Anatolien in der Au?
Als Sehnsuchtsland der Deutschen gilt ja gemeinhin Italien. Da ist es warm, da gibt es Meer, Wein, Nudeln, reichlich alte Steine und manchmal auch „amore“. All das bietet Frankreich im Prinzip auch, obwohl das mit der Wärme in der Bretagne eher relativ ist, dafür bietet mancher Tag gleich vier Jahreszeiten auf einmal. Und Paris gilt ja als Stadt von „l’amour“schlechthin. Dennoch rangiert Frankreich in der Liste der beliebtesten Urlaubsziele deutlich hinter StiefelLand. Woran das liegt? Vermutlich an der Sprache, die für steife Teutonenzungen nicht gemacht ist. Vielleicht hat sich deshalb das Französische Dorf in der Ulmer Friedrichsau so lange halten können, weil dort bei der Weinbestellung bevorzugt auf Schwäbisch geantwortet wurde und niemand cuisses de grenouille ordern musste, wenn er Froschschenkel wollte. So konnten wir ein wenig savoir vivre genießen, ohne uns beim Sprechen das Hirn zu verknoten oder uns komplett zum Horst zu machen, wie einst der Schreiber dieser Zeilen. Vor einigen Jahren wollte er im Frankreichurlaub einem freundlichen Herrn sagen, dass er eben sehr nett sei („vous êtes très gentil“), doch er sagte stattdessen: „Vous êtes très jolie“– Sie sind sehr hübsch.“Da schaute der Herr befremdet.
Was sollte also an Stelle des kleinen gallischen Dorfes im Sommer die trink- und essfreudigen Gäste anziehen? In der Rangliste der beliebtesten Urlaubsziele rangiert Australien knapp vor Frankreich. Aber Känguruh-Burger und Krokodilschnitzel gelten kulinarisch als vermutlich schwer vermittelbar. Die Türkei hat derzeit einen schweren Stand, und es würde ja auch nichts bringen, für das „kleine anatolische Dorf“all die eh schon bestehenden Döner-Buden aus der Innenstadt abzuziehen und für vier Wochen in die Friedrichsau auszulagern.
Das beliebteste Ziel der Deutschen ist sowieso Deutschland. Aber: Wer will das „kleine vorpommersche Dorf“oder „den kleinen Ruhrpott“? Schade, dass die Franzosen nächstes Jahr weg sind.