Es darf ruhig plakativ sein
Klaus Staeck ist der bekannteste deutsche Plakatkünstler. Mit politischen Themen hat er immer wieder provoziert. Aber wird das Genre im Internetzeitalter überhaupt noch beachtet?
Herr Staeck, angesichts der aktuellen politischen Lage: Welches Plakat würden Sie gerne gestalten?
Ich würde mein Dauerthema bearbeiten, die Umweltzerstörung. Es betrifft ja alle Menschen jenseits von Parteigrenzen. In den USA ist mit Donald Trump leider ein Leugner des Klimawandels gewählt worden, ausgestattet mit weltweiter Macht. Das ist eine ganz neue dramatische Situation.
Wie könnte so ein Plakat aussehen?
Man sollte nicht nur mit der Apokalypse drohen. Sie ist zwar immer schön zu illustrieren, aber sie schreckt die Leute oft mehr ab, als sie zu einem anderen Verhalten zu bringen.
Welche Mittel hat die Kunst, um andere aktuelle Themen wie Populismus oder Extremismus aufzugreifen?
Ich bin ein Kind der Aufklärung und glaube, dass sie eine der wenigen Möglichkeiten ist, um auf falsche Entwicklungen und Folgen menschlichen Handelns aufmerksam zu machen. Das vermag die Kunst manchmal besser als der politische Appell.
Wie ist es eigentlich heute um das politische Plakat bestellt, in Zeiten des Internets – ist es aus der Mode gekommen?
Schon seit ich Plakate mache, werden sie für tot erklärt. Durch das Internet wird zwar eine neue Aufmerksamkeit geschaffen. Aber solange Firmen, Parteien und Organisationen noch viel Geld für Plakatwerbung ausgeben, kann es so schlecht um sie nicht bestellt sein. Das würden sie nicht tun, wenn sie nicht davon überzeugt wären, dass Plakatwerbung etwas bewirkt. Solange wir uns noch als analoge Wesen verstehen und uns nicht völlig im Internet auflösen, gibt es eine Chance. Wie haben sich Plakate und die Plakatkunst verändert?
Die allgemeine Plakatwerbung ist vielfältiger geworden, sowohl hinsichtlich der Gestaltung als auch der Themen. Lange Zeit dominierte das schlichte Wahlplakat mit dem Signet der Partei und einem Porträt. Ganz anders in den 1920er Jahren: Da gab es großartige Plakate, die drastisch zu politischen Themen Stellung nahmen. Künstler sollten sich viel häufiger in die öf- fentlichen Auseinandersetzungen einmischen. Der Fotograf Wolfgang Tillmans etwa hat Plakate gegen den Brexit gestaltet. Mit seinen Möglichkeiten, der Sprache der Kunst, hat er in einem realen Konflikt öffentlich Stellung bezogen. Wann ist aus Ihrer Sicht eine Plakatkampagne gelungen?
Einmal war der Erfolg messbar: 1972 mit dem Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“. Es hatte eine Auflage von 70 000 Stück. Die Leute haben es als Eingriff, als eine Art Befreiungsschlag in einer schwierigen Debatte verstanden. Wären denn Plakate dieser Art heute möglich? Man denke auch an Ihr Plakat von 1971, auf dem Dürers Bildnis seiner verhärmten 63-jährigen Mutter zu sehen ist, mit dem Text „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“
Natürlich wäre es möglich. Andererseits denke ich, dass die Leute heute abgebrühter sind, dass man andere Anstrengungen unternehmen muss. Es gibt aber auch viele Debatten um political correctness und darüber, was Satire darf, auch im religiösen Bereich.
Satire darf alles, mit Verantwortung. Man kann nicht beliebig gegen geltende Gesetze verstoßen. Artikel 1 des Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, schwebt über allem, was man tut und womit man sich in die Öffentlichkeit begibt. Was darf Satire also zum Beispiel nicht?
Ich will das gar nicht definieren. Denn Satire lotet auch immer Grenzen aus. Satire löst, wenn sie gut ist, meist starke Erregung und oft auch Widerstand aus. Wenn sich dennoch jemand angegriffen fühlt, gibt es die Gerichte, die dann die Meinungsfreiheit zu verteidigen haben. So ist 41 Mal versucht worden, meine Plakate juristisch zu verhindern. Das ist jedoch nie gelungen. Am 24. September ist Bundestagswahl, es gab in diesem Jahr auch schon einige Landtagswahlen. Was halten Sie von zeitgenössischen Wahlplakaten?
Die Wahlplakate waren bisher wie immer. Man muss mit Satire aufpassen, sie kann schnell falsch verstanden werden. Sie setzt immer mindestens einen zweiten Blick voraus, sodass man das Doppeldeutige erkennt. Die Gefahr des Missverstehens ist bei so breiten Kampagnen immer da. Deshalb hüten sich die Parteien davor – die Grünen machen da gelegentlich eine Ausnahme –, zu sehr auf Satire zu setzen.
Interview: Leticia Witte, kna
1938 in der Lausitz geboren, war mit seiner Plakat kunst in bedeutenden Ausstellungen vertreten, darunter allein dreimal bei der Kasseler Documenta. Das SPD Mitglied Staeck hat mit sei nen satirisch zugespitzten Bildfindun gen aber nicht nur Zustimmung er fahren, sondern immer wieder auch empörte Reaktionen auf sich gezo gen. Zwischen 2006 und 2015 war Staeck Präsident der Akademie der Künste in Berlin. (AZ) Ismail Kadare, 1936 im südalbanischen Gjirokastra geboren, schrieb über Kommunismus und Diktatur schon zu einer Zeit, da man dies nicht tun konnte ohne Gefahr für Leib und Leben. Es dauerte bis in die 70er Jahre, bis der große Autor auch im Westen schlagartig berühmt wurde. Dazu verhalf ihm in erster Linie „Der General der toten Armee“, 1963 verfasst, 1977 auf Deutsch erschienen, im Weiteren Titel wie „Chronik in Stein“und „Der Palast der Träume“.
Zwischen Original und Übersetzung liegen bei Kadare oft viele Jahre. So auch bei seinem Roman „Die Verbannte“, geschrieben 2008/09 und jetzt, übertragen von Joachim Röhm, bei uns im Buchhandel. Kadare, überwiegend in Paris lebend, bleibt sich treu. An der politischen Unterdrückung, an Willkür und Verhör, an geheimen Akten und Verschwörungstheorien entzündet sich sein Werk. Den Schriftstellern in diesen Romanen wird insgeheim mitgespielt, sie suchen den Kopf oben zu halten und knicken doch ein. In „Die Dämmerung der Steppengötter“(2016) hat Kadare grandios die sowjetische Schriftstellermafia und ihre Hetze gegen den mit dem Nobelpreis gekürten Boris Pasternak auseinandergenommen.
Von dieser Dichte ist „Die Verbannte“weit entfernt. Kadare springt, wie gewohnt, von der distanzierten Erzählung ins Geschehen, von der Außensicht in die Gedankenwelt, vom Bericht in den Dialog. Der Ton nimmt oft eine ironische Färbung an und setzt sarkastische Stiche gegen die Machtblasen. Das alles hat in „Die Verbannte“indes nicht die an diesem Autor geschätzte Sprachwucht. Und doch legt Kadare in dem krakenartigen Klammergriff des Staatsapparates Stück für Stück eine schier unglaubliche menschliche Tragödie offen, die ans Herz greift. Dabei beginnt alles so harmlos, mit der Signatur des Dramatikers Rudian Stefa: „Für Linda B. zur Erinnerung. Der Autor. 12. Juni.“Linda B. ist eine wegen „feindlicher Klassenzugehörigkeit“Internierte fern der Hauptstadt Tirana, rechtlos, isoliert, seelisch stranguliert. Von einer solch verzweifelten Sehnsuchtsfigur hat man lange nicht mehr gelesen. Kadare blendet immer wieder den Orpheus-Mythos ein, den Widerstreit von Eros und Tod, die Zerstückelung des Menschlichen.
Das durch Fakten erschütternde Nachwort verrät, wie abgrundtief dieser Roman in der Lager-Realität des kommunistischen Albanien der Jahre 1944 bis 1989 wurzelt.
S. Fi