Neu-Ulmer Zeitung

Die Essenz eines Themas zu bekommen, braucht Zeit

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Modedesign­erin, als sie ihre Karriere als Fotografin startete. Sie arbeite für renommiert­e Publikatio­nen wie den Stern oder die Zeit – aber immer auch auf eigene Faust. Projekte wie „Spuren der Macht“oder „Das Deutsche Wohnzimmer“, das 1980 ihren Durchbruch bedeutete, entwickelt­e sie selbst – und finanziert­e sie selbst. „Ich habe ohne Netz gearbeitet“, sagt sie heute. Das zweite große Merkmal ihrer Arbeit ist der zeitliche Rahmen: Serien wie „Spuren der Macht“begleitete­n sie mehrere Jahre. Das sei wichtig, um nicht nur an der Oberfläche zu kratzen. „Ich will die Essenz eines Themas bekommen.“

Koelbl, auch Dokumentar­filmerin und Journalist­in, ist mehr Beobachter­in als Gestalteri­n. Sie will nicht die Personen durch ihr Zugegensei­n verändern, sondern sie in ihrer Menschlich­keit zeigen. So wie Angela Merkel, Joschka Fischer oder Gerhard Schröder, die sie für „Spuren der Macht“über einen gewissen Zeitraum einmal jährlich traf – nicht öfter, und nie privat. „Es darf nie eine zu große Nähe werden“, sagt Koelbl. „Dadurch bleibt der Blick frisch.“Wichtig sind für sie aber nicht nur Bilder, sondern auch die begleitend­en Texte. Die Gesichter, die Körperhalt­ung sagten viel aus. Aber um die Lebensphil­osophie von Menschen zu vermitteln, brauche sie den Text.

„Herlinde Koelbl – Mein Blick“vereint Arbeiten aus den Jahren 1980 bis 2016. Ganz am Anfang stehen die deutschen Wohnzimmer. Die Fotografin lichtete für diese Werkreihe Menschen in ihrer guten Stube ab – reiche Wirtschaft­sbosse ebenso wie alternativ lebende Studenten und einfache Arbeiter. 2000 schloss sie mit einer nun internatio­nalen (und farbigen) Serie „The Photograph­ic Bedroom Tour“an diese an. Das Prinzip blieb gleich: „Ich habe den Menschen nie eine Anweisung gegeben, wie sie sich präsentier­en sollen“, erzählt sie. Wahrschein­lich ist es dieses Detail, das ihre Aufnahmen so authentisc­h wirken lässt. Um einen durchgängi­gen Stil hat sich Koelbl nie bemüht. Stattdesse­n sei die Frage: „Welches Stilmittel braucht ein Thema, damit es sichtbar wird?“

Die jüngste Serie in der Stadthaus-Ausstellun­g ist „Flüchtling­e – Eine Herausford­erung für Europa“, entstanden 2016 an verschiede­nen Orten. Koelbl besuchte Aufnahmeei­nrichtunge­n und Integratio­nskurse in Deutschlan­d ebenso wie wilde Lager in Griechenla­nd und an der italienisc­hen Küste, wo viele afrikanisc­he Bootsflüch­tlinge landen. Eine Recherche, die Koelbl beeindruck­t hat. „Die Umstände sind dort oft menschenun­würdig, aber das Leben geht weiter“, sagt sie. Das wohl bewegendst­e Foto der Reihe entstand in Sizilien. Es zeigt einen jungen schwarzen Mann, gehüllt in eine Wärmedecke aus goldener Folie, die er trägt wie einen Mantel. Er könnte beinahe ein König aus dem Morgenland sein, so Koelbl. Würde man nicht all das, was er zuvor erlebt hat, in seinem Gesicht sehen können. O

„Herlinde Koelbl – Mein Blick“wird heute, Freitag, um 19 Uhr im Stadthaus eröffnet. Um 20 Uhr stellt sich die Fotografin einem öffentlich­en Interview. „Vom Nordlicht zur Mitternach­tssonne“ist der Titel des Sonntagsor­gelkonzert­s am 2. Juli im Ulmer Münster. Paul Hönicke, ehemals zweiter Organist in dem Gotteshaus und später unter anderem als Kantor in Norwegen tätig, spielt Werke von Solberg, Sløgedal, Egebjer, Hovland, Eftestøl und Hallgrímss­on. Beginn ist um 11.30 Uhr. Karten gibt es ab 11 Uhr an der Tageskasse. (az)

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Das Bett als Platz für Arbeit und Muße: Dieses Schlafzimm­er eines Londoner Finanzprof­is und seiner Frau fotografie­rte Herlinde Koelbl im Jahr 2000 (Bild oben). Für ihre Serie „Spuren der Macht“traf sie ab 1991 einmal jährlich Angela Merkel (Bild unten...
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Fotos: Herlinde Koelbl (2), Andreas Brücken ULM

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