„Diese Frau hat die Hölle auf Erden erlebt – ständige Demütigungen, Schläge, Fesselungen.“
erlebt“, sagt Scholl über die Mandantin, die 20 Jahre mit dem Mann zusammen war. „Das Wort Martyrium ist schnell gebraucht, aber hier war das wirklich der Fall: ständige Demütigungen, Schläge, Fesselungen.“Als sie schwanger war, habe ihr Mann ihr so stark in den Bauch geschlagen und getreten, dass sie ihr Baby verlor. Als sie dann endlich den Mut hatte, ihn zu verlassen, griff er sie an der Bushaltestelle an. „Es hat ihn an seiner Ehre gekratzt, dass sie sich von ihm getrennt hat“, sagt der Anwalt.
Seine Mandantin habe sich nichts sehnlicher gewünscht, als ihn für immer hinter Gittern zu sehen, sagt Scholl. Doch das Gericht entschied sich gegen die Anordnung einer Sicherungsverwahrung. „Meine Mandantin ist überzeugt davon, dass er sie umbringen wird, wenn er jemals wieder rauskommt.“
Ein Mann tötet seine Partnerin – in manchen Ländern hat man einen eigenen Namen für dieses Phänomen. Femizid nennt es die Fachsprache oder, allgemeiner, Beziehungstat, Partnerschaftsgewalt, häusliche Gewalt. Statistisch gesehen wird fast jeden Tag eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder ihrem Ex umgebracht. Für das Jahr 2015 listet das Bundeskriminalamt, kurz BKA, 331 solcher Fälle auf. Mehr als 77 000 Frauen wurden Opfer von Körperverletzungen, mehr als 16000 von ihrem Mann oder ihrem Ex bedroht. Insgesamt erlebten 104000 Frauen Gewalt in der Beziehung. Deutlich mehr als noch vor Jahren.
In Schwaben zählten die beiden Polizeipräsidien 2015 elf Fälle, in denen ein Mann versuchte, seine Partnerin oder seine Ex zu töten – in einem Fall hat er es geschafft. 1872 Mal wurde häusliche Gewalt gegen Frauen zur Anzeige gebracht. Davon ging es in 1534 Fällen um Kör- perverletzung, 36 Mal um Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung. Tatsächlich aber dürften es deutlich mehr Fälle häuslicher Gewalt sein, sagt Dagmar Bethke, Beauftragte für Kriminalitätsopfer am Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. Sie sagt: „Die Dunkelziffer ist sehr, sehr hoch.“In manchen Fällen rufen Nachbarn die Polizei, wenn sie glauben, dass der Mann seine Frau schlägt. Oder die Schule verständigt die Beamten, wenn ein Kind etwas plappert, was darauf hindeuten könnte. Dann sucht Bethke die Opfer auf, erklärt ihnen, wo sie Unterstützung bekommen, hilft ihnen, den Peiniger anzuzeigen.
Viel zu oft bekommt niemand etwas von den Schlägen mit. Ein andermal dagegen macht die Gewalt Schlagzeilen. Wie im niedersächsischen Hameln, wo ein Mann seiner Ex-Frau einen Strick um den Hals band und sie hinter dem Auto herschleifte. 14 Jahre Haft bekam er wegen versuchten Mordes. In Hamburg muss ein Mann neun Jahre und sechs Monate hinter Gitter, weil er seine Frau in der Dusche mit heißem Speiseöl übergossen hat.
Es reicht aber schon, die Meldungen der vergangenen Tage zu studieren: Das Landgericht Traunstein verurteilte einen 81-Jährigen, der seine 75-jährige Lebensgefährtin im Streit erstochen hatte, zu vier Jahren und neun Monaten Haft. In Passau steht ein 45-Jähriger vor Gericht, weil er seiner getrennt lebenden Frau aufgelauert und sie mit einem Messerstich in den Bauch getötet haben soll. Im südlichen Landkreis Neu-Ulm ging am Donnerstag ein 30-Jähriger auf seine ehemalige Lebensgefährtin los und würgte sie offenbar mit einem Handtuch – vor den Augen des gemeinsamen Kindes. Die Frau konnte entkommen.
Jens Luedtke, Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung an der Universität Augsburg, sagt, dass es auch Frauen gibt, die in Beziehungen Gewalt ausüben. Nach den Zahlen des BKA sind die Täter aber zu mehr als 80 Prozent Männer. „Einfach gesagt: Je härter die Verletzungsfolge wird, desto höher wird der Männerüberschuss.“
Und es ist kein Problem, das nur auf bestimmte Bildungs- oder Gesellschaftsschichten beschränkt ist. „Je größer der materielle Wohlstand, desto sicherer lebt die Frau zwar, weil es dann bestimmte Probleme einfach nicht gibt, die mit Armut einhergehen“, erklärt Luedtke. „Aber ein Kollege hat mal zynisch gesagt: Bei den sozial Schwachen sind nur die Wände dünner. Hinter dicken Villenmauern gibt es das Phänomen genauso.“
Warum aber schlägt ein Mann seine Frau? Es gibt es die Fälle, in denen jemand überreagiert, sagt Luedtke. Meist handle es sich aber um eine Abwärtsspirale der Gewalt, die zum Strudel werde. „Bis es zu heftiger körperlicher Gewalt kommt, gibt es in den meisten Fällen eine Vorgeschichte“, sagt er. Dass Frauen geschlagen werden, komme umso häufiger vor, je traditioneller die Familien organisiert sind und je konservativer die Geschlechterrollenvorstellungen sind. Türkinnen und Frauen aus patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen seien häufiger betroffen als deutschstämmige Frauen.
Manchmal fängt die Gewalt an, wenn man sie am wenigsten erwartet. „Oft sind es die Momente, die besonders sein sollten“, sagt Dagmar Bethke, die Kriminalhauptkommissarin aus Kempten. Die erste gemeinsame Wohnung, das erste Kind. Situationen, in denen die Beziehung sich verändert, die Bindung enger wird. Veränderungen, mit denen man überfordert sein kann. Es gibt Frauen, die den ersten Schlag auf ihrer Hochzeitsfeier erlebten.
Kira, die eigentlich anders heißt, war gerade zu ihrem Verlobten und seiner Familie gezogen, als ihr Leben aus den Fugen geriet. „Es war ein Samstag, ich bin ins Zimmer rein, und dann habe ich erst mal eine gedonnert bekommen.“Ein Bekannter von ihr hatte eines ihrer Facebook-Fotos geliked. Kira war schwanger und geschockt. „Ich wollte nicht wahrhaben, was da los ist.“Sie stürmte aus der Wohnung, ihr Verlobter fuhr mit dem Auto auf dem Gehweg hinter ihr her. Ein Mann, den sie bat, die Polizei zu rufen, half ihr nicht. Ihr Verlobter entschuldigte sich. Sie blieb bei ihm.
Schließlich hatte ja alles so schön angefangen: 2013 lernte Kira ihn kennen, im selben Jahr, an Heiligabend, machte er ihr einen Heiratsantrag. Nach dem ersten Urlaub war sie schwanger. „Wir haben uns super verstanden und alles zusammen gemacht.“Dann fingen erste Streitigkeiten an. Er wurde eifersüchtig, wenn sie nicht pünktlich nach Hause kam, weil sie eine S-Bahn verpasste. Als sie im Kino ein ehemaliger Klassenkamerad ansprach, rastete er aus. Kurze Zeit später dann die Schläge. Nachts ließ er sie nicht schlafen. Wenn sie sich mit einer Freundin traf, rief er 20 Mal an.
„Vier Wochen vor der Geburt unseres Sohnes hat er mich dann so zusammengeschlagen, dass ich nicht wusste, wo oben und unten ist.“Sie kam ins Krankenhaus. Er begleitete sie, damit sie still hielt. Er drohte, sie umzubringen. Als das Kind da war, ging es weiter. Er verprügelte sie sogar, wenn sie ihren Sohn stillte. Einmal zog er sie mitten in der Nacht an den Haaren aus dem Bett und schlug zu. „Drei Tage später bin ich gegangen.“
Die Polizistin Dagmar Bethke hat viele solcher Geschichten gehört. Sie weiß, wie die Gewalt sich einschleicht in das, was eigentlich Liebe sein soll, wie aus Eifersucht plötzliches dominantes Verhalten