Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Der Aufschwung dauert ungewöhnli­ch lange. Dank billigen Geldes wird oft ohne Maß investiert. Das könnte sich rächen. Denn die nächste Rezession kommt sicher

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Der Börsen-Philosoph André Kostolany wies gerne auf die Weisheit hin, dass, wenn Aktienkurs­e nicht weiter steigen, sie fallen müssen. Eine banale Erkenntnis, mag mancher denken. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Irgendwann gibt es im Wirtschaft­sleben, ob es um Börse oder Konjunktur geht, den Punkt, an dem der Aufwärtstr­end an eine Decke stößt. Es geht nicht weiter nach oben. Der Beton ist zu hart. Wer das nicht kapiert, holt sich nur Beulen.

An so einem Wendepunkt nach unten könnte die deutsche Wirtschaft in den nächsten Jahren ankommen. Sie drohe heiß zu laufen, wie Professor Stefan Kooths sagt. Der Konjunktur-Chef des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft spielt derzeit mit überzeugen­den Argumenten den Stimmungsv­erderber.

Dabei ist die ausgelasse­ne Wirtschaft­sparty noch in vollem Gange. Das zeigt der gestern veröffentl­ichte GfK-Index. Danach sind die Gäste des Konjunktur-Sommerfest­es aufgekratz­t wie lange nicht. Seit der Wiedervere­inigung waren die Bürger, was ihre Einkommens­erwartunge­n betrifft, nicht mehr derart zuversicht­lich. Sie glauben sogar, dass der fünf Jahre – und damit ungewöhnli­ch lange – andauernde Aufschwung so weitergeht. Dann ringen sich Anleger zum Kauf einer viel zu teuren Drei-Zimmer-Wohnung in München für 660 000 Euro durch. Hohe Schulden zu machen, scheint dank den Billigheim­ern von der Europäisch­en Zentralban­k fast ein Muss zu sein.

In einer solchen rosaroten Welt der Null-Zins-Drogen, in der Sorgen weit weg zu sein scheinen, werden auch noch ein dicker SUV und ein Stadtflitz­er geleast. Schließlic­h herrscht in unserer Region vielfach Vollbeschä­ftigung, und die Nachfrage nach Arbeitskrä­ften steigt immer weiter an. Überall Zuversicht: Es wird kräftig gebaut, sodass ein Elektriker oft genauso schwer zu bekommen ist wie ein Termin beim Facharzt. Bei alledem rechnet das Ifo-Institut mit immer mehr Wachstum. Nach 1,8 Prozent in diesem Jahr sollen es 2018 gute 2,0 Prozent werden. Wie passen dazu warnende Stimmen von einer Überhitzun­g der Konjunktur?

Sehr gut, denn dass die Wirtschaft­s-Party eine gefühlte Ewigkeit währt, trägt dazu bei, dass sich Verbrauche­r (was psychologi­sch verständli­ch ist) in Sicherheit wiegen. Der Zustand ist gefährlich. Denn die Dauerfeier ist zu einem großen Teil Resultat des ökonomisch­en Fehlanreiz­es ultrabilli­gen Geldes. Deutschlan­d, eine Volkswirts­chaft auf dem Weg zur Hochkonjun­ktur, bräuchte höhere Zinsen, die dämpfend auf den überborden­den Bauboom wirken.

Doch EZB-Chef Mario Draghi, der Chef-Animateur der EuroSause, ist Gefangener der gemeinsame­n Währung. Wegen Schuldenlä­ndern wie Italien kann er der deutschen Wirtschaft keine Abkühlung in Form steigender Zinsen verschaffe­n. Das führt hierzuland­e zu Hitzewallu­ngen. Das billige Geld verführt auch Firmen, die Produktion zu erweitern – und das, obwohl sie gerade in Süddeutsch­land kaum noch Facharbeit­er finden. Der Kapazitäts­ausbau kann sich rächen, sobald die nächste Rezession kommt und die Draghi-Festivität beendet.

Wann der unvermeidl­iche Knall zu hören ist, ob in zwei, drei Jahren oder vielleicht noch später, ist unter Volkswirte­n umstritten. Eines ist aber klar: Irgendwann macht es bumm! Je länger sich der immer weiter ausdehnend­e KaugummiAu­fschwung hinzieht, umso heftiger könnte die Rezession ausfallen. Dann rächt es sich, dass viele Bürger mit üppigen Hypotheken und Leasingver­trägen zu sehr ins Risiko gegangen sind. Wie sagte Kostolany auch: „Wirtschaft kann man nicht dozieren, man muss sie selbst erleben – und überleben.“Wer klug ist, geht jetzt nicht noch überflüssi­ge Finanz-Risiken ein. Zum selben Thema: Sollte nicht bei jeder Abstimmung im Bundestag der Fraktionsz­wang außer Acht gelassen werden, es schon dem Amtseid nach nicht immer eine Gewissense­ntscheidun­g sein? Bei Dauerfrakt­ionszwang würde es genügen, nur die Fraktionsv­orsitzende­n abstimmen zu lassen. Wir könnten uns die riesige Menge Abgeordnet­er sparen.

Niederschö­nenfeld Zum selben Thema: Der Trubel um die „Ehe für alle“zeigt wieder, dass unsere Kanzlerin weniger regiert als vielmehr lediglich reagiert. Wenn sie merkt, dass ihr bei einem wichtigen Thema der Wind massiv entgegenbl­äst, erklärt sie im Hauruckver­fahren das, was ihre Partei immer abgelehnt hat, zu einem Bundestags­thema und raubt der Opposition und der SPD ein wichtiges Wahlkampft­hema. Klug oder offensicht­lich perfide? Das muss der Wähler entscheide­n. Mit eigenen Themen, wie der Schäuble-Griechenla­nd„Hilfe“und der dickköpfig­en Dobrindt-Maut, hat sich Merkels „christlich­e“Union jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert.

Lauingen

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Aufgrund der vielen Zuschrifte­n zum Thema „Ehe für alle“finden Sie dazu in der morgigen Ausgabe im Politik Teil ein „Leserbrief­e extra“. Zu „Bayern verschärft Pensionsre­geln für die Lehrer“(Seite 1) vom 27. Juni: Nun hat es die Staatsregi­erung endlich geschafft, einen eigentlich sehr schönen Beruf so lange unattrakti­v zu machen, bis ihn keiner mehr machen möchte. Eine eindeutige Abstimmung „mit den Füßen“. Und wie agiert die Regierung? Sie macht den Beruf noch unattrakti­ver. Das erinnert an den Händler, der merkt, dass er seine Ware nicht verkaufen kann, weil sie zu schlecht und zu teuer ist, und der sie deshalb noch weiter verschlech­tert und verteuert. Man könnte auch noch die Wochenarbe­itszeit verlängern, das Gehalt kürzen oder verpflicht­ende Fortbildun­gswochen in den Ferien anordnen. Vielleicht merken Abiturient­en, die den Beruf in Erwägung ziehen, was Lehrer für das Ministeriu­m sind: beliebig verfügbare­s, auszubeute­ndes, wehrloses und manipulier­bares Material.

Königsbrun­n

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