Von Bücherbergen und Zauberbergen
Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp erinnert sich an seine Anfänge in Maria Vesperbild. Welche Pläne hat er nach dem Abschied?
Wilhelm Imkamp verlässt Maria Vesperbild. Das bemerkenswerte Echo in den Medien deutet an, dass diese Zäsur weit über den Wallfahrtsort im Südosten des Kreises Günzburg hinausreicht. Eine pointierte Einschätzung über den Wallfahrtsdirektor können wir in der katholischen Zeitung Die Tagespost nachlesen, verfasst von Schriftsteller Martin Mosebach: „Sein Wissensdurst ist unstillbar, der Umfang seiner Bibliothek legendär – fielen die Mauern seines Hauses in sich zusammen, würde dahinter ein zweites, ganz aus Büchern errichtetes Gebäude sichtbar.“In diesem „Büchergebäude“waren wir zum Interview zu Gast. Es entwickelte sich ein Gespräch über Bücher, vor allem auch über ein für Imkamp sehr wichtiges Buch. Imkamp spricht darüber, was er in fast 30 Jahren in Maria Vesperbild verändert hat. Am Anfang stand dabei unter anderem eine ungewöhnliche Begegnung mit einer Kuh. Im Januar steht Ihnen ein größerer Umzug bevor. Auch mit Blick auf Ihre Bücher wird das ja durchaus ein Kraftakt. Wie viele Bücher haben Sie hier in Ihren Räumlichkeiten?
Ich weiß nicht, wie viele es genau sind. Aber es sind etwa 900 laufende Meter, im Keller, im ersten Stock und hier oben bei mir. Ich muss noch abklären, wie ich das alles unterbringe.
Direkt vor Ihnen liegt reichlich Lesestoff. Was lesen Sie gerade?
Unter anderem das neueste Werk von Hermann Schwedt über die Römische Inquisition zwischen 1601 und 1700. Ein glänzendes Buch.
Sie haben gerne auch immer wieder Krimis gelesen …
Dazu hatte ich zuletzt leider keine Zeit mehr. Wenn jemand Krimis geschenkt haben möchte, kann er sich gerne in der Wallfahrtsdirektion melden, die nehme ich nämlich sicher nicht mit.
Ein Buch war für Sie in frühen Jahren gewissermaßen lebensprägend – der Roman „Der Zauberberg“von Thomas Mann. Warum?
Ich habe als Schüler in den Sommerferien in der Bibliothek der Benediktinerabtei Maria Laach gearbeitet. Ich wurde mit „Naturalien“bezahlt. Als Lohn habe ich Unterkunft und Verpflegung, aber vor allem auch immer wieder Bücher bekommen. Sicherlich folgenreich war die Lektüre von Thomas Manns „Der Zauberberg“. In diesem Roman spielt der Jesuit Naphta mit seinem Bezug auf die Schrift über „Die Verachtung der Welt“von Papst In- nocenz III. eine hoch spannende Rolle. 1968 habe ich das Werk in Maria Laach exzerpiert. 15 Jahre später habe ich über Innocenz III. (1198 bis 1216 Papst) promoviert. Blicken wir kurz in den „Zauberberg“hinein. Im Mittelpunkt steht Hans Castorp, ein „einfacher junger Mensch“. Er „reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.“Es wurden bekanntlich am Ende sieben Jahre für ihn auf dem „Zauberberg“. Ist Maria Vesperbild gewissermaßen Ihr „Zauberberg“?
Ich kam 1988 nach Maria Vesperbild und es sind bei mir ja jetzt fast 30 Jahre geworden. Ich kannte Maria Vesperbild schon, bevor ich hierher kam. Ich habe damals sofort gespürt, dass der Gesamteindruck viel tiefer geht als die Summe der künstlerischen Einzelheiten rechtfertigen würden. Maria Vesperbild hat mich „verzaubert“, viel mehr als der Zauberberg und sehr nachhaltig. Und ich habe rasch erkannt: Maria Vesperbild – das ist dein Leben!
Ein hohes Kirchenamt hat Sie nicht gereizt? Wie ich schon oft gesagt habe: Wer als Priester solche Karrierepläne hat, der wäre besser Politiker geworden. Zudem bin ich eher ein sesshafter Typ. Ich hatte hier immer eine große Zufriedenheit, mit dem, was ist. Und wer Priester ist, der hat einen Gipfel erreicht. Und hier in Maria Vesperbild hatte ich alles, was ich mir als Priester gewünscht habe. Warum nun Ihre Bitte an den Bischof, von Ihren Pflichten als Wallfahrtsdirektor entbunden zu werden?
Der Entschluss, um die Entbindung zu bitten, ist mir natürlich sehr schwergefallen. Bei der Organisation eines Wallfahrtsortes wie Maria Vesperbild ist aber Präsenz sehr wichtig. 28 Jahre lang war ich hier sehr präsent. Nun merke ich jedoch leider allmählich auch, wie wichtig es ist, eine gute ärztliche Versorgung in der Nähe zu haben, besonders wenn man ein so schlechter Autofahrer ist wie ich. Ich habe bemerkt, dass ich nicht mehr das leisten kann, was ich leisten möchte. Man sollte gehen, so lange man noch gehen kann. Wohin gehen Sie?
Eine hauptamtliche Funktion werde ich nicht mehr übernehmen. Ich hoffe, dass ich wieder etwas länger am Stück in Rom sein kann und ich möchte auch wieder mehr wissenschaftlich arbeiten.
Zurück in die alte Heimat, an den Niederrhein?
Ich habe vergangenes Jahr in meiner alten Heimat einmal ein Schützenfest besucht. Aber man sollte im Leben nicht zurück, sondern nach vorne gehen.
Sie haben während des Himmelfahrtstags um Spenden für die Innenrenovierung der Wallfahrtskirche gebeten. Diese Renovierung werden Sie selbst nicht mehr mitgestalten. Kommt, auch mit Blick auf Ihre lange Zeit als Wallfahrtsdirektor, Wehmut auf?
Wenn ich um Spenden bitte, dann kommt bei mir natürlich keine Wehmut auf. Aber mit Blick auf die lange Zeit hier in Maria Vesperbild gibt es natürlich Wehmut. Es geht ein wichtiger Lebensabschnitt zu Ende. Aber dann denke ich auch: Ein Priester nimmt sein Amt immer mit, es gibt keinen Ruhestand vom Priestertum.
Sie haben hier einiges verändert …
Ich kann mich erinnern, dass einmal eine Kuh vor der Kirche lag, als ich hierherkam. Im Lauf der Jahre wurden die Außenanlagen völlig neu gestaltet. Es gibt Lautsprecher und Monitore zur Übertragung der heiligen Messe. Die Verlegung der Kreisstraße, die Kirchenvorplatzgestaltung, der Bau von Pilgerund Priesterhaus, die behutsame Renovierung und Erweiterung der Grotte, der Nachbau unserer Wallfahrtskirche im Legoland. Bei all diesen Maßnahmen wurde darauf geachtet, die Kontinuität des Wallfahrtsensembles zu wahren. Immer wieder ist es Ihnen gelungen, hochkarätige Geistliche für einen Auftritt zu gewinnen. Wer ist rückblickend Ihr persönlicher Favorit?
Es waren viele herausragende Auftritte am 15. August. Aber ganz besonders war für mich natürlich der Besuch von Kurienerzbischof Georg Gänswein 2014, bei meiner Einführung 1988 hat er levitiert. Uns verbindet nämlich seit Langem eine Freundschaft. Unter anderem habe ich für ihn auch die Primizpredigt gehalten.
Seit Langem gibt es eine intensive Verbindung zwischen Ihnen und dem Haus Thurn und Taxis. Darüber wird in der Bevölkerung durchaus kontrovers diskutiert. Was bedeutet diese Verbindung für Sie und die Wallfahrt?
Die Fürstin ist eine sehr wichtige Botschafterin für die Wallfahrt. Ihre Werbung für Maria Vesperbild ist großartig: Denken Sie beispielsweise an die Verleihung des „Ordens wider den tierischen Ernst“, da hat sie in ihrem Lied auch Maria Vesperbild erwähnt. Und ich freue mich sehr, dass sie jedes Jahr am 15. August mit der Marianischen Frauenkongregation Regensburg nach Maria Vesperbild kommt.
Wie geht es weiter in Maria Vesperbild?
Mein Nachfolger, der bischöflich geistliche Rat Erwin Reichart, kommt aus dem Allgäu, er ist in der Region verwurzelt. Ich denke, dass in Maria Vesperbild jetzt eher eine Phase der Konsolidierung ansteht und die Wallfahrt gewissermaßen wetterfest gemacht werden muss. Mit dem Krisengerede habe ich mir immer schwergetan. In meinem Priesterleben waren die Kirchen nie leer. Wichtig ist, dass die Kirche immer mit ihrer Botschaft unterscheidbar ist, sie muss sich von ihrer Umgebung abheben. Sprüche wie „nahe am Menschen“sind schnell dahingesagt. Am nächsten sind die Geistlichen den Menschen im Beichtstuhl. Interview: Peter Bauer