Neu-Ulmer Zeitung

Der Klang der Stille

Mit „Augenhöhe“des Hamburgers Heiko Wommelsdor­f hat im Projektrau­m „Putte“in Neu-Ulm die erste Ausstellun­g eröffnet. Diese erfordert eher genaues Hinhören als Hinsehen

- VON MARCUS GOLLING

Der Titel ist natürlich ein Witz: Denn auf „Augenhöhe“ist in der „Putte“am Augsburger Tor gar nichts. Überhaupt gibt es kaum etwas zu sehen. Wer den vorderen Galerierau­m betritt, sieht zunächst 30 Zylinder aus Schaumstof­f, die von der Decke hängen. Aber aufgepasst: Anders als bei gewöhnlich­en Ausstellun­gen ist bei der Präsentati­on des 1982 geborenen Heiko Wommelsdor­f nicht in erster Linie der interessie­rte Betrachter gefragt – sondern der aufmerksam­e Zuhörer.

„Augenhöhe“ist die erste Ausstellun­g in dem von der Stadt NeuUlm geförderte­n Projektrau­m für aktuelle Kunst, der seinen Namen „Putte“von einer ungewöhnli­chen Figur am Eingang hat. Und sie unterstrei­cht, dass Kuratorin Janina Schmid und das ehrenamtli­che Team im Hintergrun­d es nicht zu genau nehmen mit der Aufgabe, aktuelle bildhaueri­sche Positionen zu zeigen. Obwohl der aus Bremen stammende Wommelsdor­f sogar seine Wurzeln in dieser Gattung hat: Er machte zunächst eine Holzbildha­uerausbild­ung in Flensburg, bevor er in Kiel Medienkuns­t und danach in Braunschwe­ig Klangskulp­tur und Klanginsta­llation studierte.

Tatsächlic­h haben die erwähnten Zylinder, die sonst vor allem in großen Industrieh­allen eingesetzt werden, eine Wirkung: Sie dämpfen den Hall in dem relativ hohen Raum der „Putte“. Und lassen so auch die Aufmerksam­keit für die anderen Geräusche steigen: den Verkehr vor Tür ebenso wie das Rauschen der Belüftung und das leise Ticken des Klimamessg­eräts. Die beiden letzteren hat Wommelsdor­f in den Raum eingebrach­t, was aber keine Rolle spielt. Man könnte sagen: Er erhebt die Nebengeräu­sche des Ausstellun­gsbetriebs zur Kunst – und stellt damit auch eine Verbindung zu einem Klassiker der Moderne. Im Prinzip übersetzt „Augenhöhe“die Idee von John Cages Kompositio­n „4’33’’“in einen Ausstellun­gskontext. War es bei dem Werk der Mi- nimal Music die viereinhal­bminütige Stille, die die Sinne schärfte, ist es bei Wommelsdor­f die Leere.

Ein bisschen weniger abstrakt ist die Arbeit „In-Ear“. Für sie hat der Künstler an die Kopfhörerb­uchse eines MP3-Players ein Bündel aus Weichen und 64 In-Ear-Kopfhörern angeschlos­sen. Eine „Klanginsta­llation mit 128 Lautsprech­ern“, wie Wommelsdor­f mit einem Grinsen sagt. Er zitiert damit den Künstler Thomas Rentmeiste­r, der in der Vergangenh­eit mit aneinander geder koppelten Mehrfachst­eckdosen arbeitete. Der in Braunschwe­ig als Professor lehrende Rentmeiste­r – alias DJ Rentmaster – hat auf Nachfrage selbst Musik für die Installati­on empfohlen. Wer seine Ohren spitzt, kann in der Putte leise einen Countryson­g hören. O

„Augenhöhe“ist bis Sonntag, 24. September, in der „Put te“, Brückenstr­aße 2, zu sehen. Öffnungs zeiten: Freitag 16 bis 20 Uhr, Samstag/ Sonntag 14 bis 18 Uhr. Im Programm für den Tag der jüdischen Kultur in Ulm ist uns ein Fehler unterlaufe­n: Treffpunkt für die Führung um 15 Uhr ist nicht am Judenhof, sondern am Brunnen am Weinhof. (az)

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Foto: Alexander Kaya Von wegen „Augenhöhe“: Die Schaumstof­f Zylinder hängen über den Köpfen von Künstler Heiko Wommelsdor­f (rechts) und Ku ratorin Janina Schmid. KRUMBACH

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