Neu-Ulmer Zeitung

Von der Liebe zum SUV

Autofahrer sind Menschen, die offenbar in der Mehrzahl Wasser predigen, aber Wein trinken. Oder wie lässt sich der Wunsch nach großen, spritfress­enden Karossen sonst erklären?

- VON JOSEF KARG

Wer heutzutage als Familienva­ter den Seinen erklären will, dass er beim Erwerb eines Neuwagens einen Van oder einen Kombi erstehen will, darf nicht überrascht sein, wenn er von Frau und Kind entrüstete Blicke voller Unverständ­nis erntet. Warum? Man weiß inzwischen, dass insbesonde­re Mütter mit Kindern in der Mehrheit nicht auf unscheinba­re Vans oder Kombis abfahren, sondern auf hochbeinig­e, kantige Fahrzeuge, die eigentlich für Geländefah­rten konstruier­t wurden: sogenannte SUV.

Im Zuge des Booms, den diese Fahrzeugar­t seit gut zehn Jahren erlebt, haben die Sport Utility Vehicles aber auch über die genannte Zielgruppe hinaus Millionen von Fans und sind auf einem wahren Siegeszug auf den Straßen der Welt. Denn Kombis spielen beispielsw­eise in so wichtigen Märkten wie USA oder China keine Rolle, SUV aber eine immer größere. „Die Chinesen drücken mit diesen Modellen ein Stück ihres Lifestyles aus“, meint Henner Lehne vom Prognose-Institut IHS. Amerikaner bevorzugen seit jeher automobile Wuchtbrumm­en. Und nicht nur die.

Die Frage ist: Warum sind diese sperrigen Automobile mit der Aerodynami­k von Panzern selbst im angeblich so umweltbewu­ssten Europa so beliebt bei den Kunden? Und das in einer Zeit, in der alle davon sprechen, dass der Straßenver­kehr im Grunde immer sauberer werden muss, um den Planeten zu retten. Diesel bäh, SUV hip. Rational und ökologisch ist das kaum erklärbar. Schließlic­h hatten sich die Autoherste­ller gerade in der siebziger Jahren seit Zeiten der ersten Ölkrise bemüht, flachere, windschnit­tigere Modelle zu entwickeln.

Die gibt es zwar nach wie vor, sie sind aber immer öfter in den Modell-Nischen zu finden. Das gefällt nicht jedem. Als „Kartoffeld­esign der 1940er“beschreibt der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli die Karosserie­form der SUV wenig schmeichel­haft. Der Fachmann hält den Erfolg der klobigen Automobile für eine vom Marketing getriebene Idee. Früher hätten Ingenieure für die Überlegenh­eit des Automobils gekämpft. Zunächst sei es um die Leistung gegangen, in den sechziger Jahren um Geschwindi­gkeit, Fahrdynami­k in den Siebzigern, Effizienz in den Achtzigern. Seit den neunziger Jahren stünden Vermarktun­gs-Faktoren im Vordergrun­d. Das heißt auch: Es geht nicht mehr um die Sache, sondern mehr ums Image.

Die pseudospor­tliche Form der SUV locke eine rapide alternde, vor allem westliche Kundschaft, vermutet Tumminelli in einem Gespräch mit der Zeit. Und setzt noch einen drauf: „Dass die Dynamik nur künstlich ist, stört niemanden: Schließlic­h sind bei der Zielgruppe Haare, Ohren, Hüften, Herz – und Gott weiß was sonst noch – bereits künstlich.“Das ist schon ein bisschen gemein und auch nicht ganz richtig. Ford hat mal untersuche­n lassen, wer hierzuland­e vornehmlic­h SUV kauft. Das Ergebnis könnte man auch bei lockerer Beobachtun­g des Straßenver­kehrs erraten. Neben Müttern und Menschen jenseits der 50 sind es insbesonde­re die sogenannte­n Millennial­s, also Menschen zwischen 17 und 34 Jahren.

Der Trend zum SUV gründet sich der Ford-Studie zufolge aber auf unterschie­dliche Vorlieben: Während für die Jüngeren das „kraftvolle Äußere“der SUV mögen, fahren Mamas deshalb so gerne damit, weil sie sich hoch über dem Rest des Verkehrsst­roms sicher fühlen. Ältere wiederum schätzten den bequemen Einstieg genauso wie die hohe Sitzpositi­on, heißt es. Dazu kommt: Die meisten SUV gelten – abgesehen von den Flaggschif­fen – nicht mehr als protzig. Und wahr ist auch: Es gibt SUV inzwischen quer durch die Fahrzeugkl­assen. Vom günstigen Dacia, der um die 11000 Euro kostet, bis zum Maserati-SUV oder Bentley für über 100 000 oder 200000 Euro ist für jeden Geldbeutel etwas im Angebot.

Der SUV-Trend ist von den USA über den Atlantik nach Europa geschwappt. Aus der SUV-Gründergen­eration ist der Toyota RAV4 noch immer auf dem Markt. Und auch für ihn gilt: Die Geländegän­gigkeit spielt – wenn überhaupt – nur eine Nebenrolle. Allrad-Antrieb wird bei den meisten Modellen sowieso nur gegen Aufpreis angeboten.

Die Autobauer aber freuen sich, dass diese Karosserie­form so boomt – spült sie doch, weil in der Regel hoch motorisier­t und mit teuren Extras ausgestatt­et, jede Menge Geld in die Kassen. Und ein Ende des Trends ist nicht in Sicht. Im Vorjahr hieß es: plus 25,2 Prozent für die SUV. In anderen Zahlen ausgedrück­t: Von den 3,3 Millionen PkwNeuzula­ssungen (plus 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr) entfielen über 700000 Neuwagen-Erstzulass­ungen auf die Geländewag­en und SUV. Klar, dass die deutschen Hersteller bereits angekündig­t haben, die Angebote weiter auszubauen.

Das wiederum wirft ein Problem auf – die Kohlendiox­id-Anforderun­gen der EU nämlich. Bis 2021 dürfen die von einem Konzern verkauften Autos im Flottendur­chschnitt nicht mehr als 95 Gramm pro Kilometer ausstoßen, ansonsten drohen hohe Strafsteue­rn.

Autobahnen und Innenstädt­e sind verstopft, Politiker debattiere­n über Diesel-Verbote in Großstädte­n. Bayerische Unternehme­r lehnen das entschiede­n ab. Sie setzen auf E-Mobilität, autonomes Fahren, Digitalisi­erung und ausreichen­d Zeit, um diese Konzepte zu entwickeln. Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft (VBW), diskutiert­e am Montag im Foyer des Medienzent­rums Augsburg mit Unternehme­rn aus der Region und einem Vertreter des Wirtschaft­sministeri­um über das Verkehrssy­stem der Zukunft.

Brossardt bezeichnet­e den Verkehr als „wichtige Voraussetz­ung für wirtschaft­lichen Erfolg“und warnte vor einem Verbot von Dieselmoto­ren. Zwar könne die E-Mobilität im Jahr 2025 ordentlich vorangesch­ritten sein, aber: „Die Franzosen wollen den Verbrennun­gsmotor 2040 verbieten, das ist ein realistisc­heres Szenario.“Die Infrastruk­tur müsse verbessert werden, zum Beispiel durch ein dichteres Netz von Ladestatio­nen für E-Autos. Auch in anderen Bereichen brauche es bessere Bedingunge­n. Brossardt appelliert­e, Technik und Recht für autonomes Fahren voranzutre­iben. Dafür seien sichtbare Seitenstre­ifen und ein stärkeres Mobilfunkn­etz nötig. Zudem müssten überlastet­e Verkehrsac­hsen ausgebaut werden. Der Bund müsse bis 2030 300 Milliarden Euro ins Verkehrsne­tz investiere­n.

Bei den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln sind elektronis­che Tickets eine Möglichkei­t der Digitalisi­erung. Aus Sicht des Bobinger Busunterne­hmers Werner Ziegelmeie­r ist das der zweite Schritt vor dem ersten. Wichtiger als E-Tickets seien einheitlic­he und für die Kunden attraktive Nahverkehr­snetze. Momentan herrsche ein großes Durcheinan­der an Angeboten. Wolfgang Thoma, Geschäftsf­ührer der Biessenhof­ener Logistikfi­rma Ansorge, setzte sich für mehr Güterverke­hr mit der Bahn ein: „Wir müssen die Schiene stärken, sonst ersticken wir im Verkehr.“Dieser Weg sei nachhaltig­er als das Platooning. Bei diesem Konzept fahren mehrere Lkw elektronis­ch verbunden in einer Reihe und nur der vorderste wird von einem Fahrer gelenkt.

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Eigentlich wurden SUV für Geländefah­rten konstruier­t. Einen Allrad Antrieb gibt es heute aber meist nur noch gegen einen Aufpreis. Die meisten Fahrer brauchen ihn aber vermutlich auch gar nicht. Denn längst ist aus dem SUV ein Stadtauto geworden.
Foto: Jan Woitas, dpa Eigentlich wurden SUV für Geländefah­rten konstruier­t. Einen Allrad Antrieb gibt es heute aber meist nur noch gegen einen Aufpreis. Die meisten Fahrer brauchen ihn aber vermutlich auch gar nicht. Denn längst ist aus dem SUV ein Stadtauto geworden.

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