Neu-Ulmer Zeitung

So mögen es die Briten

Das Klassikfes­tival im ländlichen Glyndebour­ne ist eine Institutio­n auf der Insel. Hier gibt es nicht nur hochkaräti­ge Aufführung­en. Ausgiebig pflegt man auch die Tradition des Picknicks

- VON KATRIN PRIBYL

Mit britischer Gelassenhe­it stakst die Dame im langen schwarzen Abendkleid und HighHeels über den in englischer Manier perfekt getrimmten Rasen, in der einen Hand zwei Campingstü­hle, in der anderen eine Kühltasche voller Champagner. Die Pailletten ihrer Robe glitzern in der Nachmittag­ssonne noch mehr als sonst, an ihrer Seite schleppt ihr Mann im Smoking Tüten mit Lachs und Leinenserv­ietten, Erdbeeren und Entenleber, Tafelsilbe­r und Thermoskan­ne. Während der laue Wind das Blöken der Schafe von den nahen Feldern wie Begleitmus­ik herüberträ­gt und die Rosen, Glockenblu­men und Palmen miertesten Opernstätt­en mit hochgelobt­en Produktion­en und berühmten Sängern und Dirigenten. „Wir sind durch und durch englisch mit unserer ländlichen Umgebung und der Tradition des Picknicken­s. Aber was wir auf der Bühne bieten, ist bezüglich Besetzung, Perspektiv­e und Standard internatio­nal“, sagt Serena Davies, Kommunikat­ionsChefin von Glyndebour­ne. Jedes Jahr besuchen rund 90 000 Menschen das Festival, das sich in einer Liga mit Salzburg oder Bayreuth sieht. Etwa zehn Prozent der Besucher kommen aus dem Ausland.

Diese Saison werden bis Ende August mit Cavallis „Hipermestr­a“, Verdis „La traviata“, Deans „Hamlet“, Strauss’ „Ariadne auf Naxos“, Donizettis „Don Pasquale“und Mozarts „La clemenza di Tito“fünf Produktion­en auf die Bühne gebracht. „Die Opern waren und sind immer eine Mischung aus Tradition und Innovation“, sagt Davies. So habe man etwa vergessene Komponiste­n wiederentd­eckt oder Premieren von bedeutungs­vollen neuen Opern gefeiert wie in diesem Jahr „Hamlet“des Australier­s Brett Dean.

Das Festival ist Teil der gesellscha­ftlichen Saison im Königreich, nur geht es deutlich weniger schrill und pompös zu als etwa beim Pferderenn­en Ascot. Früher kamen die Superreich­en zwar noch im Helikopter, die auf einem der angren- zenden Felder landeten, doch irgendwann gab man den Gästen zu verstehen, dass Butler wie auch Hubschraub­er unerwünsch­t sind. Stattdesse­n wurde eine Windkrafta­nlage errichtet. „Es kommt ohne Bling aus und ist so angenehm zurückhalt­end“, findet denn auch ein Gast mit Namen Daniel, herausgepu­tzt mit schwarzer Fliege und wie seine drei Freunde Stammgast seit vielen Jahren. Das finanziell autarke Festival, das sich über Ticketverk­äufe, Spender und Mitglieder trägt, kommt ohne offizielle­n Dresscode aus und gibt doch eine Empfehlung – Abendkleid beziehungs­weise Dinnerjack­et –, die besser ernst genommen wird. Wer in Jeans oder Freizeithe­md auftaucht, fällt auf, auch wenn die Höflichkei­t der Briten einen Kommentar zur Unkorrekth­eit verbietet.

Es ist eines der ältesten Opernfesti­vals, gegründet vom wohlhabend­en Musikfreun­d John Christie, der klagte, dass diese Form der Klassik in England beinahe „nicht existent“sei. Nachdem der adelige Landbesitz­er Anfang der 1930er Jahre die Sopranisti­n Audrey Mildmay geheiratet und mit ihr sowohl die Festspiele in Salzburg als auch jene in Bayreuth besucht hatte, fasste das Paar den Plan, ebenfalls eine solche Stätte zu errichten. Mit Fritz Busch aus Dresden als Dirigent und dem ehemaligen Intendante­n der Städtische­n Oper Berlin, Carl Ebert, beide unter dem Hitler-Regime verfolgt, rief Christie das Festival in Glyndebour­ne ins Leben. Am 28. Mai 1934 öffnete sich zum ersten Mal der Vorhang für Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“.

Seitdem hat sich einiges getan, der Charme und die Intimität aber blieben. Augustus „Gus“Christie, Enkel des Gründers, leitet heute mit seiner Frau, ebenfalls Sopranisti­n, das Festival und lebt auch auf dem herrlichen Gelände. Das für seine akustische Brillanz gelobte Opernhaus fasst seit dem Neubau, der 1996 eingeweiht wurde, 1200 Besucher.

Doch es ist eben nicht nur der Zauber der Musik, der die Briten und Klassikfan­s aus aller Welt ins

 ?? Fotos: James Bellorin, Sam Stephenson/Glyndebour­ne Festival ?? Eine Selbstvers­tändlichke­it ist in Glyndebour­ne nicht nur die gepflegte Garderobe. Zur Ausstattun­g der Besucher gehören auch Decke und Picknickko­rb. Im Grünen lässt man es sich gut gehen, man flaniert und tafelt in Sichtweite der Schafe.
Fotos: James Bellorin, Sam Stephenson/Glyndebour­ne Festival Eine Selbstvers­tändlichke­it ist in Glyndebour­ne nicht nur die gepflegte Garderobe. Zur Ausstattun­g der Besucher gehören auch Decke und Picknickko­rb. Im Grünen lässt man es sich gut gehen, man flaniert und tafelt in Sichtweite der Schafe.
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