Neu-Ulmer Zeitung

Der große Traum vom Wohnmobil

Die Deutschen frischen ihre Beziehung zum Wohnwagen wieder auf. Doch die Reise-Freiheit ist leider teuer

- VON FABIAN VON POSER

Es ist nicht lange her, da haben die Deutschen ihre Beziehung zum Wohnwagen neu definiert und lange für unüberwind­bar geglaubte Klischees in den Wind geschickt: Der Caravan gilt wieder als schick. Und das Wohnmobil erlebt einen Boom.

2016 war ein Erfolgsjah­r für die Caravaning-Branche. Laut den Zahlen des Caravaning Industrie Verbandes (CIVD) in Frankfurt, in dem zahlreiche Hersteller und deren Zulieferer organisier­t sind, wurde 2016 mit fast 55000 neu zugelassen­en Freizeitfa­hrzeugen das beste Ergebnis seit 1991 erzielt. Daniel Rätz ist einer, der versucht, das verstaubte Image aufzupolie­ren, denn er arbeitet für den CIVD. Woher also kommt der plötzliche Imagewande­l? „Caravaning trifft da schlicht den Nerv der Zeit“, sagt Rätz.

Raphael Meese, Produktman­ager bei Camperdays.de, nach eigenen Angaben der größte Online-Anbieter für Mietwohnmo­bile, kann das bestätigen. „Die Leute wollen ma- chen, was ihnen gefällt. Der Trend geht zum individuel­len Urlaub. Da ist das Wohnmobil einfach perfekt.“Auch die Vermietung von Reisemobil­en boomt. 2015 hat Camperdays.de etwa 140 000 Bettentage vermittelt, im Jahr 2016 hat sich die Zahl auf 280000 verdoppelt. Nach Schätzunge­n des CIVD hat das Segment in den vergangene­n drei bis fünf Jahren branchenwe­it um etwa 50 Prozent zugelegt.

Trotz moderner Ausstattun­g sind die Abmessunge­n der neuen Fahrzeuge kompakt. Das hat einen einfachen Grund: Seit der Führersche­inreform im Jahr 1999 sind in der Fahrerlaub­nisklasse B, dem ehemaligen Dreier-Führersche­in, nur noch Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen Gesamtgewi­cht zugelassen. „Die Hersteller wollen die Zielgruppe möglichst groß halten, deswegen wiegen die meisten Reisemobil­e unter diesem Grenzwert“, sagt Meese. Der Vorteil für den Kunden: Die Fahrzeuge sind auch in der Stadt leicht zu fahren. Attraktiv seien die neuen Reisemobil­e aber nicht nur wegen der geschrumpf­ten Maße, sondern auch durch den Komfort. Und es gibt jede Menge verrückter Features wie elektrisch­e Hubbetten, einen integriert­en Grill, den man wie Schublade aus der Rückwand zieht, und sogenannte Slider, die rechts und links ausfahren, um den Wohnraum zu vergrößern.

Der Vorteil eines Reisemobil­s liegt auf der Hand: Anders als im Reisebus ist das eigene Gefährt ein privater, abgeschlos­sener Raum. Man kann sich die Mitfahrer selbst aussuchen und reist komfortabl­er. Besonders gefragt sind bei Camperdays.de derzeit die USA und Kanada sowie Australien und Neuseeland mit je 30 Prozent Buchungsan­teil, Deutschlan­d mit 25 Prozent und Skandinavi­en mit 15 Prozent. Dabei geht es den meisten Kunden in erster Linie gar nicht um das Land. „Wir haben mittlerwei­le viele Kunden, die einfach nur Urlaub mit dem Wohnmobil machen wollen, wo ist zweitrangi­g“, sagt Meese.

Doch auch das ist Fakt: Günstig ist Wohnmobil-Urlaub nicht. Zwar gibt es zum Beispiel in Neuseeland einen einfachen Minibus schon ab 18 Euro pro Tag in der Nebensaiso­n. In Island dagegen stiegen die Preise im Boom-Sommer 2016 auf bis zu 500 Euro am Tag für ein komfortabl­es Mobil. Der Durchschni­ttspreis pro Tag liegt irgendwo dazwischen.

Auch bei der Kundschaft hat sich einiges verändert. Immer mehr junge Familien sehen den Wohnmobilu­rlaub als optimale Möglichkei­t zu reisen. Mit sogenannte­n Van Conversion­s, also ausgebaute­n Kastenwage­n, sprechen die Hersteller auch sie an. Auch der Caravan ist wieder im Kommen, so Daniel Rätz. Die Wohnwagen-Verkäufe verzeichne­ten laut CIVD einen Zuwachs von 18,5 Prozent seit 2013.

Und was sollte man bei einer Anmietung eines Reisemobil­s beachten? Raphael Meese von Camperdays.de rät vor allem, sich rechtzeiti­g um ein Wohnmobil zu kümmern, denn die Nachfrage übersteige das Angebot bei Weitem. „Für die Hochsaison in Australien und Neuseeland zwischen November und Februar empfiehlt es sich, spätestens im August oder September zu buchen“, sagt Meese.

Angesichts der enormen Nachfrage blickt die Caravaning-Branche optimistis­ch in die Zukunft. Am Image wollen die Verantwort­lichen trotzdem weiter feilen. Anfang des Jahres hat der CIVD eine neue Imagekampa­gne gestartet. Vor der Tagesschau und auf vielen anderen Kanälen laufen seitdem in der Schweiz aufgenomme­ne Werbespots, die den Deutschen den Urlaub im eigenen Reisemobil schmackhaf­t machen sollen. Vorbei ist es mit dem Klischee „billig“.

Die Spots zeigen ein Paar im Reisemobil und eine Familie im Caravan unterwegs in der Schweiz. Nicht fehlen dürfen dabei die aufs Heck geklemmten Räder, die spontane Käseprobe beim Senner und der Bachblick zum Frühstück. „Die Spots vermitteln die Kernwerte dessen, was den Urlaub im Reisemobil ausmacht: Freiheit, Natur und Unabhängig­keit“, sagt Rätz. Um frei zu sein, bedarf es offensicht­lich wenig. Zufälle verlieren nie ihre Faszinatio­n. Kaum sagen wir dem netten Taxifahrer am Flughafen von Stockholm, wo wir hin möchten, in den neuen Stadtteil Hammarby nämlich, antwortet er: „Kein Problem, ich kenne mich aus, da wohne ich.“Und schon sind wir mitten im Gespräch. Dass Stockholm zu den am stärksten wachsenden Hauptstädt­en Europas zählt und das komplett neue Viertel Hammarby dafür eigentlich der beste Beweis sei. Dass seine Frau es war, die in eine dieser modernen Wohnungen ziehen wollte, und er sich zwar so langsam auch wohl fühle, er aber vieles zu künstlich, als zu wenig gewachsen empfinde. Alles sei halt noch so neu. Aber langsam werde es, sagt er und lächelt.

Ursprüngli­ch sei das Viertel für die Bedürfniss­e älterer Leute konzipiert worden, mittlerwei­le wohnen aber auch viele Familien hier. Die mögen das Leben am Wasser mit einem kleinen Fährhafen, Kanälen die sich durch die Gebäuderei­hen ziehen, Sitzinseln in der Sonne mitten ins Wasser gebaut. Stadtplane­r und Architekte­n kämen mittlerwei­le aus der ganzen Welt, um zu sehen, wie aus der alten, herunterge­kommenen Industrieb­rache ein moderner Stadtteil wurde.

Hier steht ein moderner Häuserbloc­k neben dem nächsten. Und so ein Häuserbloc­k mit viel Glas und klaren Linien an der Fassade ist auch das Motel L, das seinen Namen von seiner L-Form um eine Straßeneck­e hat. Ein riesiges Haus mit langen Gängen zu den Zimmern, die klein, hell, bunt und funktional eingericht­et sind, einer bunten stylischen Lobby, in der auch gefrühstüc­kt wird.

Unter der Woche, wenn weniger Gäste da sind, funktionie­rt auch alles gut, sogar Zimtschnec­ken gibt es und Knäckebrot sowieso. Im Wochenendb­etrieb, wenn die Städtereis­enden nach Stockholm strömen, ist das Motel L deutlich an seinen Kapazitäts­grenzen. Keine Sitzplätze mehr in der Frühstücks­lobby, kein Besteck mehr, keine Teller, keine Zimtschnec­ken – und keine Ahnung, wo der nette Taxifahrer und seine Frau wohnen. Da gäb’s bestimmt alles. Doris Wegner

 ??  ?? Motel L, Hammar by Allé 41, 120 30 Stockholm, Netz: https://li gula.se/motel l, Tel. 0046/ 8 409 026 00, DZ ca. 70 Euro ohne Früh stück.
Motel L, Hammar by Allé 41, 120 30 Stockholm, Netz: https://li gula.se/motel l, Tel. 0046/ 8 409 026 00, DZ ca. 70 Euro ohne Früh stück.

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