„Er hat das verdient verloren“
Alexander Zverev ist als einer der Turnierfavoriten gestartet, aber schon in Runde eins gescheitert. Was Boris Becker, der neue Chef der deutschen Tennis-Männer, davon hält
Als Alexander Zverev Mittwochnacht um 21.47 Uhr den Grandstand-Platz der US Open verließ, erschien die Szenerie leicht bizarr. Zverev wirkte keineswegs verkniffen oder verbittert, er winkte sogar mit ausladender Geste freundlich ins Publikum, ehe er zur Spielerlounge wegmarschierte. Er machte gute Miene zum bösen Spiel, er sah nicht wie ein Verlierer aus, aber er war ein Verlierer. Sogar der Verlierer des Tages. Und der prominenteste Verlierer in der Herrenkonkurrenz überhaupt bisher.
Jedenfalls verabschiedete sich mit ihm, dem jüngeren Zverev-Bruder, ein Mann schon in Runde zwei von diesem Grand-Slam-Turnier, der nach dem Eindruck der meisten Experten und Profikollegen und auch nach seiner eigenen Wahrnehmung ganz oben auf der Liste der möglichen Pokalkandidaten stand. Aber die Zahlen, die schließlich auf der Anzeigetafel der Grandstand-Arena aufschimmerten, sprachen eine deutliche Sprache – schwarz auf weiß stand es da geschrieben, das ungenügende 6:3, 5:7, 6:7 (1:7), 6:7 (4:7)-Abschlusszeugnis für den 20-jährigen Hamburger gegen den Kroaten Borna Coric.
An Selbstkritik, an schonungsloser Analyse war nach dem Absturz aus lichter Höhe kein Mangel bei ihm, dem vermeintlichen, dem ge- fühlten Mitfavoriten: „Das ist eine riesige Ernüchterung. Das tut weh“, sagte Zverev, „ich habe viel zu vorsichtig gespielt, das war der Wahnsinn.“Seinen Level bei diesem Turnier nannte er „schlicht katastrophal.“
Ganz verschwunden ist der Name Zverev bei diesen amerikanischen Meisterschaften des Jahres 2017 nun aber nicht: Mischa, der 30-jährige Bruder, gewann eine Fünf-SatzNervenschlacht gegen den Franzosen Benoit Paire mit 6:3, 6:2, 3:6, 6:7 (3:7) und 6:4. Auch ihn ließ die Pleite für den Jüngeren nicht kalt: „Es wird dauern, bis er darüber wegkommt. Vielleicht hat ihm der letzte Biß gefehlt, vielleicht war er zu selbstsicher.“Er selbst kann nun die Familienehre weiter tapfer verteidigen, in der nächsten Runde gegen den US-Riesen John Isner.
Alexander, der neue deutsche Tennis-Superstar, der Mann, dem renommierte Blätter wie die New York Times vor den US Open lange Aufmacher-Geschichten widmeten, war schon oft in dieser Saison hoch, sehr hoch geflogen, auch in einem bestechenden Sommer in Nordamerika, in dem er sogar zwei Turniere hintereinander gewann. Doch der Tennis-Sonne, dem ganz großen Ruhm, kam er noch nicht näher, das bittere Ausscheiden im Big Apple reihte sich in eine Bilanz des Mißvergnügens bei den Grand SlamFestivitäten ein. Das Scheitern in New York war allerdings, genau so wie tags zuvor bei Angelique Kerber, ein besonders bitterer Moment: Denn in der unteren Auslosungshälfte war nach vielen Absagen und ersten Favoritenstürzen Zverev als bestplatzierter Spieler aus der Hackordnung verblieben. Das Feld war, wie es in der Sportsprache heißt, weit offen, es war aber auch eine trügerische Gemengelage. John zu ergreifen, verfiel er in Schockstarre, ließ sich auf ermüdende Grundlinienduelle mit Coric ein. „Er hat das verdient verloren, keine Frage. Er hat über weite Strecken viel zu passiv gespielt“, befand Boris Becker, der mit dreitägiger Verspätung in New York eingetroffen war, als Eurosport-Experte, aber auch in seiner Eigenschaft als Oberaufseher des deutschen Herrentennis.
Becker hatte am vergangenen Mittwoch, bei seiner Inthronisation in Frankfurt, als einer der wenigen die mahnende Stimme im allgemeinen Zverev-Hype erhoben. „Tourtennis und Grand-Slam-Tennis, das sind zwei unterschiedliche Welten“, sagte der 49-jährige Altmeister, „bei den Majors muss sich Alexander erst noch beweisen.“Dieser Beweis ist nun aber auf das Jahr 2018 vertagt, und deshalb fallen auch einige Schönheitsfehler ins Auge, bei Zverevs Gesamtbilanz nach den ersten acht Monaten der aktuellen Spielzeit.
Die Hoffnungen, auch von Zverev selbst, auf einen nachhaltigen Grand-Slam-Durchbruch blieben unerfüllt, am Ende setzte es sogar einen schweren Hieb fürs Selbstwertgefühl des 20-Jährigen. „Man wird ihn jetzt drei Tage nicht ansprechen können, das steckt er nicht so einfach weg“, sagte Bruderherz Mischa, „aber er ist ein kluger Kerl, er wird lernen daraus. Und noch ist das Jahr nicht vorbei für ihn.“
Pechvogel Cedrik-Marcel Stebe ist wieder einmal auch von seinem Körper gestoppt worden und bei den US Open in New York in der zweiten Runde ausgeschieden. Am Tag nach dem bitteren Scheitern von Top-Talent Alexander Zverev unterlag der 26-jährige Damir Dzumhur aus Bosnien-Herzegowina 6:4, 4:6, 0:6, 1:6. Beim 0:5 im dritten Satz holte sich der Qualifikant aus Vaihingen medizinische Hilfe auf den Platz und ließ sich behandeln. Doch Stebe wirkte weiterhin sichtlich angeschlagen und musste sich nach 2:11 Stunden geschlagen gegeben. Julia Görges und Mischa Zverev spielen erst am heutigen Freitag um den Einzug in das Achtelfinale. (Die Partie zwischen dem Augsburger Philip Kohlschreiber und dem Kolumbianer Giraldo war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet). Während für den hoch gelobten Alexander Zverev die ZweitrundenNiederlage eine schmerzhafte Erfahrung war, war für Stebe allein die Teilnahme am vierten und abschließenden Grand-Slam-Turnier der Saison ein Erfolg. Schon seinen VierSatz-Sieg gegen den Argentinier Nicolas Kicker hatte der Schwabe als „einen der größten Tage“in seiner Karriere bezeichnet. Nach der Belastung am Vortag bewies er im ersten Satz gegen Dzumhur die notwendige Geduld. Doch in den Sätzen drei und vier schien sich Stebe nur eingeschränkt zu bewegen und konnte seinem fitteren Gegner kein Paroli mehr bieten. Vier Jahre hatte sich Stebe mit Verletzungen gequält. „Ich war teilweise am Boden zerstört», sagte er. «Wenn ich mich wieder verletzt hätte, hätte ich wahrscheinlich nicht weitergemacht.“Probleme mit dem Hüftbeuger, der Lendenwirbelsäule, eine Schambeinentzündung, eine Stressfraktur und eine Operation an der Leiste - all das hatte Stebe wegstecken müssen.