegen die ein Bußgeld ab 350 Euro verhängt wurde. Eigentlich wäre also Transparenz garantiert. Das Problem: Mehrere Betriebe legten Klage ein und bekamen unter anderem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof recht. Geklagt hatten zum Beispiel Restaurants in München. Im März 2013 beschloss Bayern, die Veröffentlichung auszusetzen. Seither ruht die Veröffentlichung.
Wie kann sich der Verbraucher noch Informationen über kritische Betriebe besorgen?
Bürger können über das Verbraucherinformationsgesetz Prüfergebnisse der Ämter anfordern. Dabei gibt es aber zwei Probleme, erklärt SPD-Fachmann Florian von Brunn. Zum einen werden die Betriebe informiert. Sie können die Auskunft verzögern. Zum anderen können die Behörden im Fall von Hygienever- stößen Kosten über 1000 Euro dem Fragesteller in Rechnung stellen. „Das Gesetz ist nicht verbraucherund medienfreundlich“, sagt der Landtagsabgeordnete.
Wie lässt sich das System verschärfen?
Von Brunn fordert eine Veröffentlichung der Ergebnisse behördlicher Prüfungen. Dies sei das „scharfe Schwert“des Verbraucherschutzes. „Für eine Gesetzesänderung gibt es eine politische Mehrheit“, ist er sich sicher. „Aus den Reihen der CSU und durch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt wird dies aber blockiert.“Bisher schütze die Politik „eher die unternehmerischen Interessen als den Verbraucher“. Von Brunn wirbt wie Foodwatch für Symbole an Restaurants und Geschäften, die über die Hygiene Auskunft geben – seien es Smileys oder ein Hygienebarometer. Er fordert zudem einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog. In Bayern setzt Verbraucherschutzministerin Scharf dagegen auf mehr Kontrolle: Kurz vor Bekanntwerden der FoodwatchStudie hat sie den Start eines Sonderkontrollprogramms für Großbäckereien angekündigt. Zudem wird ab Januar 2018 die Prüfung großer Betriebe einer zentralen Lebensmittel-Kontrollbehörde übertragen.
Was spricht gegen die Publikation?
Dies kann die Existenz der Betriebe gefährden. Darauf wies vor einiger Zeit das Fleischerhandwerk hin: „Einen kleinen Handwerksbetrieb kann das schnell in den wirtschaftlichen Ruin treiben.“