Ein Hauch von Kreide
Scheidungen laufen selten geräuschlos ab, schließlich gibt es ja Gründe, warum eine Partnerschaft nicht mehr funktioniert und an einer Trennung kein Weg mehr vorbeiführt. Was die Bestrebungen Neu-Ulms betrifft, sich aus der gern beschworenen kommunalen Familie des Landkreises herauszulösen, so ist die Absicht eine recht einseitige. Nun gibt es vor allem im Süden nicht wenige, die wegen der Nuxit-Absichten der großen Stadt im Norden eine gewisse klammheimliche Freude empfinden und sich Vorteile von der Trennung erhoffen. Doch viele bedauern die Abwanderungstendenzen glaubhaft, wie sich in der Sondersitzung des Kreistages zeigte. Die war von dem erkennbaren Bemühen geprägt, nicht ein einziges Tröpfchen Öl ins Feuer zu gießen. Die Redebeiträge wirkten streckenweise fast pastoral.
Angesichts der Kuschelatmosphäre empfanden CSU und Landrat die Absicht der SPD geradezu als störend, im Kreistag ein sogenanntes Lenkungsgremium zu installieren. Das sollte sich mit allen Themen der Kreisfreiheit beschäftigen. Ein solcher Arbeitskreis könnte in Neu-Ulm als Affront betrachtet werden, mutmaßte CSU-Fraktionschef Franz-Clemens Brechtel. Es müsse eben alles vermieden werden, was Neu-Ulm nach draußen dränge. Und Landrat Thorsten Freudenberger wollte nicht, dass Tatsachen geschaffen werden, bevor die Große Kreisstadt nicht offiziell einen Antrag auf Kreisfreiheit gestellt hat. So flogen denn in der Debatte die verbalen Wattebällchen durch den Sitzungssaal – bis Marita Kaiser (FW) das Wort ergriff. Sie merkte an, der Einzige, der sich nicht für die bereits zwei Stunden währende Debatte interessiere, sei Oberbürgermeister Gerold Noerenberg, der stattdessen an Handy und iPad herumspiele.
Das war eine ordentliche Kanne Öl für die Flammen, weshalb sich die Illertisserin scharfe Ordnungsrufe von Brechtel und Freudenberger einfing. Damit war die Debatte beendet. Noerenberg hingegen blieb ruhig. Er hatte sich wohl fest vorgenommen, zu schweigen, ansonsten hätte er die Attacke in gewohnter Art mit meisterlich geführtem schwerem Säbel pariert. Auch daran zeigte sich: Der Dampf sollte an diesem Tag im Kessel bleiben, keiner durfte den Deckel lupfen. Die Stimmbänder der Kreisräte waren mit einem Hauch von Kreide bestäubt.