Briten und Deutsche in einem Hotel: Geht das?
In diesem Sommer wird sich ein Miteinander nicht vermeiden lassen – trotz der bestehenden Vorurteile
Völkerverständigung ist manchmal das Ergebnis purer Not. Nachdem Ägypten, die Türkei und Tunesien wegen der politischen Lage von der Favoritenliste der populärsten Badeziele geflogen sind, werden die Betten rund ums Mittelmeer knapp. Vor allem in Spanien und Portugal werden sich die Gäste in der Hochsaison drängeln. Deswegen verordnet nun ein großer Veranstalter wie Thomas Cook seinen Gästen Völkerverständigung aufgrund von Bettenmangel.
Was ist da los? Um die Hotels besser auszulasten, bricht das Unternehmen mit einer ungeschriebenen Regel: Auf Mallorca und ähnlich gefragten Sonnenzielen werden ab sofort Briten und Deutsche in denselben Herbergen nächtigen! ThomasCook-Boss Peter Fankhauser stützt sich bei dieser Entscheidung auf eine Kundenumfrage, bei der 90 Prozent angaben, kein Problem damit zu ha- ben, mit anderen Nationalitäten Urlaub zu machen. „Wir haben das Gerücht widerlegt, dass Deutsche nur mit Deutschen und Briten nur mit Briten zusammen sein wollen“, erklärte er dem Wirtschaftsdienst Bloomberg.
Ob das gut gehen kann? Schließlich trennen uns ja nicht nur der Kanal, die Geschichte und seit kurzem der Brexit. Wir haben über Generationen unsere gegenseitigen Vorurteile und Klischees gepflegt. Das beginnt schon damit, dass unsere Nachbarn von der Insel uns immer vorführen, wie gut sie im Schlangestehen sind. Vor dem Schalter, beim Einsteigen in den Bus und vor allem an den All-inclusive-Büfetts. Alle so geduldig mit Teller in der Hand in einer Reihe. Niemand denkt darüber nach, wie er sich strategisch so positioniert, dass er seinem Lieblingsgericht am nächsten ist oder ein paar unaufmerksame Trödler ganz nebenbei überspringt.
Briten mögen zwar sehr höflich aber wir Deutsche empfinden sie bisweilen als etwas prüde, unlocker. Wo ist das Problem, wenn Frauen beim Sonnen ihre Tops abnehmen? Gibt es einen Zwang zum Hingucken? Streifenfreie Bräune ist für viele schließlich ein Urlaubsziel. Also, liebe Engländer, bitte nicht empören. Die Kinder traumatisiert so ein bisschen Eva-Kostüm in Zeiten des Internets sicher nicht mehr. Ist halt echt statt virtuell.
Das heikelste Thema, über das sich die Nachbarn jenseits des Ärmelkanals aufregen, ist jedoch unsere Methode, mit einem Handtuch den Liegestuhl für den ganzen Tag zu reservieren. Aus deutscher Sicht ist das natürlich ein sehr effizienter Kniff, sich stressfrei den besten Platz an der Sonne zu sichern. Wer immer frühmorgens zuerst aufwacht, wankt im Halbschlaf an den Pool und besetzt mit Handtüchern die Lieblingsliegen. Das kann ja jeder machen. Warum ärgern sich also die anderen? Von Handtuchkrieg ist dann oft die Rede – und, ja, in besseren Hotels ist diese Sitte sogar verboten. Doch wir sind auch lernfähig. Fast nur noch Ersturlauber begehen mittlerweile diesen Fauxpas.
Nun aber mal was, über das sich Deutsche richtig echauffieren: Lärm! Urlaub bedeutet für die meisten Ruhe. Wir führen schon zu schwipst, um den Ernst der Lage zu begreifen. Sonnenverbrannte Jungbriten mit einem hohen Alkohollevel sind fast so schlimm wie russische Großfamilien am Büfett. Nein, und da beklagen die sich über unsere Humorlosigkeit? Wir sind nicht humorlos, unser Humor ist eben nur anders. Lärm ist nicht lustig.
Zum Glück kennt Thomas Cook die Animositäten zwischen Deutschen und Briten. Deswegen wird weiterhin streng darauf geachtet, dass keine Nationalität in einem Haus überwiegt. Und damit die Atmosphäre auch tatsächlich entspannt bleibt, werden gerne noch ein paar Skandinavier dazu einquartiert. Denn die werden sowohl von Briten als auch von Deutschen geschätzt und sind für ihre Freundlichkeit bekannt. Kurzum: Norweger, Dänen, Schweden eignen sich als hervorragende Puffer, um mögliche Grenzüberschreitungen zwischen Briten und Deutschen zu verhindern. Die schwere, alte Drehtüre des Grandhotels Waldhaus ist eine Art Zeitmaschine. Eine, die mich mit wenigen Schritten ein Jahrhundert zurück befördert. Wie im Film. Draußen stehen Besucher aus aller Welt, die ihre hochmodernen Mobiltelefone zücken, um persönliche Erinnerungsfotos zu machen. Selfies für die sozialen Netzwerke vor dem majestästischen Bau hoch über dem weiten Talgrund des Örtchens Maria-Sils im Oberengadin. Drinnen ist von den alten Zeiten kaum etwas verloren gegangen. Die Vergangenheit begegnet einem in zahlreichen Details. In JugendstilKronleuchtern, originalen Wandbespannungen, gediegenem Mobiliar, im Musikzimmer und der stillen Bibliothek, in der früher schon Marc Chagall, Friedrich Dürrenmatt, Albert Einstein, Erich Kästner, Thomas Mann und Richard Strauss gesessen sind. Am liebsten würde ich selbst auf dem Steinwayflügel im Salon spielen oder das mechanische Welte-Mignon-Klavier anknipsen.
Seit 1908 gehört das Hotel derselben Familie – und die kümmert sich heute noch genauso rührend um die Gäste wie vor über 100 Jahren. Während ich mich in den sterilen Lobbys der Häuser großer Hotelketten oft verloren fühle, wird mir im Waldhaus warm ums Herz. Hier checkt niemand mal schnell ein. Hier wird man als Neuankömmling von der Betreiberfamilie persönlich begrüßt. Ohne Ausnahme. Dezent, so typisch für die Schweizer, fragt die Seniorchefin nach dem Wohlbefinden. Das Waldhaus ist ein Gesamtkunstwerk. Immer wieder wurde behutsam Neues hinzugefügt und Altes restauriert. An mancher Stelle ist diese Mischung aus Nostalgie und modernem Fünf-Sterne-Standard aber auch etwas schräg.
Stephan Schöttl