Österreich vor einem historischen Machtwechsel
Der junge Senkrechtstarter Sebastian Kurz steht vor dem Durchmarsch ins Kanzleramt. Auch weil die lange regierenden Sozialdemokraten am Boden liegen
Spätestens mit dem SPÖ-Parteitag hat gestern die heiße Phase des Wahlkampfes in Österreich begonnen, wo am 15. Oktober ein neues Parlament, der Nationalrat, gewählt wird. Mindestens 20 Prozent der Wähler gelten noch als unentschlossen. Sie stehen vor einer Richtungsentscheidung: Mehr soziale Gerechtigkeit oder stärkere Eigenverantwortung der Bürger sind die Alternativen.
Kurz bevor die Republik im nächsten Jahr ihr hundertjähriges Bestehen feiert, droht den bisher regierenden Sozialdemokraten unter Kanzler Christian Kern der historische Absturz auf den dritten Platz. Jungstar Sebastian Kurz hat die ÖVP im Mai handstreichartig übernommen. Er hat sie umgebaut und ihr statt Schwarz die Farbe Türkis verordnet. Nun will er mit 31 Jahren Regierungschef werden. Ungeliebte Steigbügelhalter beim Machtwechsel dürften die Freiheitlichen sein. Trotz ihrer Ausländerfeindlichkeit und ihrer Nähe zu Marine Le Pens Front National und Alexander Gaulands AfD könnte die FPÖ als Mehrheitsbeschafferin akzeptiert werden.
Denn Sebastian Kurz gelingt der Marsch an die Spitze der Wählergunst auch durch die sanfte Aufnahme all jener Vorurteile in das Programm seiner neuen Bewegung, die auch der FPÖ Erfolg in den Umfragen brachten. Österreichs Mittelstand wird gegen die Ausländer, besonders Flüchtlinge, ausgespielt. Kurz will Förderungen und Sozialleistungen für sie senken, Leistung soll sich wieder lohnen.
Christian Kern setzt auf den Slogan „Holt euch, was euch zusteht“. Gemeint sind: höhere Renten, mehr Arbeitsplätze, niedrigere Steuern und Abgaben für geringe Einkommen. Damit befindet er sich in guter österreichischer Tradition. Dort ist nicht entscheidend, wie viel der Staat kassiert, sondern was er damit finanziert. Im Vergleich zu Deutschland sind die Renten in Österreich hoch, die Mieten niedrig, Gesundheitsversorgung und Kinderbetreuung für alle Bevölkerungsgruppen erschwinglich. Kern will die gute Versorgung der Bevölkerung beibehalten, aber das System modernisieren. Finanziert werden sollen seine Pläne durch Erbschaftsteuern und höhere Besteuerung großer Unternehmen.
Sein politisches Programm vertritt der Kanzler, seit er im Amt ist. Doch im Wahlkampf zündet es nicht. Kern fehlt einfach das Zeug zum Volkstribun. Der Charme, mit dem in Frankreich Emmanuel Macron seine Wähler umgarnte, ist eher bei Kurz anzutreffen. Die tiefer greifende Ursache ist jedoch der schlechte Zustand der Partei, die Kern vor etwas mehr als einem Jahr als ihren Hoffnungsträger ausrief. Die SPÖ ist von Flügelkämpfen zermürbt und auf einmal nicht mehr bereit, sich von jemandem retten zu lassen, dem der Stallgeruch fehlt. Nicht einmal eine funktionierende Wahlkampagne gibt es.
Die SPÖ ist nicht die einzige Partei in der Krise. Die Grünen haben sich im Streit um Listenplätze gespalten. Die liberalen NEOS drohen im Lagerwahlkampf zwischen Rot und Schwarz aufgerieben zu werden.
All das nutzt Sebastian Kurz, der auch im Internet-Wahlkampf an der Spitze liegt. Unter Jungen gilt es als cool, zu den Türkisen zu gehören. Davon profitiert natürlich die ÖVP als Ganzes. Die „Alten“können sich gemütlich zurücklehnen. Sie müssen nur Disziplin wahren und sich dem Kurs ihres Spitzenkandidaten bis nach der Wahl unterwerfen. Dann, so ist zu hören, wollen sie das türkise Sakko wieder ausziehen und zu den alten Gewohnheiten zurückkehren. Dann wird mancher Reformvorschlag in der Schublade verschwinden, noch bevor eine Koalition darüber entscheiden konnte. Doch noch ist Wahlkampf und noch gibt der Jungstar den Ton an. Zu „Deutlich mehr Geld für saubere Luft in den Städten“(Seite 1) vom 5. 9.: Die Gesundheit von uns Bürgern ist doch dieser Regierung völlig egal. Erst wenn Pkw-Fahrverbote drohen, wird sie tätig. Natürlich auf dem Rücken der Steuerzahler. Erst vor kurzem hat sie durch eine kleine Gesetzesänderung erlaubt, dass die Styropordämmplatten, also Sondermüll, mit unserem Hausmüll verbrannt werden. In der Tiermast werden täglich 4,5 Tonnen Antibiotika verabreicht, Rückstände finden sich in Fleisch, Gülle und Abluft. Unser umweltschädlicher Flugverkehr wird subventioniert. Aus der Altlast unserer Kanzlerin (Asse) sickern radioaktive Abwässer in das Grundwasser… Aber wir wählen sie wieder.
Kempten Zum Kommentar „Kontrollieren statt Abwinken“(Seite 1) von Bernhard Junginger am 6. September: Zu dem vollkommen zutreffenden Kommentar möchte ich noch anmerken: Wie soll die Kontrolle denn funktionieren, wenn viele Abgeordnete teilweise bis zu 17 Nebenjobs ausüben. Denen fehlt doch auch die Zeit dazu, was die oft gähnende Leere im Plenarsaal beweist!
Kaisheim Zu „Sicher durch die Pilzsaison“(Geld & Leben) vom 5. September: Alle Jahre wieder wird offensiv über die Medien zum Sturm der heimischen Wälder aufgerufen. Durch beständige Werbung für die Pilzberatungsstellen wird auch noch dem letzten Unentschlossenen vermittelt, dass man auch ohne jegliche Vorkenntnisse alles einsammeln kann, was nach Pilz aussieht.
Leider sind diese Aufrufe sehr erfolgreich, es kommt mittlerweile zu echten Auswüchsen. Da kommen aus kleinsten Waldparzellen an der einen Seite Sammler raus, während auf der anderen Seite die nächste Gruppe wieder einmarschiert … Mir erschließt sich nicht, was genau die Beweggründe zu den jährlichen Artikeln sind? Sind Pilzfreunde keine Naturfreunde? Wäre es nicht besser, wenn nur die Pilze sammeln würden, die sich damit auskennen? Die anderen wären am Wochenmarkt besser aufgehoben, und der Pilznotruf würde auch entlastet. Leidtragende dieser Invasion sind jedenfalls wieder einmal unsere heimische Tier- und Pflanzenwelt.
Wildpoldsried Zu „Enttäuschung über das TV Duell“(Seite 1) vom 5. September: Aus den Kommentaren über das TV-Duell Merkel/Schulz könnte man fast den Schluss ziehen, es bestünde ein allgemeiner Wunsch, dass die Kontrahenten mit einem Messer zwischen den Zähnen, womöglich in einer sandigen Arena, aufeinandertreffen. Der größte Haudrauf bekäme dann die Höchstpunktzahl und den Zuschlag am Wahltag. Sind wir froh, dass es bei uns noch gesitteter zugeht und Auswüchse dieser Art noch nicht zu uns herübergeschwappt sind.
Kempten