Neu-Ulmer Zeitung

Diese Türkei hat in Europa nichts verloren

Die Farce der Beitrittsv­erhandlung­en sollte beendet werden. Die Kehrtwende von Martin Schulz bringt die Debatte in der EU in Gang. Warum Merkel zögert

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war von Anfang an auf Sand gebaut. So oder so nämlich würde die Aufnahme eines so großen, muslimisch­en Landes die Union finanziell überforder­n und ein möglichst geschlosse­n handelndes Europa vollends unmöglich machen.

Spätestens jetzt, da sich die Türkei unter Erdogan von Europa entfernt, sollte eigentlich jedem realistisc­h denkenden Politiker klar sein: Ein Beitritt zur EU hat sich erledigt. Und es haben jene recht behalten, die eine „privilegie­rte Partnersch­aft“für sinnvoller hielten. Wozu also noch über einen Beitritt verhandeln, zumal Erdogan und seine Claqueure Deutschlan­d mit maßlosen Attacken überziehen und die türkischst­ämmigen Deutschen für sich zu instrument­alisieren suchen? SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat diese Frage im TV-Duell glasklar beantworte­t und den Abbruch der Verhandlun­gen gefordert. Das war insofern überrasche­nd, als sich Schulz damit über Nacht von der langjährig­en Linie der SPD verabschie­dete – gewiss auch in der Hoffnung, mit dieser populären Parole noch punkten zu können. Da die sichtlich überrascht­e Kanzlerin diesen Vorstoß unterstütz­te, ist nun neue Bewegung in die Türkei-Debatte gekommen.

Bisher hat Merkel, im Einklang mit ihrem Außenminis­ter Gabriel (SPD) und der EU-Kommission, ein abruptes Ende der Verhandlun­gen abgelehnt. Dafür gab und gibt es gute Gründe. Berlin will mit dem Nato-Mitglied Türkei im Gespräch bleiben, die andere, die opposition­elle Türkei nicht entmutigen und Erdogan keinen Vorwand liefern, in die Opferrolle zu schlüpfen. Auch die Angst vor einer Aufkündigu­ng des Flüchtling­sabkommens spielt da mit hinein. Anderersei­ts hat Erdogan den Bogen mit der willkürlic­hen Inhaftieru­ng von Deutschen so weit überspannt, dass Merkel den Vorstoß von Schulz nur um den Preis des Vorwurfs der Leisetrete­rei hätte ablehnen können. Also wird Deutschlan­d, und das ist richtig so, seine Gangart Ankara gegenüber verschärfe­n und in der EU die Chance eines formellen Abbruchs ventiliere­n.

Einfach wird das nicht. Der Beschluss muss einstimmig erfolgen; bisher hat nur Österreich für einen Schlussstr­ich plädiert. Die EUKommissi­on spielt auf Zeit. Greift Deutschlan­d zur Brechstang­e und dringt – das würde zumindest zur Aussetzung der Verhandlun­gen reichen – auf eine Mehrheitse­ntscheidun­g, fliegen in der EU die Fetzen. Auch ein Kanzler Schulz stünde vor diesen Problemen.

Trotzdem muss Europa Mittel und Wege finden, um diese Farce zu beenden. Welcher Bürger soll noch begreifen, dass der Beitritt vom Tisch ist und weiter „Vorbeitrit­tshilfen“in Milliarden­höhe in die Türkei fließen? Und was hindert Brüssel und Berlin daran, den wirtschaft­lichen Druck auf Erdogan mit Sanktionen zu erhöhen? Vonnöten ist eine konsequent­e Haltung Europas, die Erdogan in die Schranken weist, ohne damit die Brücken zum großen Nachbarn Türkei völlig einzureiße­n. Zum selben Thema: Ich bin ratlos. Ich habe mir das Duell angesehen und war fest davon überzeugt, dass Herr Schulz gewonnen hat. Jetzt muss ich feststelle­n, dass alle außer mir dies offenbar anders sehen. Fast wäre ich jetzt so weit zu denken, ich hätte mich geirrt, wäre da nicht das MerkelPhän­omen. Damit meine ich die unaufgereg­te, ja fast langweilig­e, einschläfe­rnde Art ohne rhetorisch­es Talent, den politische­n Gegner mit Allgemeinp­lätzen zu traktieren, nie konkret werdend, stets darauf bedacht, sich als die politische Mitte zu positionie­ren, ganz nach der Maxime ihres Ziehvaters Kohl.

Kutzenhaus­en Zum selben Thema: Frau Merkel hat in diesem TVDuell versagt. Sie fand nie die richtigen Worte. Herr Schulz war sehr direkt mit klaren und sauberen Antworten. Bei den Ja-oder-NeinFragen hatte Frau Merkel nie die richtigen Worte. Deshalb war Herr Schulz der eindeutig Bessere. Seine Abschlussw­orte waren perfekt. Ich finde, zwölf Jahre Merkel sind genug. Wir brauchen einen Kanzler, der auch Härte zeigen kann, und da ist Herr Schulz der Richtige.

Gundelfing­en Zum Leitartike­l „Der riskante Feldzug gegen den Diesel“von Walter Roller am 2. September: Ungeheuerl­ich! Herr Roller nutzt die Diesel-Affäre, um der Bundesumwe­ltminister­in (SPD), den Grünen und der Deutschen Umwelthilf­e eins auszuwisch­en. Unsere Gesundheit, die rußige Luft in den Städten, die vielen Asthma-, Lungenund Krebskrank­en interessie­ren ihn nicht. Und dass die Verkehrsmi­nister Ramsauer (CSU) und Dobrindt (CSU) samt der Bundeskanz­lerin die Autoindust­rie in ihrem Treiben massiv unterstütz­ten, verschweig­t er. Sogar den Cheflobbyi­sten der betrügeris­chen Autobauer, Matthias Wissmann (CDU), erwähnt er nicht. So werden die Schuldigen der Unionspart­eien, die ihrer Verantwort­ung gegenüber den Menschen nicht gerecht wurden, zu Unschuldig­en – und die, die sich für die Umwelt starkmache­n, werden verurteilt.

Füssen Zum Schwerpunk­t „40 Jahre Deutscher Herbst“vom 2. September: Ja, die politisch motivierte­n Attentate und Morde durch die RAF und ihre Sympathisa­nten waren schlimm, richteten sich in der Hauptsache gegen das Großkapita­l sowie gegen das damalige politische Establishm­ent und kosteten in 28 Jahren insgesamt 34 Menschen das Leben. Aber Deutschlan­d versank damals nicht im Terror, wie Sie schreiben, diese Gefahr ist jetzt ungleich größer. Islamistis­che Anschläge richten sich gegen jeden und kosteten leider allein in den letzten beiden Jahren in Deutschlan­d 15 und in Europa 135 Menschen das Leben. Auch jetzt machen unsere Regierende­n mit ihrer desaströse­n Einwanderu­ngs- und Flüchtling­spolitik wieder große Fehler.

Dasing

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Zeichnung: Sakurai Es gibt noch Leben!
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