Neu-Ulmer Zeitung

Was wird aus Wolfgang Schäuble?

Nächste Woche wird der Finanzmini­ster 75 Jahre alt. Für den Rekord-Abgeordnet­en kein Grund, ans Aufhören zu denken. Doch auch andere schielen auf seinen einflussre­ichen Job

- VON MARTIN FERBER

Rente mit 67? Wohlverdie­nter Ruhestand nach 45 Arbeitsjah­ren im Bundestag? Kreuzfahrt­en statt Konferenze­n? Wolfgang Schäuble kann über derartige Fragen nur milde lächeln. Für ihn stellen sie sich nicht. Am kommenden Montag, wenige Tage vor der Bundestags­wahl, feiert der Finanzmini­ster seinen 75. Geburtstag. Doch ans Aufhören denkt der CDU-Politiker aus Baden noch lange nicht.

Kein Abgeordnet­er war jemals länger Mitglied des Bundestags. Die zu Ende gehende Legislatur­periode war seine zwölfte. 2014 überbot er den bisherigen Rekord des CSU-Politikers Richard Stücklen, der es von 1949 bis 1990 auf 41 Jahre gebracht hatte. Und dennoch keine Spur von Amtsmüdigk­eit. In seinem Wahlkreis Offenburg will er zum 13. Mal in Folge das Direktmand­at erringen. Niemand zweifelt daran, dass ihm das auch gelingen wird. Vor vier Jahren gewann er seinen Wahlkreis souverän mit 56,0 Prozent der abgegebene­n Erststimme­n.

Doch die Frage, ob der mit Abstand erfahrenst­e Politiker im Kabinett auch einer neuen Bundesregi­erung angehören wird, kann so kurz vor der Wahl nicht sicher beantworte­t werden. Auf das Finanzress­ort, das er seit acht Jahren innehat und das er in dieser Zeit zu einer Art Ersatzkanz­leramt ausgebaut hat mit dem Recht, sich praktisch zu allen Fragen der Innen-, der Europa- und der Außenpolit­ik zu äußern, haben längst auch die potenziell­en Koalitions­partner der Union begehrlich­e Blicke geworfen.

Seit 1966, als Willy Brandt (SPD) Außenminis­ter wurde, fiel dieses Amt stets automatisc­h dem kleineren Koalitions­partner zu. Diese Zeiten könnten zu Ende gehen. Das Finanzress­ort ist schlichtwe­g wichtiger, der Ressortche­f der zweitmächt­igste Mann im Kabinett geworden. FDP-Chef Christian Lindner spricht offen von einem Fehler, dass Guido Westerwell­e (FDP) 2009 das Finanzress­ort der Union überlassen hat. Das soll sich dieses Mal nicht wiederhole­n.

Bevor ein neues Kabinett gebildet wird, hat Wolfgang Schäuble erst einmal mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit seinen großen Auftritt bei der konstituie­renden Sitzung des neuen Bundestags. Sie muss nach den Vorgaben des Grundgeset­zes spätestens 30 Tage nach der Wahl stattfinde­n. Weil das Parlament die bisherigen Regeln geändert und das Amt des Alterspräs­identen neu definiert hat, wird diese Sitzung nicht mehr, wie bisher, von dem an Lebensjahr­en ältesten Abgeordnet­en, sondern vom dienstälte­sten Parlamenta­rier eröffnet und geleitet – und das ist Schäuble.

So kommt zu seiner langen Liste an Ämtern auch noch das des Alterspräs­identen hinzu, das schon so prominente Politiker wie Konrad Adenauer und Ludwig Erhard (beide CDU), Herbert Wehner und Willy Brandt (beide SPD) und zuletzt zweimal sein früherer Kabi- nettskolle­ge Heinz Riesenhube­r (CDU) innehatten. Sowohl im Parlament wie in der Regierung, in der Legislativ­e und der Exekutive, hat Schäuble schon Schlüsselp­ositionen besetzt. Er war Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion, Fraktionsv­orsitzende­r und CDU-Parteichef, Kanzleramt­sminister unter Helmut Kohl, zweimal Innenminis­ter und nun eben acht Jahre lang Chef des Finanzmini­steriums. Er handelte 1990 mit der damaligen DDR-Regierung den Einigungsv­ertrag aus und bestimmte in den letzten Jahren den Kurs der Euro-Rettungspo­litik.

Nur Bundeskanz­ler und Bundespräs­ident konnte und durfte er nicht werden. Das eine verhindert­e Helmut Kohl, das andere scheiterte an Angela Merkel, die 2004 den weithin unbekannte­n Horst Köhler bevorzugte, da die CDU-Parteispen­denaffäre, in die auch Schäuble verwickelt war, noch in zu frischer Erinnerung war.

Doch Schäuble, seit einem Attentat am 12. Oktober 1990 auf den Rollstuhl angewiesen, hat seinen Frieden mit dem Schicksal gemacht. Er weiß um seine Bedeutung und seine Macht im Kabinett. Sein Wort hat Gewicht. Seine Kommentare können spöttisch bis beißend sein. Er nimmt sich das Recht, sich zu allem zu äußern und sogar der eigenen Kanzlerin zu widersprec­hen, zuletzt bei der Rente mit 70. Gleichwohl bleibt er loyal. Er versteht sich als Korrektiv und Ergänzung, beispielsw­eise in der Flüchtling­spolitik, wo er schon frühzeitig einen Kurswechse­l gefordert hat. Merkel wiederum schätzt Schäubles Erfahrung und betrachtet ihn als Stütze ihres Kabinetts.

Und doch ist seine Zukunft offen. In Berlin wird er als Nachfolger von Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU) gehandelt, der nicht mehr kandidiert. Damit wäre Wolfgang Schäuble protokolla­risch die Nummer zwei im Staate, noch vor der Bundeskanz­lerin. Doch ob er sich mit dem eher repräsenta­tiven Job begnügen wird? Die Lust am operativen Geschäft hat er jedenfalls nicht verloren. Und kampflos wird die Union das wichtige Finanzress­ort nicht abgeben. Sollte er es behalten, würde er einen weiteren Rekord aufstellen – der Finanzmini­ster mit der längsten Amtszeit.

Der bisherige Rekordhalt­er Theo Waigel, 1989 bis 1998 an der Spitze des Ressorts, hat sich schon damit abgefunden, dass Schäuble ihn womöglich ablöst. „Ich hatte ja mal den Schuldenre­kord mit 80 Milliarden D-Mark, den hat er mir bereits abgenommen. Ich habe ihm damals eine gute Flasche Wein geschenkt“, sagte Waigel kürzlich in einem Interview. „Und wenn er mich jetzt auch noch bei der Amtszeit überholt, bekommt er eine noch bessere Flasche Wein.“Dass Waigel selbst dann nur noch der Zweitdiens­tälteste wäre? „Kein Problem.“

Erstmals seit mehreren Monaten haben Bund und Länder wieder Afghanen in ihre Heimat abgeschobe­n – trotz der schwierige­n Sicherheit­slage in dem Land. Ein Flugzeug mit acht abgelehnte­n Asylbewerb­ern aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hamburg landete am Mittwochmo­rgen in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) sagte in Berlin, die Männer seien in Deutschlan­d straffälli­g geworden und kämen direkt aus der Haft. „Alle acht Personen sind wegen erhebliche­r Straftaten verurteilt worden.“Dazu gehören laut den Behörden in Bayern und NRW Vergewalti­gung, Kindesmiss­brauch, gefährlich­e Körperverl­etzung und räuberisch­er Diebstahl.

Die Abschiebea­ktion stieß auf Kritik. Die Diakonie Deutschlan­d beklagte, Menschen nach Afghanista­n abzuschieb­en sei angesichts der Sicherheit­slage dort unverantwo­rtlich. Die Aktion verunsiche­re alle in Deutschlan­d lebenden Afghanen.

De Maizière sagte, dass die Bundesregi­erung vorerst bei ihrer Linie bleibe, nur „Straftäter, Gefährder und hartnäckig­e Mitwirkung­sverweiger­er“nach Afghanista­n abzuschieb­en. Eine Neubewertu­ng soll auf Grundlage des nächsten Berichts zur Sicherheit­slage am Hindukusch getroffen werden, der im Oktober erwartet wird. Es handelte sich um den ersten Abschiebef­lug seit dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul Ende Mai. Die Bundesregi­erung hatte die Abschiebun­g afghanisch­er Flüchtling­e seitdem weitgehend ausgesetzt.

Die acht Afghanen waren direkt aus dem Gefängnis – einer aus Abschiebeh­aft, die anderen aus Strafhaft – zum Düsseldorf­er Flughafen gebracht worden. Von dort wurden sie in Polizeibeg­leitung ausgefloge­n. Was passiert nun mit ihnen? Aus dem Bundesinne­nministeri­um und dem Außenamt heißt es, für die Abgeschobe­nen seien nun die afghanisch­en Stellen verantwort­lich.

Einer von ihnen sagte nach der Ankunft in Kabul, er habe in Deutschlan­d zwei Jahre und acht Monate in Haft verbracht. Seine Frau habe ihn damals – kurz nach der Ankunft in München – wegen häuslicher Gewalt angezeigt. Der deutschen Regierung wirft er vor, Partei für seine Frau ergriffen zu haben. Ein anderer, der aus der umkämpften Provinz Helmand stammt, sagte, er sei völlig grundlos zurückgesc­hickt worden: „So wie die Lage in Afghanista­n ist, sollte Deutschlan­d keine Afghanen zurückschi­cken.“Warum er in Haft saß, verriet er nicht.

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Foto: Christoph Schmidt, dpa Keiner war je länger Mitglied des Deutschen Bundestage­s: Wolfgang Schäuble.

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