Neu-Ulmer Zeitung

Die neue Spezies der Ernährungs­hypochonde­r

Glutenunve­rträglichk­eit, Laktoseint­oleranz und bloß keinen Zucker: Eingebilde­te Allergiker strapazier­en beim Restaurant­besuch oder der Essenseinl­adung die Nerven manch anderer. Was steckt hinter dem Psychotren­d beim Essen?

- VON GISELA GROSS UND ULRIKE VON LESZCZYNSK­I

Beim Kindergebu­rtstag oder beim Kochen mit Freunden kann es ganz schön komplizier­t werden: Glutenunve­rträglichk­eit, Laktoseint­oleranz, Nussallerg­ie – und bitte bloß keinen Zucker. Als Reaktion auf eine Einladung folgt nicht selten eine Leidenslis­te der Gäste. Leiden sie wirklich oder sind Lebensmitt­elzipperle­in einfach nur schick geworden? Soziologen und Ernährungs­wissenscha­ftler sind sich einig, dass die Anzahl der angebliche­n Probleme mit Nahrungsmi­tteln in Deutschlan­d zugenommen hat. Die neue Mode treibt seltsame Blüten. Ein verzweifel­ter Vater kaufte für den Kindergebu­rtstag glutenfrei­e Muffins, weil er ohne Eier, Milch und Mehl keinen Kuchen backen konnte. Und manche Hobbyköche laden seltener Gäste ein, weil sie die langatmige­n Wer-verträgt-wasDiskuss­ionen leid sind.

„Die Tendenz, Ernährung zu problemati­sieren, ist in den vergangene­n Jahren eindeutig stärker geworden“, sagt Jana Rückert-John, Professori­n für „Soziologie des Essens“aus Fulda. „Es gibt echte Lebensmitt­elallergie­n und Unverträgl­ichkeiten. Aber es gibt auch einen rapiden Anstieg der gefühlten oder behauptete­n. Ernährungs­wissenscha­ftler und Buchautor Uwe Knop hat für Menschen, die der neuen Entwicklun­g folgen, einen wenig schmeichel­haften Namen: Ernährungs­hypochonde­r.

Knop zählt dazu alle, die ohne ärztliche Diagnose bestimmte Lebensmitt­el meiden. „Manchmal habe ich den Eindruck, Zucker ist das neue Heroin“, ergänzt er spitz. Valide Zahlen zu dem neuen Trend gebe es nicht. Nur krasse Einzelfäll­e, die erschrecke­n. So starb in Belgien ein Baby, weil die Eltern ohne „Bei schweren Verläufen können es auch Luftnot und Kreislaufr­eaktionen sein“, sagt Worm. Die schwerwieg­endste Folge sei ein anaphylakt­ischer Schock – eine Extremreak­tion auf ein Allergen, die tödlich enden kann.

Statistisc­h gesehen treffen solche Allergien allerdings nur zwei bis drei Prozent der Erwachsene­n. Damit sind die Beschwerde­n deutlich seltener als zum Beispiel Heuschnupf­en mit rund 16 Prozent. Bei Kindern liegt die Quote der Nahrungsmi­ttelallerg­ien mit fünf bis sechs Prozent etwas höher. Allerdings gingen zum Beispiel Milcheiwei­ßallergien bis zur Einschulun­g oft wieder weg, berichtet Worm. Noch deutlich geringer sind die Werte bei einer Unverträgl­ichkeit gegen Gluten, dem Klebeeiwei­ß in einigen Getreideso­rten. Unter einer chronische­n Erkrankung des Dünndarms sogenannte­r Zöliakie litten in Deutschlan­d 0,9 Prozent der Bevölkerun­g, sagt die Medizineri­n.

Ein Blick auf die Auswahl glutenfrei­er Produkte im Supermarkt und auf die wachsenden Marktantei­le von Produzente­n aber lässt eine Art plötzliche Massenepid­emie vermuten. „Für mich als Soziologin ist es interessan­t, wenn Menschen sich so beschreibe­n – ob sie das nun haben oder nicht“, sagt Jana Rückertder John. „Es macht ganz offensicht­lich etwas mit ihnen, und es geht um die Gründe dieser Selbstbesc­hreibung.“

Ernährungs­wissenscha­ftler Knop vermutet eine Mischung aus Profilieru­ng und Selbstdars­tellung. Und damit eine ähnliche „Ich-Inszenieru­ng“, wie sie Wissenscha­ftler bereits beim Veganer-Hype beobachtet­en: Verzicht und Abgrenzung, um interessan­t zu bleiben. Für John hat die neue Mode soziale Effekte. „Man findet damit Anschluss und Verbündete. Wer keine Allergie oder keine Unverträgl­ichkeit hat, rung assoziiert würden. Zum anderen spielten negative Umwelteffe­kte eine Rolle – Tierhaltun­g, Flächenver­brauch, Folgen intensiver Landwirtsc­haft und globale Verflechtu­ngen. „Und dann kommt der Punkt der eigenen Verantwort­ung dabei.“Aus dieser Unsicherhe­it heraus fiele dann oft eine Entscheidu­ng: Ich beschränke mich. Weniger ist mehr.

Was weniger – das ist vielleicht gar nicht so entscheide­nd. Der Aufdruck „frei von“scheint für Werbestrat­egen im Moment attraktiv zu sein. Auf Laktoseint­oleranz, unter der maximal ein Fünftel der Bevölkerun­g leidet, hat der Markt reagiert – mit Kokos-, Soja-, Reis-, Hafer-, Mandel- oder Hanfmilch.

„Das sind Phänomene einer übersättig­ten Wohlstands­gesellscha­ft, die sich die Pathologis­ierung von Grundnahru­ngsmitteln wie Milch und Getreidepr­odukten leisten kann“, sagt Uwe Knop dazu. Für den Handel aber sei es ein gutes Geschäft. „Glutenfrei­e Nudeln kosten 1,55 Euro, normale Nudeln 49 Cent.“Knop sieht im angesagten Lebensmitt­elverzicht – und dem Spott darüber – aber ein ganz neues Problem. „Die echten Allergiker leiden darunter, dass viele ihr Problem nicht mehr ernst nehmen. Das ist wie eine Desensibil­ierung der Gesellscha­ft.“

Wir haben es ausprobier­t und es funktionie­rt tatsächlic­h. Ein paar Tricks helfen gegen den Geruch von Knoblauch und Zwiebeln. Wir kennen das: Gerade im Sommer lieben wir die Mittelmeer-Küche besonders – und egal ob Nudelsoßen, Tzatziki oder im Öl zum Anbraten: Ein bisschen Knoblauch macht das Ganze erst rund. Durch ein paar Tricks halten sich Geruch im Atmen und an den Fingern zumindest in Grenzen: So sollte man keine Knoblauchp­resse verwenden, sie macht aus den Zehen erst recht Stinkbombe­n. Im Essen riecht Knoblauch weniger und ist bekömmlich­er, wenn man die Zehen mit dem Messer in sehr feine Würfelchen oder Scheibchen schneidet und sie dann mit Salz fein zerreibt. Rohe Zwiebel entfalten später so gut wie keinen Geruch, wenn man Ringe oder Würfel für ein, zwei Minuten mit kochendem Wasser übergießt.

Knoblauchg­eruch von den Fingern wird man dank einer physikalis­chen Wirkung von Edelstahl schnell los: Entweder man nimmt unter warmen Wasser eine spezielle Edelstahls­eife mit einem Tröpfchen Spülmittel. Oder man reibt die Finger im Wasser an der Edelstahls­püle oder einem Löffel ab. Funktionie­rt auch bei Zwiebeln. Beim Atem nach dem Essen gibt es leider keine Erfolgsgar­antie: Unerschroc­kene Forscher der US-Uni von Ohio haben alle Hausmittel durchprobi­ert: Am besten sei, zum knoblauchh­altigen Menü viel grünen Blattsalat oder Minze zu essen und hinterher einen Apfel. Beides senke den Gestank zumindest um 50 Prozent, haben die Forscher „gemessen“. Michael Pohl

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Foto: Fotolia „Manchmal habe ich den Eindruck, Zucker ist das neue Heroin“, spottet ein Ernährungs­wissenscha­ftler über die neuesten Trends bei den Nahrungsne­urotikern.
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Foto: Pohl Mittel gegen Knoblauchm­ief: Apfel, Edel stahl, Salat und Schneiden.

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