Richter Holzner zieht die Augenbrauen hoch
werden junge Männer sein. Aus Somalia. Mit Jeans und Turnschuhen. Richter Holzner stellt die Anwesenheit fest. Es sind da: Der abgelehnte Asylbewerber, ein Anwalt, ein Dolmetscher. Ein Anwalt ist nicht immer da. Ein Vertreter des Bamf ist praktisch nie da – obwohl sich die Klagen gegen die Entscheidungen dieser Behörde richten. Doch sie schafft es einfach nicht, Mitarbeiter in die Gerichtsverhandlungen zu schicken. Zu groß ist der Berg an nicht erledigten Asylanträgen.
„Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen“, hebt der Richter an. Es sind immer dieselben Fragen: Wo sind Sie geboren? Wo haben Sie zuletzt vor Ihrer Ausreise gelebt? Wann sind Sie ausgereist? Über welche Länder sind Sie nach Deutschland gekommen? Andreas Holzner greift bei der Befragung auf das Protokoll der Erstanhörung beim Bamf zurück. Der Flüchtling hat nun die Gelegenheit, diese Geschichte zu bestätigen oder zu korrigieren.
Mehrmals an diesem Tag hört der Richter, dass ein junger Mann von der radikalislamistischen Al-Shabaab-Miliz bedroht und/oder gefoltert worden sei. Einer berichtet, die Miliz habe gedroht, ihn umzubringen. Zwei seiner Brüder seien umgebracht worden. Es herrsche eine lang anhaltende Dürre. Auf der Flucht habe der Transporter in der Wüste einen Unfall gehabt, einige seien gestorben. Und schließlich sei er auch noch von Räubern überfallen und festgehalten worden. Es ist die Geschichte eines grauenhaften Schicksals – wenn sie denn stimmt. Richter Holzner zieht die Augenbrauen hoch und fragt: „Warum haben Sie das beim Bundesamt nicht erzählt?“
Und damit ist eine der größten Schwierigkeiten des Asylverfahrens beschrieben: Neben den rechtlichen Kriterien geht es um die Glaubwürdigkeit der Flüchtlinge. Sind die Geschichten wahr, können sie überhaupt wahr sein? Um dies zu überprüfen, müssen die Verwaltungsrichter sich zu Experten für die Länder machen, für die sie zuständig sind. In welcher Region ist die Lage besonders gefährlich? Wo drangsalieren Terroristen die Bevölkerung? Welcher Clan herrscht wo? Wo sind Hungersnöte besonders dramatisch? Die Richter informieren sich aus Lageberichten des Auswärtigen Amts ebenso wie aus Stellungnahmen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen und aus Berichten von Amnesty International oder Pro Asyl. Sie können ja schlecht in die Länder fahren und selbst nachschauen. Aber: „Es ist unser Anspruch, neben dem juristischen Handwerkszeug auch eine Expertise über die betreffenden Länder zu haben“, sagt Richter Stefan Eiblmaier, der Pressesprecher des Augsburger Verwaltungsgerichts. Schließlich haben die Richter am Ende einen gewissen Spielraum bei ihren Entscheidungen.
Doch ihre Erkenntnisse stimmen nicht immer mit den Ansichten der Anwälte überein: „Wir können die Leute doch nicht sehenden Auges ins Elend schicken“, sagt Rechtsanwäl- tin Ursula Langer-Martin, „jeder weiß, dass es in Somalia zurzeit eine Hungersnot gibt.“Wenn ihr Mandant zurück nach Mogadischu müsse, gehe er unter. „Der erfindet da nichts.“Richter Holzner sagt nichts.
Verwaltungsgerichte sind Orte, an denen sich Bürger gegen Entscheidungen des Staates wehren können. Das gilt auch für Flüchtlinge. „Dieses Prinzip ist elementar fürs Gemeinwesen. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, würde ein Stück Rechtsstaat wegbrechen“, sagt die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts, Ingrid Linder. Daher wird jeder Einzelfall geprüft. So gut das eben innerhalb einer halben Stunde geht.
Es ist ja auch eine Frage des Geldes. Von Jahr zu Jahr hat sich die Zahl der Asylverfahren zuletzt verdoppelt. Heuer dürften es wohl 200 000 bundesweit werden. Ein Flüchtling muss für sein Verfahren nichts bezahlen. Richter, Gerichtsmitarbeiter und Dolmetscher zahlt der Staat, also am Ende der Steuerzahler. Es gibt nur einen Fall, in dem der Asylbewerber etwas bezahlt: Wenn er mit seiner Klage scheitert, muss er die Kosten für den Anwalt tragen. Für die Anwälte, das muss man so sagen, ist die Flüchtlingswelle wie ein Konjunkturprogramm.
Wenn hohe Kosten im Spiel sind, geht es immer auch um Effektivität. Die Asylverfahren laufen daher sehr schematisch ab. Wenn ein Richter mal 200 Fälle aus einem Land abgearbeitet hat, ergibt sich daraus ein Muster. Das richtet sich zwar auch nach dem Einzelschicksal, vor allem aber nach der rechtlichen Lage. Und da ist es eben so, dass Flüchtlinge aus manchen Ländern grundsätzlich bessere Bleibechancen haben als andere.
Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien dürfen quasi zu 100 Prozent in Deutschland bleiben. Menschen aus dem afrikanischen Somalia müssen meist Deutschland wieder verlassen. Zumindest auf dem Papier. In der Praxis ist es so, dass die Somalier trotz abgelehnten Bescheids und gescheiterter Klage hierbleiben. Zum einen gibt es nicht einmal einen Direktflug von Deutschland nach Somalia. Zum anderen haben die Afrikaner in den allermeisten Fällen keinerlei Ausweispapiere, berichten die Verwaltungsrichter. Und weil somit gar nicht klar ist, woher sie stammen, weigern sich die afrikanischen Staaten, diese Menschen zurückzunehmen.
Tatsächlich abgeschoben wird derzeit nur auf den Balkan. Und ein bisschen nach Afghanistan. Kein Bleiberecht und doch bleiben sie hier – lässt das die Verwaltungsrichter nicht am Sinn der eigenen Arbeit zweifeln? „Das muss man abkoppeln“, sagt Gerichts-Vizepräsidentin Linder. „Die faktischen Probleme müssen auf einer anderen Ebene gelöst werden“, sagt Gerichtssprecher Eiblmaier. Also auf der politischen. Für die Augsburger Verwaltungsrichter ist ein Asylfall beendet, wenn die Klage abgewiesen oder erfolgreich ist. Bleibt der Geflüchtete trotz Ablehnung in Deutschland, ist das ein Fall fürs Ausländerrecht. Das kann letztendlich dazu führen, dass der Fall wieder ans Verwaltungsgericht kommt. Doch das ist eine andere Geschichte.
Mit Afghanistan verhält es sich etwas komplexer. Ein anderer Tag. Ein anderer Richter. Andreas Dietz hat jeweils eine Stunde pro Verfahren angesetzt. Bei einem jungen Mann reicht das nicht. Er hat viel Redebedarf, wird zornig. Einen Wortschwall übersetzt Dolmetscher Yunus Khan mit den Sätzen: „Ich verstehe nicht, warum ich weg soll. Deutschland hat mich hierher geholt.“Dass er falsch liegt, macht ihm der Vorsitzende Richter Dietz unmissverständlich klar: „Das glaube ich nicht. Sie sind aus freien Stücken gekommen.“Und schiebt hinterher: „Es gibt viel mehr Gründe, warum jemand aus seinem Heimatland weggehen will, als Gründe, in Deutschland bleiben zu dürfen.“Der Richter spielt darauf an, dass private Schwierigkeiten oder wirtschaftliche Nöte kein Asylgrund sind.
Einem anderen jungen Afghanen erklärt Dietz ausführlich, welche Schutzstufen das deutsche Asylrecht vorsieht. Von der Asylberechtigung bis hin zur untersten Stufe, dem Abschiebungsverbot. Wie schwierig das mit der schematischen Herangehensweise ist, zeigt sich in der Diskussion zwischen Richter und Flüchtling. Der Afghane beharrt darauf, dass es in der Hauptstadt Kabul lebensgefährlich sei. Richter Dietz sagt: „Kabul hat 7,5 Millionen Einwohner. Es ist dort nicht überall so gefährlich.“Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts greift das Argument der allgemeinen Gefahr erst, wenn die Wahrscheinlichkeit, als unbeteiligter Zivilist Opfer eines Angriffs zu werden, höher als 1:800 liegt. Diese Betrachtung wird auch von vielen Richtern kritisch gesehen. Sie liegt nahe am Zynismus. Die Klage des jungen Afghanen weist Richter Dietz trotzdem ab. Er erfüllt keine der Voraussetzungen für das Hierbleiben. Gegen die Entscheidung kann er Rechtsmittel einlegen.
Irgendwelche Kriterien müssen gefunden werden. Inzwischen ist auch dem Letzten klar geworden, dass nicht alle Menschen aus einem Land mit allgemein höherem Lebensrisiko nach Deutschland kommen können. Zu diesen Kriterien im Asylverfahren zählen auch Alter, Geschlecht und Familienstand. Grundsätzlich hat ein junger Mann schlechtere Aussichten als eine alleinstehende Frau oder eine Familie. Einem minderjährigen Afghanen, der mit seiner Familie bei Ulm lebt, gewährt Dietz ein unbefristetes Abschiebeverbot. Eine afghanische Familie tadschikischer Herkunft mit vier Kindern hat ebenfalls gute Aussichten, auch wenn die Entscheidung noch nicht gefallen ist. Ein Problem sind