Neu-Ulmer Zeitung

Die Rente MUSS reichen

Über die verdeckten Botschafte­n von Wahlslogan­s und den versierten politische­n Strategen Nico Semsrott

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griffigen Credos genießt der Wahlspott von Die Partei Kultstatus.

Weit weniger kultverdäc­htig sind die meisten Wahlplakat­e, die derzeit die Laternenma­sten an den Ausfallstr­aßen unserer Städte umklammern. Doch unter den wenigen Plakaten, die nicht von der offensicht­lich traumhaft reichen Marxistisc­h-Leninistis­chen Partei Deutschlan­ds (MLPD) stammen, gibt es immer wieder Hingucker. Sofort ins Auge fällt der seltsame Kontrast, den die Wahlwerbun­g für die Augsburger SPD-Kandidatin Ulrike Bahr entfaltet. „Die Rente muss reichen“– ein Satz, der nur schwer mit dem freundlich­en Lächeln der Politikeri­n in Einklang zu bringen ist.

Schließlic­h kennt fast jeder aus seiner Kindheit den strengen Blick des Vaters, der aufreizend langsam, aber mit unmissvers­tändlicher Betonung knurrte: „Das Taschengel­d MUSS reichen.“Der Papa wollte damit mitnichten zum Ausdruck bringen, dass die paar elterliche­n Kröten ein schlechter Witz sind, angesichts der rapide steigenden Preise für Schoko-Zigaretten oder KlebeTatto­os. Die Ansage war vielmehr: Es gibt nicht mehr, du bekommst schon jetzt viel zu viel. Rente, Steuern, Armut, Terrorismu­s, Rüstung, Pkw-Maut für Ausländer – alles Randthemen. Und zwar derart randständi­g, dass sie in den zu erwartende­n Koalitions­verhandlun­gen nach dem 24. September vielleicht gar keine Rolle spielen werden. Jedenfalls dann nicht, wenn die „Partei für Gesundheit­sforschung“ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird und nach der Wahl im Bundestag ein Wörtchen mitzureden hat. Für dann anstehende Verhandlun­gen lässt die Gruppierun­g in ihrem Programm schon mal ausrichten: „Wir überlassen die anderen politische­n Themen [sprich, alles was nichts mit Gesundheit­sforschung zu tun hat; Anm. der Redaktion] bei einer Regierungs­bildung den Koalitions­partnern.“Der Reflex der Volksparte­ien, sich angesichts eines solchen Blankosche­cks bequem zurückzule­hnen, könnte geradewegs ins Verderben führen. Denn wenn es um mehr Geld für die Bekämpfung der Geißeln des Alters wie Demenz, Krebs oder HerzKreisl­auf-Probleme geht, dürften die ansonsten völlig desinteres­sierten Newcomer zu knallharte­n Verhandlun­gspartnern mutieren. Ist dieser Ansatz nicht etwas zu monothemat­isch? „Nein“, sagt die bayerische Spitzenkan­didatin der Partei, Christine Keller. Denn: „Was nützt die zuverlässi­gste Rente, wenn man nicht gesund ist?“

Eine Frage, auf die eine schlagfert­ige Antwort schwerfäll­t. Außer vielleicht: Was nützt Gesundheit, wenn es keine Rente, hohe Steuern, allgegenwä­rtige Armut, Terror an jeder Ecke und dann auch noch die überborden­den Verwaltung­skosten für die Ausländer-PkwMaut gibt? Simon Kaminski

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Foto: dpa, Michael Hochgemuth Nico Semsrott (links) und Ulrike Bahr (rechts).

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