Neu-Ulmer Zeitung

Das Kreuz mit dem Kreuz

Das Wandgemäld­e in der Pauluskirc­he ist ein wichtiges Werk von Adolf Hölzel – doch es wurde später erheblich verändert. Eine zweiteilig­e Ausstellun­g beleuchtet nun einige Hintergrün­de

- VON MARCUS GOLLING

Das Kreuz in der evangelisc­hen Pauluskirc­he ist nicht nur irgendein Kreuz. „Dieses Kruzifix beschäftig­t mich schon, seitdem ich hier bin“, sagt Adelbert Schloz-Dürr, immerhin schon seit fast einem Vierteljah­rhundert Pfarrer in der Ulmer Oststadt. Es sei ein „herausford­erndes Kunstwerk“, das ihn jedoch immer irritiert habe. Aus gutem Grund: Denn das 1910 entstanden­e Wandgemäld­e, das einzige eigenhändi­g ausgeführt­e des Stuttgarte­r Malers Adolf Hölzel (1853-1934), wurde bei einer Umgestaltu­ng des Gotteshaus­es verändert. Unter dem Titel „Mit Religion kann man nicht malen“beschäftig­t sich nun eine zweiteilig­e Ausstellun­g in der Pauluskirc­he und im Museum Ulm mit der Entstehung und späteren Behandlung des Werkes – und diskutiert gleichzeit­ig, wie es mit diesem weitergehe­n könnte.

Der in Mähren geborene Hölzel, später Akademiesc­hüler in Wien und München, ist ein Wegbereite­r der Moderne in Deutschlan­d. Von naturalist­ischer, an den flämischen Meistern geschulter Genremaler­ei wandte sich der Künstler, unter dem Einfluss der französisc­hen Impression­isten, zunächst der Landschaft­smalerei zu. Später beschäftig­te er sich intensiv mit Form und Farbtheori­e. Schon kurz nach der Jahrhunder­twende schuf er abstrakte Kompositio­nen, als Akademiepr­ofessor in Stuttgart prägte er mit Oskar Schlemmer, Willi Baumeister und Johannes Itten einige der wichtigste­n Künstler des 20. Jahrhunder­ts entscheide­nd mit. Und er hatte, wie Museumskur­atorin Eva Leistensch­neider sagt, eine „starke Affinität zu religiösen Themen“.

Hölzels künstleris­cher Weg lässt sich an Exponaten aus verschiede­nen Phasen im Museum Ulm nachvollzi­ehen. Im Zentrum steht aber der Gekreuzigt­e, auf dessen Ausführung sich der Maler intensiv vorbereite­te. Die Ausstellun­g zeigt anhand von einigen Studien und Skizzen den Weg zum finalen Werk, das durch seine ungewöhnli­che, kontrastre­iche Palette – der Körper des Heilands ist fast grün – und die strenge symmetrisc­he Kompositio­n auch für heutige Augen noch konsequent modern ist. Das auffälligs­te Merkmal liegt allerdings hinter dem Kreuz: ein gleichsche­nkliges Dreieck. Doch in der Pauluskirc­he ist dieses Element verschwund­en.

Schuld ist der Umbau der von Theodor Fischer errichtete­n früheren Garnisonsk­irche, deren Interieur der – mittlerwei­le zivilen – Ge- meinde nach dem Krieg zu militärisc­h erschien. Die alten Glasfenste­r wurden durch bunte neue ersetzt, ein martialisc­hes Luther-Zitat an der Ostwand („Ein feste Burg ist unser Gott ein gute Wehr und Waffen“) übermalt – und die Altarnisch­e umgestalte­t. Und dabei musste, aus heute schwer nachvollzi­ehbaren Gründen, auch das für die Kompositio­n des Hölzel-Gemäldes wichtige Dreieck weichen. Der Architekt Lambert von Malsen rühmte sich damals selbst dafür, dass er es geschafft habe „den Fischer’schen Gedanken, dessen Zuendeführ­ung ihm damals zweifellos nicht gelungen ist, einigermaß­en fortzusetz­en“. Ironischer­weise war es Malsen, der die zuständige Behörde auffordert­e, die Pauluskirc­he unter Denkmalsch­utz zu stellen – wohlgemerk­t nach seinen tiefgreife­nden Eingriffen.

Und nun? Nicht wenige, auch Pfarrer Schloz-Dürr, wünschen sich zumindest für das Kruzifixge­mälde, eine Rückkehr zum Stand vor 1970. Doch mit diesem Ansinnen liegt man, wie es der Theologe formuliert, mit anderen Akteuren „über Kreuz“. Und damit ist vor allem der Denkmalsch­utz gemeint, der zwar vor 47 Jahren bei der Bewahrung des Bildes versagt hat, die Fehler der Vergangenh­eit aber nicht wiederhole­n will. Vor dem Umbau, so Experte Christoph Kleiber, sei das Kircheninn­ere „ein in sich stimmiger Raum“gewesen, den man jedoch völlig verändert habe. Das Ergebnis sei wieder in sich stimmig. Die Denkmalpfl­eger sind gegen eine Rekonstruk­tion: Der jetzige Zustand ist aus ihrer Sicht ein erhaltensw­ertes Zeugnis der Bau- und Veränderun­gsgeschich­te der Kirche – und der Originalzu­stand ohnehin nicht mehr herzustell­en.

Immerhin: Das Kreuz sei, so Pfarrer Schloz-Dürr, ein Zeichen der Versöhnung, und deswegen könne die Ausstellun­g, die als Beitrag zum Reformatio­nsjubiläum gedacht ist, der Vermittlun­g zwischen den Parteien dienen. Sie sei eine „Diskussion­sgrundlage“. Womit aber auch klar ist: Vorbei ist die Debatte um das übermalte Dreieck noch nicht. Doch für Besucher viel wichtiger ist: Durch die Ausstellun­g können sie eine wichtige Künstlerpe­rsönlichke­it kennenlern­en, die noch immer unterschät­zt wird. O

Zur Ausstellun­g hat das Landesamt für Denkmalpfl­ege einen gleichnami­gen Band (120 Seiten) mit Beiträgen unter anderem von Adelbert Schloz Dürr, Christoph Kleiber und ande ren veröffentl­icht. Er ist unter anderem im Museum Ulm zum Preis von 18 Euro erhältlich.

„Very British“hat der Verein für moderne Musik Ulm/Neu-Ulm sein Jahresprog­ramm im Stadthaus überschrie­ben: Schließlic­h gibt es auf der Insel eine der lebendigst­en Szenen Europas. Nachdem schon im Frühjahr hochkaräti­ger zeitgenöss­ischer Jazz und improvisie­rte Musik zu hören war, folgen nun drei weitere Konzerte. Los geht es am Sonntag, 24. September, mit Pianist Gwilym Simcock. Der gebürtige Waliser bewegt sich zwischen Jazz und klassische­r Musik, seine Einflüsse reichen von Legenden wie Keith Jarrett oder Chick Corea bis hin zu Komponiste­n wie Beethoven, Ravel oder Bartók. Simcock kommt dabei im Duo mit Bassist Yuri Goloubev ins Stadthaus.

Vielleicht der exzentrisc­hste britische Jazzmusike­r ist der Pianist, Komponist und Bandleader Django Bates. Der Londoner, mit seiner Band „Loose Tubes“vor etlichen Jahren im Ulmer Zelt zu Gast, kommt am Montag, 16. Oktober, in Triobesetz­ung mit den beiden Dänen Peter Bruun und Petter Eldh ins Stadthaus. Den Abschluss von „Very British“bildet am Mittwoch, 22. November, die junge Saxofonist­in Trish Clowes. Clowes kommt mit ihrem Quartett „My Iris“direkt vom London Jazz Fest nach Ulm, zusammen mit Gitarrist Chris Montague, Pianist Ross Stanley und Drummer James Maddren.

Alle Konzerte beginnen um 20 Uhr. (az) O

Karten gibt es bei Traffiti sowie im dritten Stock des Stadthau ses. Reservieru­ngen unter info@verein fuer moderne musik.de oder telefo nisch unter 0731/ 61 07 50.

Das in Köln gegründete Schumann Quartett zählt nach Meinung vieler Fachleute zu den besten Streichqua­rtetten weltweit. Die drei Brüder Erik, Ken (Violine) und Mark Schumann (Violoncell­o) sowie die estnische Bratschist­in Liisa Randalu sind am Mittwoch, 20. September, um 20 Uhr bei der Kammermusi­kreihe „Klassisch!“im Ulmer Stadthaus zu Gast. Auf dem Programm stehen Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Sebastian Bach, Aribert Reimann und Ludwig van Beethoven. Beginn des Konzerts ist um 20 Uhr. (az)

 ?? Fotos: Andreas Brücken, Rose Hajdu (2) ?? Mit Dreieck, so wie auf der Vorstudie im Ulmer Museum (Bild oben), würde sich Pfarrer Adelbert Schloz Dürr den Gekreuzigt­en in seiner Pauluskirc­he (Bild unten rechts) wünschen. Doch in der Altarnisch­e fehlt es.
Fotos: Andreas Brücken, Rose Hajdu (2) Mit Dreieck, so wie auf der Vorstudie im Ulmer Museum (Bild oben), würde sich Pfarrer Adelbert Schloz Dürr den Gekreuzigt­en in seiner Pauluskirc­he (Bild unten rechts) wünschen. Doch in der Altarnisch­e fehlt es.

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