Als die Druckgrafik boomte
Warhol, Lichtenstein & Co.: In den Nachkriegsjahrzehnten entdeckten US-Künstler die Vervielfältigung als Ausdrucksmedium. Viele dieser Motive haben unser Bildgedächtnis erobert
„Grafik ist kein zweitrangiges Medium, sondern ein anderes.“Das sagte die Chefin der 1957 gegründeten New Yorker Druckwerkstatt ULAE, Tatyana Grosman, die zu den Wegbereitern des großen Grafik-Booms in der amerikanischen Nachkriegskunst wurde. Wie recht sie damit hat, zeigt nun eine große Ausstellung mit amerikanischer Auflagen-Kunst der Jahre 1960-1990 in der Staatsgalerie Stuttgart. Die verfügt über einen auch im internationalen Vergleich herausragenden Sammlungsbestand von 1200 Blättern von über 130 Künstlern amerikanischer Grafik.
Eine Auswahl von 200 Grafiken illustriert die Bedeutung dieses Mediums für die Avantgarde in den USA – als Experimentierfeld, als eigenständiger Teil des Oeuvres, als Möglichkeit, die Verbreitung von Kunst zu demokratisieren und viele Menschen zu erreichen. Die Druckgrafik, so die Ausstellungsmacher, erwies sich in den aufwühlenden Jahrzehnten, die die USA nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten, „als kongeniales Medium, um auf die politischen und sozialen Umwälzungen zu reagieren“. Alle Strömungen nutzten den Druck als Ausdrucksmittel – abstrakte Expressionisten ebenso wie Künstler der Minimal Art, Pop Art und Konzeptkünstler.
Der Reiz der Ausstellung „The Great Graphic Boom“, die in der Konzentration auf nur 22 Künstler auch die Möglichkeit nutzt, Werkkomplexe und große Serien zu präsentieren, liegt im Nebeneinander ganz unterschiedlicher künstlerischer Handschriften im Medium Druckgrafik. Natürlich ist Andy Warhol dabei, der hohe Auflagen – oft 300 Exemplare – liebte und seine Werke auch auf Einkaufstüten drucken ließ.
Das Beispiel Warhol zeigt, wie sehr die Staatsgalerie aus dem Vollen schöpfen kann: So füllen die Farbsiebdrucke mit zehn Varianten der berühmten „Campbell’s Soup“-Dosen eine ganze Wand, die „Marilyn“-Köpfe leuchten als Achter-Block ebenfalls wandfüllend. Überall Ikonen der Nachkriegskunst – die „Warhol-Galerie“in der Ausstellung führt vor Augen, wie stark diese Motive das Bildgedächtnis erobert haben. Und: den Kunst- markt. Die Wertsteigerung der einst als Jedermann-Gelegenheit günstig ausgepreisten Auflagenkunst ist atemberaubend. Gleich neben dem Warhol-Raum sind Grafiken des anderen großen Pop-Art-Stars der 1960er Jahre, Roy Liechtenstein, zu sehen – typische Comicbilder, aber auch ungewöhnliche Blätter, bei denen Liechtenstein mit dem Druck auf eine blaue Plastikfolie neue Effekte erzielte.
Mit Auflagen sparsamer war Robert Rauschenberg, der in der Lithografie immer größere Formate erreichte – bei Serien, die deutlich exklusiver waren als bei Warhol. 28, 38, selten mehr als 70. Die Drucktechnik kam Rauschenbergs Prinzip der Collage aus Schriftzügen, Zahlen, Farbflächen und Zeitungsfotografien entgegen. Die Künstler waren auf versierte Werkstätten angewiesen, die nach 1960 in den USA entstanden. Es war ein anderes Arbeiten als allein im Atelier. „Ein Teil des Vergnügens am Drucken ist die Zusammenarbeit mit anderen Menschen, die man bei Gemälden nicht hat“, bekannte etwa Jasper Johns, dessen in Stuttgart gehängten Arbeiten die vielfachen Möglichkeiten, in Varianten zu drucken, ebenso zeigen wie das Wechselspiel von winzigen und großen Formaten.
Alles in dieser Hinsicht bis dahin Gekannte stellte Richard Serra in den Schatten, der die Grenzen des Mediums auslotete mit Drucken, die wie die Lithografie „Père Lachaise“von 1990 eine Blattgröße von 118 mal 190 Zentimeter erreichten! Solche monumentalen Papiere kontrastieren in der Ausstellung ebenso wie die sehr farbigen Blätter von Sam Francis oder Helen Frankenthaler mit klassischen feinen Radierungen etwa von Cy Twombly oder Louise Bourgeois.
Warum die Staatsgalerie parallel zur Schau „The Great Graphic Boom“eine Nebenausstellung mit Auflagenkunst der Pop Art abgetrennt hat, erschließt sich nicht ganz. Wer einmal quer durchs Haus geht, findet im Graphik-Kabinett in der Ausstellung „Pop Unlimited“weitere Druckwerke etwa von Mel Ramos, James Rosenquist und Claes Oldenburg. Natürlich darf Andy Warhol auch hier nicht fehlen. O
bis 5. November. Di So 10 18, Do bis 20 Uhr. Katalog 24,90 ¤ Kathas Leben ist ein immerwährendes Versteckspiel: Egal, ob im Sportunterricht oder bei spontanem Besuch – immer besteht die Gefahr, dass jemand hinter ihr Geheimnis kommt. Und das will sie auf jeden Fall verhindern. Katha hat Alopezie, eine krankhafte Form von Haarausfall. Ein Thema, über das man sich als Teenager eigentlich keine Gedanken machen will. Durch die Krankheit aber kreisen Kathas Gedanken statt um lästige Hausaufgaben und die nächste Party mit Freunden nur um folgende Fragen: Wie kann sie verhindern, dass jemand von ihrem Haarausfall erfährt? Welches Tuch kann sie sich stylish um den Kopf wickeln und wie muss sie ihren Zopf binden, um erste kahle Stellen zu verdecken?
Die Angst der 16-Jährigen vor Ausgrenzung und Ablehnung ist groß. Sie traut sich nicht einmal, ihre besten Freundinnen Thea und Charlie einzuweihen. Und dann ist da auch noch Mitschüler Jasper, der ihr Leben durcheinanderwirbelt. Der ist seit seiner Ankunft an der Schule schon immer ein Punkt auf ihrem Radar gewesen. Doch obwohl Katha sich sicher ist, dass er ihr „nie nahekommen wird“, versucht er genau das – und lässt sich auch nicht von Kathas zurückweisender Art abschrecken.
Zu Hause erwarten Katha weitere Baustellen: Ihr Vater, der um die Alopezie kein großes Aufheben machen will, steht da ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter: Die schleppt die junge Frau von Facharzt zu Facharzt, immer auf der Suche nach der durchschlagenden Heilungsmethode. Doch die scheint es einfach nicht zu geben, was Kathas Mutter nur noch eifriger und verzweifelter suchen lässt.
„Nichts wünsche ich mir mehr“, erzählt Kathas Geschichte im Wechsel verschiedener Zeitebenen: Passagen, die von der Entdeckung ihrer Krankheit handeln, wechseln sich mit ihrem Leben aus dem Hier und Jetzt ab. Das – und die eindrückliche, schnörkellose Sprache – gibt dem Roman Tempo. Außerdem zeigt Lena Hach in ihrem Buch eindrücklich die Wandlung von Kathas Einstellung zu ihrem Körper und zu ihrer Krankheit auf. Aus anfänglicher Angst wird am Ende die Selbstverständlichkeit, dass die Alopezie einfach zu ihr gehört. (aat)
Beltz & Gelberg, 206 S., 12,95 ¤ – ab 14 Jahre