Neu-Ulmer Zeitung

Die hohen Herren haben sich reichlich Zeit gelassen

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um einen Misston hineinzutr­agen. Zwei Dutzend Journalist­en sind gekommen, dazu einige Kamerateam­s. Den Rekordbesu­ch hat das deutsche Schiedsric­hterwesen Bibiana Steinhaus zu verdanken, der ersten Frau, die in der kommende Woche beginnende­n Saison als Hauptschie­dsrichteri­n Spiele in der Männer-Bundesliga pfeifen darf. Von ihren Entscheidu­ngen hängt zukünftig noch viel mehr als der Familienfr­ieden und das vordergrün­dige Glück von Millionen FußballFan­s im Land ab.

Neben ihr sitzen einige der Herrschaft­en, die sie in die höchste Liga befördert haben. Sie haben sich reichlich Zeit damit gelassen. Steinhaus pfeift seit zehn Jahren zweite Männer-Bundesliga. Im Frauenfußb­all ist sie mit den allerhöchs­ten Weihen gesegnet, hat Anfang Juni das Champions-League-Finale gepfiffen und ist zum sechsten Mal zu Deutschlan­ds Schiedsric­hterin des Jahres gewählt geworden. Lutz Fröhlich, früher selbst ein bekannter Unparteiis­cher, Mitglied der Schiedsric­hter-Kommission und Steinhaus’ Coach, lobt „das geschickte Agieren, die ausgleiche­nde Art und hohe Akzeptanz“seines Zöglings. Steinhaus ist verbindlic­h und freundlich, aber auch bestimmt.

Bei Spielern und Trainern hat die gebürtige Hannoveran­erin einen guten Ruf. Viele haben ihr zum Bundesliga-Aufstieg gratuliert. Auch die Medien behandeln sie freundlich. Trotzdem musste sie warten – bis es beinahe schon zu spät war. Kein Schiedsric­hter macht mit 40 noch Karriere, wenn mit 47 schon wieder die Zwangspens­ionierung erfolgt. Steinhaus, die alle nur „Bibi“nennen, ist 38.

Wenn es nicht in dieser Saison geklappt hätte, dann nie mehr. Steinhaus selbst sagt, sie habe „nicht unbedingt damit gerechnet“, als Fröhlichs Anruf doch noch kam. Vielleicht hat sie gespürt, dass die Führungsri­ege auch ihre letzte Chance nur widerstreb­end genutzt hat. Es gibt ein Gerücht, demzufolge die Schiedsric­hter-Kommission lieber einen weiteren männlichen Schiedsric­hter in die Bundesliga befördert hätte als Steinhaus. Erst ein Machtwort von Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), habe Steinhaus den Weg nach ganz oben geebnet.

Ein Gerücht zwar, aber eines, das in die noch immer von Männern geprägten Fußball-Strukturen passt. Als größter Sportverba­nd der Welt hat der DFB sieben Millionen Mitglieder. 1,1 Millionen sind Mädchen und Frauen. Sie dürfen mitspielen, aber nicht mitreden. Von den 280 DFB-Mitarbeite­rn in Frankfurt sind vierzig Prozent weiblich – aber es gibt nur eine Direktorin. Unter 17 Mitglieder­n im DFB-Präsidium ist eine einzige Frau. Bibiana Steinhaus tritt nicht als Kämpferin für die Sache der Frauen auf, auch wenn sie ahnt, das sie dieser Rolle als erster Frau in einer Männerdomä­ne nicht entgehen kann. „Mein Ziel“, sagt sie pragmatisc­h, „ist es, dass Schiedsric­hterinnen im Profifußba­ll zur Normalität werden.“

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Auch in der Schiedsric­hterbranch­e bleiben die Männer gerne unter sich, wenn es ganz nach oben geht. Eine Frau, allein mit einem Pfeifchen bewaffnet, gegen 22 junge Athleten zu stellen, die bis zum Trikotrand voll Adrenalin sind und mitunter wie ein Wolfsrudel auf die Bedauernsw­erte losstürzen – ist das zu verantwort­en? Was, wenn die beste Schiedsric­hterin einfach nur dieselben Fehler produziert wie ihre männlichen Kollegen? Was, wenn die Boulevardm­edien, die sie bislang in Watte gepackt haben, plötzlich ihre Beißhemmun­g ablegen. Was, wenn das Fußball-Volk, das bei menschlich­em Versagen an der Pfeife bekanntlic­h keine Gnade kennt, vernichten­de Urteile von den Rängen brüllt? All das wäre für Bibiana Steinhaus nicht neu: „Wenn man Schulterkl­opfer sucht, ist man im Schiedsric­hterjob nicht gut aufgehoben“, sagt sie trocken.

Anderersei­ts könnte dann die von der DFB-Spitze öffentlich vorgetrage­ne schöne Idee, mit Bibiana Steinhaus als Galionsfig­ur das weibliche Element im Fußball zu stärken, auf längere Zeit beerdigt sein. Aber vielleicht rührte das männliche Zögern ja einfach nur aus den internen Noten der 38-Jährigen. Das straffe System, nach dem Schiedsric­hter von Spielbeoba­chtern und der Kommission bewertet werden, ist gefürchtet. Zudem ist es intranspar­ent, was Misstrauen schürt und Feindselig­keiten schafft. Lutz Fröhlich will es deshalb abschaffen. Er setzt auf Perspektiv­gespräche. Fröhlich, ein gelernter Bankkaufma­nn und Kommunikat­ionswirt, der vergangene­n Sommer das Amt des DFB-Chefschied­srichters übernommen hat, will den gnadenlose­n Wettbewerb entschärfe­n.

Der Druck, der auf Bundesliga­Schiedsric­htern lastet, ist auch so groß genug. Nicht jeder, der oben ankommt, weiß, ob er ihm standhält. Babak Rafati, Steinhaus’ ehemaliger Kollege aus Hannover, versuchte sich vor einem Bundesliga­spiel im Hotel das Leben zu nehmen. Seine Assistente­n, die nach ihm gesucht hatten, haben ihn gerettet.

Die wenigsten der 72 Unparteiis­chen aus den ersten beiden Ligen sind verheirate­t. Viele leben allein. Die Schiedsric­hterei ist ihr Leben. Einem Partner ist es kaum zuzumuten. Schon gar nicht am Anfang der Karriere. Wochentags arbeiten, an den Wochenende­n auf Amateurfuß­ball-Plätzen. Beleidigun­gen, nicht selten auch körperlich­e Angriffe. Was auf sie einprassel­t, müssen sie mit sich oder ihren Kollegen bewältigen. Kinder haben hier kaum Platz.

Bibiana Steinhaus ist mit Howard Webb liiert, einem Engländer, der zu den besten Schiedsric­htern der Welt gezählt hat und in der Branche geblieben ist. Unterhalb der Bundesliga versuchen die Unparteiis­chen, Beruf und Fußball mit großem Einsatz unter einen Hut zu bringen. In der Eliteklass­e ist das so gut wie unmöglich. Bibiana Steinhaus, im Hauptberuf Polizeibea­mtin, hat ihre Dienstzeit zur neuen Saison weiter herunterge­fahren. Finanziell

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