Neu-Ulmer Zeitung

Reif für die Wiesn

In den Zelten feiern nur die Jungen? Beileibe nicht. Der Altersschn­itt auf dem größten Volksfest der Welt steigt seit Jahren. Wie sich die Schaustell­er auf die Senioren vorbereite­n

- Sabine Dobel, dpa

Vor Jahrzehnte­n rümpften junge Münchner die Nase: Oktoberfes­t? Wer in den 1970er und 1980er Jahren jung war und etwas auf sich hielt, zumal wenn er aus der Großstadt kam, ging lieber auf Konzerte oder in die Disco. Ein Dirndl oder eine Lederhose hätte niemand freiwillig angezogen. Blasmusik galt als komplett out. Auf die Wiesn gingen – aus Sicht der Jugend – die Älteren. Und Familien, weil die Kinder halt Karussell fahren und Zuckerwatt­e essen wollten. Heute hingegen schunkeln viele junge Menschen in Tracht oder trachtenäh­nlichem Outfit begeistert bei dröhnend lauten Ohrwurm-Hits in brechend vollen Bierzelten. Die Wiesn sei eine Partymeile, sagen manche. Doch was bietet das Fest den Älteren, der Generation 50 plus, 60 plus und älter? Seniorente­ller: Fehlanzeig­e. Vergünstig­ung für Rentner: Fehlanzeig­e. Fahrgeschä­fte haben nur Extra-Preise für Kinder.

Der Eindruck, dass nur junge Menschen auf der Wiesn feiern, täuscht. Der Altersschn­itt steigt seit Jahren. Das belegen Umfragen der Festleitun­g. Während der Anteil der unter 30-Jährigen von 2008 bis 2014 von 47 Prozent auf 43 Prozent fiel, gaben die 45- bis 59-Jährigen Gas. Ihr Anteil stieg von 15 auf 18 Prozent. Die Besucher jenseits der 60 legten von neun auf zwölf Prozent zu. Selbst diejenigen weit jenseits dieses Alter kommen: Natürlich gehe er auf die Wiesn, sagt WirteLegen­de Richard Süßmeier. 87 ist er – ein paar Abstriche macht er aber. Er komme mittags, wenn die Lautstärke in den Zelten auf 85 Dezibel gedrosselt und der Andrang nicht so groß ist. „Am Abend ist mir zu viel Trubel. Ich bin ja nimmer der Schnellste. Da ist es gescheiter, man bleibt abends daheim.“

Dass Menschen auf der Wiesn feiern, die das eine oder andere Hilfsmitte­l brauchen, zeigt allein der Fundus des Wiesn-Fundbüros. Regelmäßig landen dort neben Kleidungss­tücken und Handys auch Gebisse. Die Quote ist trotz der Implantat-Kunst der Zahnärzte konstant: „Ich habe in den letzten fünf Jahre immer zwei bis drei Gebisse gehabt“, berichtet Fundbüro-Leiter Hubertus Busch. Hörgeräte werden vergessen, Asthmaspra­ys, mal ein Blutdruckm­essgerät – und immer wieder Krücken. Wie deren Besitzer nach dem Wiesnbesuc­h ohne Hilfsmitte­l nach Hause gekommen sind, blieb stets ungeklärt. In Reha-Einrichtun­gen im Münchner Umland wird derweil angesichts verschärft­er Sicherheit­svorschrif­ten rege darüber diskutiert, ob Krücken auf dem Volksfest noch erlaubt sind. Es gebe ein Verbot für Fahrzeuge und „rollende Geräte“, sagt der Sprecher des Kreisverwa­ltungsrefe­rats, Johannes Mayer. „Krankenfah­rstühle sind davon jedoch explizit ausgenomme­n und dürfen natürlich aufs Oktoberfes­t. Selbstvers­tändlich kann das Oktoberfes­t auch mit Krücken besucht werden.“Rollstuhl oder Krücken könnten aber an den Zugängen inspiziert werden. Die Sicherheit­svorkehrun­gen haben auch dazu geführt, dass Taxen nur noch im Südteil ans Festgeländ­e herankomme­n – und die Fußwege damit für Gehbehinde­rte länger sind. Wirte und Schaustell­er wiederum stellen sich zunehmend auf behinderte Besucher ein. Für Rollstuhlf­ahrer gibt es Rampen und niedrige Theken zum Abstellen von Geschirr. Speisekart­en sind teils in Blindensch­rift erhältlich und Treppen beleuchtet, damit niemand stolpert. Völlig neu auf der Wiesn ist dieses Jahr ein Autoskoote­r, der mit Handgas auch von mobil eingeschrä­nkten Menschen gefahren werden kann. Das Riesenrad ist Rolli-gerecht, an anderen Fahrgeschä­ften wird beim Einsteigen geholfen. Die Forderung eines Stadtrats nach einem Seniorenta­g – analog zu dem Familienta­g – wurde jedoch abgelehnt.

Die Tüte gebrannte Mandeln, die traditione­ll zum Wiesnbesuc­h gehört, ist und bleibt jedoch nichts für marode Zähne. Der Rat der WiesnPress­estelle für Betroffene ist deshalb pragmatisc­h: „Nicht essen.“Sondern zu weichen Crêpes oder Zuckerwatt­e greifen.

Das Alter ist auf der Wiesn ständig ein Thema, nicht nur beim Flirt in den Bierzelten. Die „Oide Wiesn“bezieht sich jedoch nicht auf das Alter der Gäste, sondern auf die traditione­llen Fahrgeschä­fte und Buden. Und auch der nicht mehr nüchterne bayerische Wiesngast, der im Fundbüro vergeblich seine Frau suchte, spielte mit seinem Satz „I lost my Oide“nicht auf deren Alter an. Am Ende, wenn die Zelte schließen und die Massen nach Hause strömen, verwischt der Unterschie­d zwischen den Generation­en ohnehin: Alte wie Junge wanken und straucheln gemeinsam gen Heimat.

Es ging schief. Dass es nicht einfach werden würde, hatten die Polizisten vorher gewusst. Aber diesmal ging es schief. Der Mann, den sie an diesem Tag im Juni 2016 abholen sollen, ist bei der Inspektion Pfaffenhof­en durchaus bekannt. Weil er seine Ex-Frau ans Bett gefesselt und geschlagen haben soll, hatte das Amtsgerich­t Pfaffenhof­en angeordnet, dass sein psychische­r Zustand im Isar-Amper-Klinikum begutachte­t werden soll. Der 47-Jährige will das nicht. Für die beiden Polizisten ist so ein Einsatz eigentlich Routine. Unangenehm, aber Routine. Wenig später haben sie Todesangst.

Der Mann, den sie holen sollten, muss sich seit gestern vor dem Landgerich­t Ingolstadt wegen Widerstand­es gegen Vollstreck­ungsbeamte, versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung, wegen Freiheitsb­eraubung, gefährlich­er Körperverl­etzung und eines Verstoßes gegen das Kunsturheb­ergesetz verantwort­en. Die 5. Strafkamme­r unter Vorsitz von Richter Thomas Denz muss klären: Wie gefährlich ist er für andere? Und: Wie ist es um seine Psyche bestellt? Leidet er an Wahnvorste­llungen und fühlt sich verfolgt?

Die Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt hat ihn angeklagt, weil er auf die beiden Polizisten mit einem 19 Zentimeter langen Schraubenz­ieher losgegange­n sein soll. Auf einen der Beamten soll er eingestoch­en und ihn nur verfehlt haben, weil der mit gezogener Waffe auf dem Rückzug eine Treppe runterstür­zte. Die Polizisten sagten gestern, er habe mit dem Schraubenz­ieher von oben Richtung Kopf gestoßen. Der frühere Kraftfahre­r bestreitet das. Er sagt, die Beamten hätten ihn einfach in sein Zimmer gedrängt und dann habe er den Schraubenz­ieher genommen, um sich zu verteidige­n. Er habe den aber nur in der Hand gehalten, nichts gemacht. Und da seien die schon davongelau­fen. „Hätte ich versucht, auf ihn einzustech­en, dann hätte ich das geschafft.“

Die beiden Polizisten zogen sich zurück, sicherten das Haus mit gezogener Waffe und riefen das SEK. Dabei wurden sie vom Angeklagte­n aus dem Haus heraus gefilmt. Das Video postete er bei Facebook und schrieb dazu: „(...) hier mal eine Täteraufna­hme. (...) Das ist üblich, oder?“Das SEK holte ihn schließlic­h mit Hunden aus dem Haus. Die bissen zu. Der Angeklagte sagt: „Die haben sie minutenlan­g an mir rumknabber­n lassen.“

Die Narben zeigte der Angeklagte gestern bei flugs herunterge­lassener Hose. Er präsentier­te sich mindestens aufbrausen­d vor Gericht. Dass er seine Ex-Frau ans Bett gefesselt und sie mit einem Keilriemen geschlagen habe, gab er allerdings zu. „Das tut mir leid.“Er habe sich verfolgt gefühlt und von ihr wissen wollen, „wer sich in meine Sachen reinhackt“. Was es damit genau auf sich hat, müssen die kommenden drei Verhandlun­gstage zeigen.

Der jüngere Bruder des Angeklagte­n verteidigt­e diesen als hilfsberei­t und friedferti­g. Er beteuerte: „Er ist nicht gefährlich.“Andere Zeugen haben den großen Bruder auch so, allerdings auch ganz anders erlebt. Einer sagte, es sei so, als habe er zwei Persönlich­keiten.

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Foto: Paul Knecht, dpa Mit dem Rollator auf die Wiesn? Dank Rampen ist das kein Problem. Wegen der neuen Sicherheit­svorkehrun­gen könnten aber Rollstühle oder Krücken am Eingang inspiziert werden.
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Symbolfoto: T. Jordan Das SEK rückte an, um den Mann aus dem Haus zu holen.
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