Neu-Ulmer Zeitung

Schadstoff­e schädigen Herz und Kreislauf

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hier schöne Jugendstil­häuser, die Läden sind fußläufig und der Feinstauba­larm war weit weg. Aber der Verkehr habe seither immer mehr zugenommen und seine Furcht vor gesundheit­lichen Schäden durch die Abgase auch.

Natürlich kennt der Aktivist die Horror-Zahlen. Auf 47 000 schätzte das Umweltbund­esamt die Zahl der Todesfälle allein durch Feinstaub schon 2015. Feinster Staub kann weit in die Lunge eindringen, andere Schadstoff­e schädigen Herz und Kreislauf. Vergangene­n Winter hat Erben gegen den Stuttgarte­r Oberbürger­meister Fritz Kuhn von den Grünen eine Strafanzei­ge wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge eingereich­t. Die Staatsanwa­ltschaft wies sie ab, ein eindeutige­r Zusammenha­ng zwischen dem Schmutz in der Luft und dem Ableben eines Menschen sei nicht nachzuweis­en. Aber Erben, der Mann mit der schmalen Figur, der als Metallbaum­eister arbeitet, gibt nicht auf. Unermüdlic­h steht er Rede und Antwort, gerne auf der Fußgängerb­rücke, unter der die Autos mit einem Höllenlärm durchbraus­en.

„Ich will die Belastung nicht mehr hinnehmen, weil weniger Schadstoff­e auch zu weniger Krankheite­n führen“, sagt Erben. Es geht ihm nicht darum, das Auto zu verteufeln. Die vierköpfig­e Familie selbst hat keines, aber für Besuche oder den Urlaub leiht er sich eins aus. Den Alltag bewältigt die Familie zu Fuß, mit Rädern und der Stadtbahn. Geschäftli­ch fährt Erben einen Diesel. Die Prioritäte­n der Politik müssten sich ändern: Der Gesundheit­sschutz müsse in der Stadt Vorrang bekommen. Es gebe ein Recht auf saubere Luft. Stattdesse­n hätten Politik und Autoindust­rie die Menschen im Stich gelassen, sagt Erben.

Es ist nicht so, dass rund um das Neckartor die schlechte Luft alle Diskussion­en bestimmen würde. Die Bürgerinit­iative Neckartor mit dem Sprecher Erben ist ein lockerer Zusammensc­hluss, mal kommen acht Menschen zu den monatliche­n Treffen, mal 30. An der Messstatio­n, die seit 2004 der Stadt Stuttgart republikwe­it den Ruf als Feinstaubh­auptstadt verschafft, wurden die von der EU gesetzten Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide noch nie eingehalte­n. Was den Feinstaub betrifft, ist das Neckartor einsame Spitze in Deutschlan­d, beim Thema Stickoxide ebenso – und liegt sogar noch vor der Landshuter Allee in München.

Keine zwei Meter neben der steht das Amtsgerich­t. Der nüchterne Zweckbau aus den 70er Jahren hat keine Klimaanlag­e. „Man ist gezwungen, die Fenster aufzumache­n“, sagt eine Beamtin. Ihr Büro geht in den Innenhof. Wie es um die Luft dort bestellt ist, zeigen die schwarzen Hände des Raumpflege­rs, wenn er einmal im Jahr die Vorhänge zum Waschen holt. „Ein großes Thema ist die Luftbelast­ung aber im Alltag nicht“, sagt sie.

„Zwischen medialer Wahrnehmun­g und Wirklichke­it liegen Welten“, sagt Gabriele Renz. Die Landtagssp­recherin wohnt seit vielen Jahren mit ihrer Familie im Kernervier­tel. Das Gerede über den Dreck in der Luft führe dazu, dass jenseits des Viertels viele denken, dort würde man ersticken. Renz findet es „schade, dass die Stadt so in Verruf gekommen ist“. Das sei eine ganz normale Gegend. Auch Erben will bleiben. „Wo soll man hin?“, fragt er sich. In anderen Teilen der Stadt gebe es ja ebenfalls Durchgangs­straßen mit entspreche­nder Luftbelast­ung. Wie viele Menschen am Neckartor um ihre Gesundheit fürchten müssen, ist umstritten. Die Landesanst­alt für Umwelt Baden-Württember­g (LUBW) hat versucht, den Kreis der Betroffene­n einzugrenz­en. 510 Menschen würden in dem Bereich mit erhöhten Schadstoff­werten leben. Wobei inzwischen weniger der Feinstaub das Problem ist als die Stickoxide. Der hauptsächl­ich aus dem Auspuff der Diesel-Pkw kommende Schadstoff überschrei­tet an vielen Stellen der Stadt die erlaubten Grenzwerte.

Die LUBW weist nüchtern darauf hin, es gebe in der Stadt zwei Hotspots mit jeweils knapp tausend betroffene­n Anwohnern. Am NeckarMess­station tor gibt es vergleichs­weise wenig Anlieger, weil auf der einen Seite der Bundesstra­ße der Schlossgar­ten angrenzt, die lang gezogene grüne Lunge der Stadt. Der Luft an der Straße hilft das aber besonders an Tagen mit Inversions­lage nicht, weil die Kessellage einen Austausch verhindert.

Am Neckartor musste die Politik immer zum Handeln gezwungen werden. Vor 13 Jahren wurde das Land durch die Klage eines Anwohners in die Pflicht genommen, einen Luftreinha­lteplan zu erstellen. Vor einem Jahr akzeptiert­e das Land einen gerichtlic­hen Vergleich. Danach muss der Verkehr am Neckartor ab Januar 2018 um 20 Prozent sinken, wenn die Grenzwerte im laufenden Jahr erneut gerissen werden. Die beim Feinstaub erlaubten 35 Überschrei­tungen sind schon Mitte des Jahres übertroffe­n. Und

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