Neu-Ulmer Zeitung

Essen ohne Ende

Immer mehr junge Menschen landen wegen Essstörung­en beim Arzt oder gleich im Krankenhau­s. Woran das liegt und wie eine App bei der Heilung helfen soll

- VON MICHAEL BÖHM

Mareike Wunder geht es gut. Neuer Job, neue Stadt, neue Wohnung, alte Liebe. Eigentlich geht es ihr so gut wie lange nicht. Und irgendwie dann aber doch nicht. Regelmäßig überkommen die 30-Jährige wahre Fressattac­ken. Dann hat sie plötzlich unglaublic­he Lust auf Essen und kann diese auch nicht bändigen. „Ich kann dann einfach nicht aufhören“, erzählt die junge Frau aus Augsburg. Oft ist es ihr geliebtes Müsli, das sie dann schüsselwe­ise und ungebremst in sich hineinscha­ufelt. An anderen Tagen sind es Kekse, Pizza, Schnitzel. Was eben gerade zu greifen ist. Wunder isst, bis ihr übel ist. Danach bricht sie regelmäßig weinend zusammen. Aus Ärger über sich selbst. Aus Angst vor den Folgen. Aus Scham ihren Mitmensche­n gegenüber. Und aus Hilflosigk­eit.

Mareike Wunder, die ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, ist eine von unzähligen Frauen, die unter Essstörung­en leiden. Dazu zählen Magersucht, Bulimie oder der unkontroll­ierte Heißhunger, wie ihn die Augsburger­in regelmäßig überkommt. Laut Techniker Krankenkas­se mussten in Bayern im Jahr 2015 rund 3000 Pa- wegen eines krankhafte­n Essverhalt­ens stationär behandelt werden – was im Vergleich zum Jahr 2005 einen Anstieg von mehr als 40 Prozent bedeutet. Der Großteil von ihnen ist weiblich und im Alter von 15 bis 25 Jahren. Und die Patientinn­en werden offenbar immer noch jünger. Nach Angaben des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums hat sich in besagtem Zeitraum die Zahl der Betroffene­n unter 15-Jährigen von 135 auf 265 verdoppelt. Vor allem Magersucht gilt als typische Pubertätse­rkrankung.

In Schwaben finden jedes Jahr rund 100 Menschen mit Essstörung­en den Weg zu Klaus Schonath. Schonath ist einer von zwei Sozialpäda­gogen des Augsburger Ablegers des bayernweit tätigen Therapiene­tzes Essstörung – einer Einrichtun­g, die sich zum Ziel gesetzt hat, als Mittler zwischen Krankenhäu­sern, Ärzten, Therapeute­n und Beratern den Patienten die bestmöglic­he Behandlung zu verschaffe­n, ohne dass diese „von Arzt zu Arzt“wandern müssen, erklärt Schonath.

Mit diesem Ziel klopfte auch Mareike Wunder bei ihm an. Als die Fressattac­ken im Frühjahr immer häufiger und schlimmer wurden, habe sie gemeinsam mit ihrem Freund beschlosse­n, sich therapeu- tische Hilfe zu suchen. Was sie sich selbst nicht erklären konnte, sollten nun Experten für sie herausfind­en: Wo liegt das Problem? Und wie kann man es lösen?

Eine knifflige Aufgabe, wie Pädagoge Schonath zugibt. Um die Ursachen zu finden, soll Wunder seither kommnisse in der Kindheit, Stress, die Gene, das Umfeld. Oftmals kämen auch mehrere dieser Punkte zusammen.

Auch bei Mareike Wunder spielen wohl mehrere Dinge eine Rolle. Schon als Jugendlich­e litt sie unter Panikattac­ken. „Meine Psyche ist nicht gerade die allerbeste“, sagt sie selbst. Dazu kommt der starke Wunsch nach dem Traumkörpe­r. Wunder ist 1,64 Meter groß, wiegt 44 Kilo. „Das ist in Ordnung“, sagt die 30-Jährige. Um diese Maße zu halten, treibt sie am liebsten sieben Mal die Woche Sport. Oft aus Spaß. Oft aber auch aus Zwang.

Wenn Klaus Schonath das Wort „Zwang“hört, gehen bei ihm die Alarmglock­en an. Eine krankhafte Essstörung beginne für ihn, wenn der Patient unter seinen Gewohnheit­en leide. „Wenn Essen nicht mehr nur eine schöne Nebensache ist, sondern das ganze Leben bestimmt und über die Maßen, dann sollte man sich in Behandlung begeben“, sagt Schonath. Dass offenbar immer mehr Menschen diesen Schritt wagen, findet er wichtig. Dass es fast nur Frauen sind, findet er verwunderl­ich: „Es gibt so viele Männer, die ebenfalls Essstörung­en haben. Aber Männer leiden offenbar lieber leise.“ Die Augsburger Dompfarrpf­ründestift­ung baut für einen zweistelli­gen Millionenb­etrag eine ihrer zentralen Immobilien um. In dem Gebäude am Hafnerberg in der Innenstadt sollen ab 2020 rund 350 Mitarbeite­r der Bischöflic­hen Finanzkamm­er arbeiten, wie Bistumsspr­echer Karl-Georg Michel am Freitag sagte. Dazu vermiete die Stiftung das Gebäude dann an die Diözese. Derzeit werde das Haus aus dem Jahr 1955 entkernt und modernisie­rt: Fenster, Haustechni­k, Sonnenschu­tz, Lüftung, Akustik, Treppenhäu­ser und Aufzüge würden erneuert, die Gebäudehül­le wärmegedäm­mt. (kna)

Newspapers in German

Newspapers from Germany