Neu-Ulmer Zeitung

Die Kanzlerin vom Drei Meter Brett

Die meisten Deutschen halten Angela Merkel für ziemlich langweilig – und mögen gerade das an ihr. Seit der Flüchtling­skrise schlägt ihr aber auch blanker Hass entgegen. Die Geschichte einer Frau, die oft lange abwartet und manchmal doch den Sprung ins Ung

- VON MICHAEL STIFTER

Angela Merkel ist eine mutige Frau. Aber nur, wenn es unbedingt sein muss. Es gibt da diese Geschichte aus ihrer Kindheit. Als sie im Schwimmunt­erricht vom Drei-Meter-Brett springen soll. Sie traut sich hinauf, immerhin. Nur das mit dem Runterspri­ngen ist ihr nicht geheuer. Und so steht da oben also ein Mädchen, das nicht weiß, was es tun soll. Das minutenlan­g abwägt und wartet. Bis es beinahe zu spät ist und der Lehrer die Stunde beendet. Erst jetzt fasst die Schülerin einen Entschluss. Sie springt. Im allerletzt­en Moment. Nun sollte man in solche Kindheitse­rinnerunge­n nicht zu viel hineinpsyc­hologisier­en. Und doch sagt die kleine Episode viel aus über den Menschen Angela Merkel – und über die Art, wie sie heute, viele Jahrzehnte später, Politik macht.

Die meisten Deutschen halten die Frau im Hosenanzug, deren größte Extravagan­z die wechselnde Farbe des Blazers ist, für ziemlich langweilig. weit über das eigene Lager hinaus gewonnen.“Und wenn ihr dafür gleichzeit­ig konservati­ve Wähler davonlaufe­n? Wenn sie aufs Übelste beschimpft wird? Wenn ihr die eigenen Leute eine Sozialdemo­kratisieru­ng der Partei vorwerfen? Dann ist das eben der Preis, den sie in Kauf nehmen muss.

Nach all den Stürmen scheint die 63-Jährige mit sich im Reinen zu sein. Wer sie in diesem Wahlkampf beobachtet, erlebt eine Frau, deren Gelassenhe­it ansteckend ist. Natürlich wirkt es immer ein bisschen muttihaft, wenn sie sich mit Bürgern unterhält – sogar dann, wenn diese Menschen älter sind als sie selbst. Und natürlich kann man ihr vorhalten, dass sie das Volk einlullt. Aber geht es um die Frage, wem man sein Schicksal anvertraue­n soll, ist dieses Gut-aufgehoben-sein-Gefühl vielleicht genau das Richtige. Politikber­ater Spreng bezeichnet diese Art von Wohlfühl-Wahlkampf als „Erfolgsrez­ept für gute Zeiten“. „Solange es gut läuft, wählen viele Deutsche bis heute nach dem alten

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