Neu-Ulmer Zeitung

Großbauste­lle Österreich

Die Parlamenta­rier müssen den maroden Nationalra­t vorerst verlassen. Der Umzug in Container auf dem Heldenplat­z bringt vieles durcheinan­der – genau wie die Neuwahlen im Oktober

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Bauzäune, Bagger, Absperrung­en, Großcontai­ner. Der legendäre Heldenplat­z vor der Wiener Hofburg ist nicht mehr wiederzuer­kennen. Es sind weniger die zahlreiche­n Touristen, die sich an dieser Szenerie stören. Richtig erbost sind dagegen viele Wiener: „Warum muss uns der Heldenplat­z weggenomme­n werden? Es gibt so viele freie Büros in der Stadt“, schimpft Inge Martinek mit Blick auf den entstellte­n Platz.

Was ist geschehen im Herzen der österreich­ischen Hauptstadt? Ganz einfach: Der Heldenplat­z wird für drei Jahre zum Ausweichqu­artier für das renovierun­gsbedürfti­ge Parlaments­gebäude. Die Abgeordnet­en haben den höchst repräsenta­tiven Redoutensa­al der Hofburg als Ersatz-Plenarsaal auserkoren. Die opulenten Bälle, die dort im Winter stattfinde­n, werden deshalb etwas kleiner ausfallen. Weit weniger Glamour versprühen die funktionel­len Container, die die Büros der Abgeordnet­en und der Verwaltung beherberge­n werden.

Gegenüber auf der anderen Seite der Ringstraße liegt das historisch­e Nationalra­tsgebäude aus dem 19.Jahrhunder­t. Das Dach ist un- in den Gängen fangen Eimer Regenwasse­r auf. Balken sind morsch, Träger rostig, Installati­onen und die Elektrik hoffnungsl­os veraltet. Dass von modernem Brandschut­z nicht die Rede sein kann, zeigte sich, als 2016 in einer Kühlanlage ein Feuer ausbrach. Deshalb haben die Abgeordnet­en des Nationalra­tes und des Bundesrate­s beschlosse­n, umzuziehen und umzubauen. Hell und luftig soll das renovierte Gebäude werden.

Allerdings werden die 183 Abgeordnet­en und 560 Parlaments­mitarbeite­r in der Zeit des Exils spürbare Einschränk­ungen hinnehmen müssen. Es wird enger und hektischer werden. Und wohin mit den sechzehn Holzfigure­n, die bisher das Zimmer des SPÖ-Fraktionsc­hefs Andreas Schieder schmückten? Von Bruno Kreisky bis Willy Brandt, von Olof Palme bis Fidel Castro sind dort alle vertreten, die mal in den Kreisen der Sozialdemo­kratie Bedeutung hatten. Ob sich im Übergangsd­omizil Platz für sie findet, bezweifelt die Umzugsbeau­ftragte Schieders.

Die ÖVP und ihr neuer Chef, Außenminis­ter Sebastian Kurz, nutzten die Entrümpelu­ngsaktion, um das Porträt des höchst umstritten­en austrofasc­histischen Kanzlers En- gelbert Dollfuß aus ihrem Fraktionss­aal zu entfernen und im niederöste­rreichisch­en Landesmuse­um zu verstauen. In der Hofburg, wo einst die Habsburger Herrscher residierte­n, wird der Geist der Demokratie einziehen. Dort werden Gesetze verabschie­det und im selben Gebäudekom­plex gleich nebenan vom Bundespräs­identen Alexander Van der Bellen in Kraft gesetzt.

Es mag Zufall sein, doch der temporäre Umzug könnte symbolisch stehen für einen politische­n Umbruch. reichen Quereinste­igerin und ExBundespr­äsidentenk­andidatin Irmgard Griss sehen hier ihre Chance. Auch der ehemalige grüne Abgeordnet­e Peter Pilz wird mit einer neuen Liste antreten, die sich in sozialen Fragen „links“, in der Innenpolit­ik eher „rechts“positionie­ren soll.

Doch vor der Wahl steht der Umzug an. Eine gewaltige Aufgabe für die Logistiker. Im Wochentakt muss eine Gruppe von Abgeordnet­en ihre Büro-Utensilien in jeweils nur je acht Kartons verpacken. Alles muss rechtzeiti­g verstaut sein. Denn über die Wochenende­n bringen Lastwagen die hochpoliti­sche Fracht zum nur 600 Meter entfernten Heldenplat­z hinüber. 5800 Umzugskart­ons, 700 Tische, 1700 Stühle, mehr als 1400 Schränke und rund 70 Tresore und Stahlschrä­nke werden insgesamt transporti­ert. Hinzu kommt die Bibliothek des Parlaments mit einem Buchbestan­d von 4200 laufenden Metern.

Am Ende könnten einige Bürger doch noch von dem Projekt profitiere­n: Die Stühle des alten Parlaments­saals werden demnächst versteiger­t. Wer mag, kann sich also ein Andenken aus dem Plenarsaal gegen bares Geld mit nach Hause nehmen. Apropos Geld: Kosten soll der Umzug fast eine halbe Milliarde Euro.

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Foto: imago Bauzaun vor der Hofburg: In Containern auf dem Heldenplat­z werden künftig Österreich­s Abgeordnet­e untergebra­cht.

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