Werden Boning und Hoëcker jetzt Hörspiel Stars?
Amazon und dessen Tochterfirma Audible wollen mithilfe der Comedians einen neuen Markt erschließen. Wie schon bei seiner ersten deutschen TV-Serien-Produktion setzt der Konzern dabei auf Prominente
Wigald Boning steht vor seinem Mikrofon. Bernhard Hoëcker sitzt. Mit ihnen im Raum sind Felix Strüven und Detlef Tams. Tommy Krappweis, im Nebenraum auf einer Couch, liest die Regieanweisung: „Welf lächelte zufrieden und lehnte sich an eine Säule.“Auf einem Fernseher, der ein Livebild aus dem Studio überträgt, kann er die vier Sprecher beobachten, die ihn über ihre Kopfhörer hören. Detlef Tams, der den Werwolf „Welf“spricht, lehnt sich tatsächlich an eine imaginäre Säule, ehe er spricht.
Sehen wird das später niemand. Im Münchner Vorort Otterfing nehmen die Schauspieler Strüven („Wilsberg“) und Tams („Großstadtrevier“, „Notruf Hafenkante“) zusammen mit den Comedy-Veteranen Boning und Hoëcker das Hörspiel „Ghostsitter“auf. Die zugrunde liegenden Bücher hat Krappweis, der Erfinder der KiKA-Kinderfigur „Bernd das Brot“, geschrieben. Er führt jetzt auch Regie.
Produziert wird das Hörspiel von Amazon und seiner Tochter Audible. Der Hörspielmarkt ist für den US-Konzern ein weiteres Segment, in dem er ein bislang erfolgreiches Prinzip anwendet: Im Videobereich produziert Amazon schon seit längerem eigene Inhalte. Mit „You are Wanted“startete dort im März die erste deutsche Serien-Eigenproduktion. Von und mit dem SchauspielStar Matthias Schweighöfer.
Jetzt also Hörspiele. Und das, obwohl die Produktion eines Hörbuches billiger wäre. Hörbücher kommen mit einem Sprecher aus. Hörspiel-Aufnahmen mit mehreren Schauspielern, in diesem Fall Prominenten, kosten wesentlich mehr Geld. Und dann sollen die Sprecher auch noch gleichzeitig im Studio sein. Krappweis ist sich dennoch sicher, dass sich der Aufwand lohnt: „Viele Pointen entstehen erst, wenn man zusammen spricht.“Und weil alles möglichst natürlich klingen soll, sitzt Bernhard Hoëcker – denn der Archivar aus „Ghostsitter“, dem er seine Stimme leiht, sitzt in der Vorlage eben auch. „Ich finde das einfacher, weil sich die Körperhaltung in der Sprache widerspiegelt“, erklärt Hoëcker.
Amazon schafft mit „Ghostsitter“einen Exklusivinhalt: Ab Oktober gibt es acht Folgen, jeweils mindestens eine Stunde lang, auf Amazon Music und Audible zum Download. Es ist erst das sechste Mal, dass der Konzern für den deutschsprachigen Markt ein eigenes Hörspiel produziert.
Jan Decker findet das bemerkenswert. Er ist Hörspielautor, unterrichtet an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und an der Uni Osnabrück. Decker sagt: „Amazon versucht, ein populäres Hörspiel zu machen.“Er selbst schreibt vor al-
Hörspiele für die öffentlichrechtlichen Radiosender. Etwa „Der Bergfex“über den Bergsteiger und Filmemacher Luis Trenker und dessen Versuche, sich gegen die Vereinnahmung der Nazis in den 1930er Jahren zu wehren. Für ein Hörspiel dieser Art, sagt Decker, sei er mit den Zuhörerzahlen sehr zufrieden
Was nicht heißt, dass Hörspiele per se unrentabel sind. Decker bezeichnet sie gar als „schlummernde Riesen“. „Amazon kann da bestimmt viel Geld verdienen.“
Auch wenn ein großer Teil der Hörspiele noch ein Nischendasein fristet – das Potenzial ist da. Das zeigt nicht zuletzt der Erfolg der „Drei ???“. Die erfolgreichste Hörspielreihe der Welt wird seit 1979 produziert. Noch immer gibt es neue Folgen und viele Fans. Dank Smartphone können sie heute von überall auf die Geschichten zugreifen. Die Sprelem
cher treten auch live auf, lesen ihre Rollen dann vor Publikum. Etwa 2010 auf der Waldbühne in Berlin vor 15000 Menschen – nie wurde ein Hörspiel vor einem größeren Live-Publikum aufgeführt. Insgesamt wurden in Deutschland 45 Millionen CDs von „Drei ???“verkauft. Zum Vergleich: Herbert Grönemeyer bringt es mit seinen Musikalben auf 18 Millionen.
Decker erklärt, es gebe verschiedene Faktoren, die ein Hörspiel erfolgreich machen können. Etwa eine bekannte Buchvorlage. Das war der Fall, als der SWR in den 90er Jahren „Herr der Ringe“als Hörspiel produzierte. Ein anderer Faktor ist die Prominenz der Sprecher. Womit man wieder bei Wigald Boning und Bernhard Hoëcker wäre. Regisseur
Krappweis war in den 90er Jahren Mitglied des Ensembles von „RTL Samstag Nacht“– wie auch Boning – und ist in der Comedy-Szene gut vernetzt. Boning sagt: „Wenn er fragt, dann frage ich gar nicht, was ich tun muss. Dann komme ich einfach vorbei.“Krappweis konnte weitere prominente Sprecher engagieren: Hugo Egon Balder, Christoph Maria Herbst und „Rosenheim-Cop“Joseph Hannesschläger.
„Ghostsitter“soll ein „All-Ager“werden, erklärt Krappweis, ein Hörspiel für alle Altersklassen. Das sei auch ein Grund für die Auswahl der Sprecher: Die Comedy-Veteranen seien eher Eltern ein Begriff als Kindern. Und die besten Produktionen für Kinder seien die, die auch den Erwachsenen Spaß bereiteten. Herr Kessler, in den neuen Folgen Ihres preisgekrönten Formats „Kessler ist…“verwandeln Sie sich wieder in Prominente. Welcher der Stars hat es Ihnen am schwersten gemacht?
Der dickste Brocken war Dieter Hallervorden. Das hat mich aber auch nicht überrascht – ich war verwundert, dass er sich überhaupt auf das Experiment eingelassen hat. Er mag bekanntlich keine Interviews. Für seine Verhältnisse haben wir aber sehr gute und offene Gespräche geführt.
Ist Didi für Sie ein Vorbild?
Bei uns lief zwar in den 70ern auch seine Sendung „Nonstop Nonsens“, aber ich habe mich damals mehr für Loriot und Gerhard Polt interessiert, das war eher mein Humor. Ich bin eigentlich mehr ein Fan des ernsthaften Hallervorden. Seine Rolle in „Honig im Kopf“hat mich zutiefst beeindruckt.
Viele Komiker möchten lieber als ernsthafte Künstler wahrgenommen werden und hadern damit, dass sie in der Comedy-Schublade stecken.
Ja, das zieht sich bei vielen Komikern durch. Auch bei Dieter Hallervorden. Einer, der jahrelang Nonsens machte, aber der Welt unbedingt zeigen wollte: Ich kann auch ernsthaft. Ich selber habe dieses Problem zwar nicht, denn es ist ja kein Geheimnis, dass ich mehr kann, als nur Quatsch machen. Aber ich wurde auch immer in Schubladen gesteckt und werde das noch heute.
In welche?
Manche verbinden mit mir immer noch den Blödkopf Klausi aus dem Film „Manta, Manta“und denken, dass ich auch in Wirklichkeit so bin und nichts im Kopf habe.
Dann ist das mehr als nur ein Running Gag in der Sitcom „Pastewka“, in der Sie sich selber verkörpern? Da werden Sie dauernd auf die Szene angesprochen, in der Klausi in seine Stiefel uriniert …
Es ist auch in der Realität so, dass mich Menschen darauf ansprechen. Ich finde das im Grunde fantastisch, denn es ist doch toll, wenn ein Film so nachhaltig wirkt, er ist ja schon 26 Jahre alt. Und ich habe zum Glück großen Humor und nehme mich gerne selber auf die Schippe. In „Pastewka“nimmt Bastian mich ja ständig hoch, auch wegen meiner Nase. Ich lache sofort mit, da stehe ich weit drüber.
Interview: Cornelia Wystrichowski O
Die neue Staffel von „Kessler ist ...“startet am heutigen Freitag um 23.15 Uhr im ZDF. Gast ist der Politiker Wolfgang Bosbach. In drei weiteren Folgen verwandelt sich Kessler in Conchita Wurst, Uwe Ochsenknecht und Dieter Hallervorden (am 25. August um 22.30 Uhr) – und konfrontiert diese so gewis sermaßen mit sich selbst. Kessler kam 1967 in Wiesbaden zur Welt. 1992 hatte er mit der Komödie „Manta, Manta“seinen Durchbruch. Als Comedian wur de er durch „Switch“bekannt.