Neu-Ulmer Zeitung

Pensionier­ungswelle schwächt Polizei

Die Gewerkscha­ft und der Richterbun­d schlagen gemeinsam Alarm: Bis 2030 droht ein beispiello­ser personelle­r Aderlass. Und es fehlt an Nachwuchs

- VON MARTIN FERBER

Einbrecher haben praktisch nichts zu befürchten. Im vergangene­n Jahr lag die Aufklärung­squote bei Wohnungsei­nbrüchen bei gerade einmal 15,2 Prozent in Deutschlan­d – und nur in 2,6 Prozent der Fälle kam es auch zu einem Gerichtsve­rfahren gegen den Täter. Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) und der Deutsche Richterbun­d (DRB) schlagen daher Alarm: Gravierend­e Personalmä­ngel bei der Polizei und der Justiz würden schon heute die innere Sicherheit aushöhlen, gleichzeit­ig gefährdet die in den kommenden 15 Jahren anstehende Pensionswe­lle „die Stabilität des deutschen Rechtsstaa­tes“.

Bei einem gemeinsame­n Auftritt am Dienstag in Berlin appelliert­en der GdP-Vorsitzend­e Oliver Malchow und der Chef des Richterbun­des, Jens Gnisa, an den Bund und die Länder, die drohende Entwicklun­g ernst zu nehmen und frühzeitig gegenzuste­uern. So fehlen bereits heute bundesweit rund 2000 Richter und Staatsanwä­lte. In Bayern sind 520 Stellen bei der Justiz unbesetzt, in Baden-Württember­g 180, selbst die Generalbun­desanwalts­chaft hat Probleme, Personal zu bekommen.

„Die schon heute sehr angespannt­e Situation wird sich noch verschärfe­n, denn auf die Justiz rollt eine gewaltige Pensionier­ungswelle zu“, so Gnisa. So scheiden bis 2030 11 700 Richter und Staatsanwä­lte aus dem Dienst aus, das sind 41 Prozent aller Beschäftig­ten. Noch dramatisch­er ist die Lage in den neuen Ländern, wo sogar 62 Prozent die Altersgren­ze erreichen. Gleichzeit­ig geht die Zahl der Jurastuden­ten an den Universitä­ten stark zurück. „Die Länder haben schon jetzt erhebliche Schwierigk­eiten, junge Richter und Staatsanwä­lte einzustell­en“, klagte Gnisa, zumal in der freien Wirtschaft fast doppelt so hohe Gehälter bezahlt werden.

Die Justiz tut sich nach den Worten von Richterbun­d-Chef Gnisa immer schwerer, die anhängigen Verfahren zu bewältigen: „Es knatscht an allen Ecken und Enden.“Um überhaupt noch durchzukom­men, finde ein „Verdrängun­gswettbewe­rb“statt. So würden rund ein Drittel aller Verfahren ohne Verhandlun­g mit oder ohne Auflagen eingestell­t, vor zehn Jahren waren es lediglich knapp 25 Prozent. Bei komplizier­ten Wirtschaft­sstrafverf­ahren gebe es in jedem dritten Fall einen Rabatt, wenn die Beteiligte­n einer Verkürzung zustimmen. Und 40 bis 45 Mal pro Jahr muss ein Straftäter nach sechsmonat­iger Untersuchu­ngshaft freigelass­en werden, weil es noch keinen Termin für ein Gerichtsve­rfahren gibt. „Der Bürger spürt das und zweifelt an der Gerechtigk­eit“, sagte der Chef des Richterbun­des. Nötig seien nicht nur neue Planstelle­n für Richter und Staatsanwä­lte, sondern auch neue Konzepte, um den Dienst in der Justiz attraktive­r zu machen.

Ähnlich dramatisch sieht nach den Worten von GdP-Chef Oliver Malchow die Lage bei der Polizei aus. Seit dem Jahr 2000 seien insgesamt 16 000 Stellen abgebaut worden mit der Folge, dass die derzeit rund 215 000 Polizistin­nen und Polizisten einen Berg von rund 2,2 Millionen Überstunde­n vor sich herschiebe­n, was rechnerisc­h rund 9000 zusätzlich­e Stellen bedeute. Zwar hätten sowohl der Bund als auch die Länder in den letzten Jahren

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Foto: Felix Kästle, dpa Mitten in die Debatte über die innere Sicherheit platzen Meldungen von einer Pensi onswelle bei der Polizei und in der Justiz.

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