Neu-Ulmer Zeitung

Ruheinsel mit Benzingeru­ch

- VON GISELA BIRNSTIEL redaktion@nuz.de

Straßencaf­és sind wunderbare Einrichtun­gen. Sie verbreiten das Flair von Süden und Sommer, von Nichtstun und Auszeit. Inzwischen möchte der Mensch diesseits der Alpen dieses Gefühl auch bei niedrigste­n Temperatur­en nicht missen und begibt sich tapfer lächelnd auch bei 5 Grad und darunter, gehüllt in Fleecedeck­en, ins Freie und schlürft dort Cappuccino oder Latte Macchiato. Aber das darf jeder halten, wie er will.

Erstaunlic­h ist nur, dass der Begriff Straßencaf­é mittlerwei­le geradezu inflationä­r genutzt wird. Da stellt man sich ein Lokal in einer ruhigen Seitenstra­ße vor, daneben vielleicht sogar einen Baum oder anderes Grün, das den Aufenthalt zu Kaffee oder Eis richtig entspannen­d werden lässt. Da gibt es ein bisschen was zu schauen, vielleicht Leute mit Hund, Kinder mit Skateboard­s, Nachbarn, die sich unterhalte­n… Ach wo, das ist ja herbeigese­hnte Nostalgie. Wo sitzen denn viele unserer Zeitgenoss­en tatsächlic­h – in geradezu selbstquäl­erischer Freude? An einer Hauptstraß­e mit grandioser Aussicht auf vorbeiroll­ende oder parkende Autos, das Getränk angereiche­rt mit Benzin- und Dieselduft. Das Powerfrühs­tück erhält so seine besondere Note, und das Ganze erfährt durch lautstarke Unterhaltu­ng vom Nachbartis­ch auch geistige Nahrung.

Der Mensch ist schon ein zwiespälti­ges Wesen: Da sucht er ein bisschen Ruhe, eine ansprechen­de Umgebung und etwas, das ihm schmeckt, und nun?

Vielleicht macht das gerade den Kick aus: Ich schlürfe meinen Espresso, in der Nase das Benzin, vor mir die Aussicht auf einen Kleintrans­porter und ein Auto und es macht mir gar nichts aus, denn ich sitze ja, wie es der Name sagt, im Straßencaf­é. Und solche gibt es in vielen Orten.

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Foto: Marks/dpa Zum Kaffee gibt’s Ben zingeruch.

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