Neu-Ulmer Zeitung

„Ein großartige­r Tag im Weißen Haus!“

In Washington geht es drunter und drüber. Donald Trump feuert einen Mitarbeite­r nach dem anderen. Es sind Geschichte­n voll von Intrigen und Machtkämpf­en. Nur der Präsident hat mal wieder seine ganz eigene Sicht der Dinge

- VON MICHAEL STIFTER

Es kommt nicht besonders oft vor, dass eine Nachrichte­nsprecheri­n eine politische Meldung vorliest und die Kollegen im Fernsehstu­dio spontan in Gelächter ausbrechen. Katy Tur ist genau das passiert. Sie arbeitet für den amerikanis­chen Sender MSNBC und bekam live auf Sendung die Informatio­n, dass Donald Trump gerade mal wieder jemanden gefeuert hat. Die eigentlich­e Botschaft ist aber in ihrem Gesicht zu lesen. Ein ungläubige­s Lächeln, ein leichtes Kopfschütt­eln, ein kurzes Zögern und die unausgespr­ochene Frage: Was um alles in der Welt ist denn da los im Weißen Haus?

In der an skurrilen Momenten nicht gerade armen Amtszeit des Präsidente­n markieren die vergangene­n zehn Tage einen neuen Tiefpunkt. Die amerikanis­chen Kabarettis­ten sind nicht zu beneiden: Keine Parodie kommt an das absurde Schauspiel heran, das sich gerade im realen Washington abspielt. Die Hauptrolle im jüngsten Akt über- nimmt ein Mann, den sie in Amerika „The Mooch“nennen – das lässt sich wahlweise mit Schmarotze­r oder Speichelle­cker übersetzen. Sein richtiger Name ist Anthony Scaramucci. Er kommt von der Wall Street, trägt Brioni-Anzüge und teure Krawatten. Gegen den erbitterte­n Widerstand seiner eigenen Mitarbeite­r macht Trump den Finanzhai und Talkshowma­ster zu seinem Wunderwaff­e, die sich dummerweis­e binnen kürzester Zeit als lose Kanone entpuppt, die kreuz und quer durch die Gegend ballert.

Im Gespräch mit einem Journalist­en zieht „The Mooch“derart unflätig über Kollegen im Weißen Haus her, dass sich die Deutsche Presseagen­tur gar nicht erst traut, ihn wörtlich zu zitieren. Neben Trumps rechtspopu­listischem Oberstrate­gen Stephen Bannon (Zitat Scaramucci: „Ich bin nicht Steve Bannon. Ich versuche nicht, meinen eigenen Schwanz zu lutschen.“) gerät vor allem Stabschef Reince Priebus in die Schusslini­e. Als der neue Kommunikat­ionschef ihn als „fucking paranoiden Schizophre­nen“bezeichnet, ist klar, dass nur einer von beiden in Washington überleben wird. Kurze Zeit später ist Priebus weg. Und der nächste Akt ist eröffnet.

Darin sucht Trump jemanden, der endlich für Ordnung in seiner völlig aus dem Ruder gelaufenen Truppe sorgt. Und er findet ihn. John F. Kelly ist ehemaliger VierSterne-General der Marines. Ein knallharte­r Typ. Der Präsident liebt knallharte Typen. Kelly sei eine „fantastisc­he Führungspe­rsönlichke­it“, sagt Trump, als er seinen neuen Stabschef im Oval Office vorstellt. Er werde einen „spektakulä­ren Job“machen. Zumindest damit sollte er recht behalten. Denn schon mit seiner ersten Amtshandlu­ng bringt Kelly Nachrichte­nsprecheri­n Katy Tur und ihre Kollegen zum Machtkämpf­e und Intrigen im Weißen Haus geht, werden wieder einmal die Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen haben: Die Realität ist momentan realitätsf­erner als jedes Drehbuch.

Scaramucci wird schnell zum Opfer seiner eigenen Großmäulig­keit. Das Internet ist der Tummelplat­z der Schadenfro­hen: Schauspiel­erin Kate Hudson präsentier­t ein überarbeit­etes Plakat ihres Kino-Hits „Wie werde ich ihn los in 10 Tagen?“– mit Trump und Scaramucci in den Hauptrolle­n. Ein anderer Twitter-Nutzer attestiert dem armen Kerl, der im Weißen Haus für die Namensschi­lder an den Bürotüren zuständig ist, erhöhte BurnoutGef­ahr. Und was macht Donald Trump? Der mächtigste Mann der Welt, der seine Mannschaft schon mal ernsthaft als „gut geölte Maschine“bezeichnet hat, verblüfft auch in diesem Moment mit einer ganz eigenen Sicht der Dinge. Als es Abend wird in Washington und sich die Aufregung langsam legt, zieht er Bilanz – und twittert: „Ein großartige­r Tag im Weißen Haus!“

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