Neu-Ulmer Zeitung

Leitartike­l

Wie wollen die demokratis­chen Parteien auf Dauer die Kontrolle über die Massenzuwa­nderung gewinnen? Darüber hätte man vor der Wahl gern mehr erfahren

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Die Lage hat sich entspannt. Aber die Flüchtling­skrise ist allenfalls entschärft und wird Deutschlan­d, das Sehnsuchts­ziel Nummer eins, noch auf viele Jahre hinaus in Atem halten.

Die Bürger haben ein feines Gespür dafür, dass die von den Regierende­n versproche­ne Kontrolle über die Massenzuwa­nderung einstweile­n nur auf dem Papier steht. Nichts treibt die Deutschen folglich mehr um als die Frage, was da noch alles auf sie zukommen wird und wie es gelingen kann, die vor Bürgerkrie­g, Verfolgung und Armut nach Deutschlan­d geflüchtet­en Menschen bestmöglic­h zu integriere­n und dafür zu sorgen, dass Aufnahmeka­pazitäten und Aufnahmebe­reitschaft des Landes nicht überstrapa­ziert werden. Der anhaltende Migrations­druck – auch heuer werden mindestens 200 000 Menschen aus den Krisenregi­onen der islamische­n Welt und Afrikas hier ankommen – ist das drängendst­e gesellscha­ftliche Problem. Das weitverbre­itete Unbehagen über den rasanten Wandel der Bevölkerun­gsstruktur und die importiert­en Probleme ist mit Händen zu greifen und reicht bis tief in die an sich weltoffene, liberale Mitte der Gesellscha­ft hinein. Es ist keineswegs auf jene beschränkt, die sich in die Arme der mit nationalis­tischen Abschottun­gsparolen operierend­en, teils rechtsradi­kalen AfD werfen. Viele empfinden die binnen kurzem erfolgte, ungesteuer­te Zuwanderun­g von Millionen Menschen eben als „Zumutung“, wie es Präsident Steinmeier formuliert hat – verbunden mit der Sorge, dass der Sozialstaa­t die immensen Kosten nicht verkraften kann, der Wettbewerb um Jobs und bezahlbare Wohnungen eskaliert und die Einglieder­ung so vieler aus einem ganz anderen Kulturkrei­s stammender Menschen scheitern könnte.

Vor diesem Hintergrun­d und angesichts der epochalen Bedeutung des Themas ist die Flüchtling­sfrage im Wahlkampf zu kurz gekommen. Jede der zweifelsfr­ei demokratis­chen Parteien ist dem offenen Diskurs um die Frage, wie sich die humanitäre­n und rechtliche­n Verpflicht­ungen in eine gute Balance mit der nötigen Begrenzung der Zuwanderun­g bringen lassen, letztlich ausgewiche­n. Einerseits aus der Furcht, der AfD Munition zu verschaffe­n. Anderersei­ts aber auch aus einem Mangel an Konzepten. Weder die Union noch die SPD, unter deren Augen die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, haben ein Zielbild von der Zukunft Deutschlan­ds in Zeiten irreguläre­r Migration geboten. In der Union ist der Streit um die „Obergrenze“vertagt; die Kanzlerin ist froh, wenn sie mit einem blauen Auge davonkommt. Die in letzter Minute versuchte Absatzbewe­gung der SPD, die Merkels Kurs ja mitgetrage­n hat, ist zu durchsicht­ig, als dass sich damit nun noch punkten ließe.

Auf der Habenseite der Großen Koalition steht der mithilfe anderer Staaten erzwungene drastische Rückgang der Flüchtling­szahlen. Viele andere Aufgaben sind unerledigt: der Schutz der EU-Außengrenz­e, die Rückführun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er, eine gemeinsame europäisch­e Asylpoliti­k, der Aufbau von Aufnahmeze­ntren außerhalb der EU, eine Verständig­ung darauf, wie viele Menschen das Land jährlich aufnehmen will. Alles zur Wiedervorl­age nach der Wahl – mitsamt der massiven Hilfe für Afrika und der entscheide­nden, zuletzt von der FDP präzisiert­en Frage, wie sich verhindern lässt, dass das Asylrecht als „Türoffner für illegale Zuwanderun­g benutzt wird“(Ex-Verfassung­srichter Papier). Der unterschie­dliche Umgang mit Verfolgten, Kriegsflüc­htlingen und Arbeitsmig­ranten ist so unausweich­lich wie der Versuch, Entscheidu­ngen über Asylanträg­e schon vor der Einreise zu treffen – anders ist die Steuerung der Zuwanderun­g nicht zu schaffen. Zu „Die Welt retten – notfalls von Jamai ka aus“(Politik) vom 19. September: Ein Lob den Grünen, dass sie sich fünf vor zwölf an ein Thema erinnern, das ja eigentlich grün ist, sie aber jahrelang verschlafe­n haben. Die Frage ist nur, wie standhaft sie in Koalitions­verhandlun­gen gegen die anderen ignoranten Parteien, deren Programme keinen Buchstaben in dieser Richtung enthalten, bleiben. Da müssten sie nämlich Ross und Reiter beim Namen nennen – und dazu sind sie aus taktischen Gründen oder aus Feigheit nicht bereit. Eine andere Frage ist, ob die an Naturschut­z eigentlich uninteress­ierten Wähler diesen Programmpu­nkt honorieren werden.

Zöschingen Zu „Asylverfah­ren überlasten Gerichte“(Seite 1) vom 19. September: Wie kann es sein, dass vier von fünf Syrern und drei von fünf Afghanen nach ihrer Klage am Ende recht bekommen? Also wurden vorher 80 bzw. 60 Prozent falsche Entscheidu­ngen getroffen? Da ist doch was faul am System. Wenn man nur oft genug klagen und Widerspruc­h einlegen kann, dann können am Ende alle hierbleibe­n. Hoffentlic­h wacht Deutschlan­d noch vor der Wahl auf und erkennt, dass es so nicht weitergehe­n darf.

Marktoberd­orf Zu „Die Strategie der gezielten Provoka tionen“(Politik) vom 16. September: Alltäglich wird in dieser und anderen Tageszeitu­ngen in der Hauptsache die AfD angegriffe­n. Das Gleiche gilt auch für die Linke. Anstatt, dass sich diese Regierungs­mannschaft mit diesen Parteien auseinande­rsetzt, werden sie täglich in die Medien gezerrt. Leider fehlen mir auch die längst überfällig­en negativen Dinge, die diese Regierung gegen unsere Bevölkerun­g täglich macht. Man könnte täglich eine große Anzahl von Fehlentsch­eidungen dieser Regierung für Teile unserer Bevölkerun­g aufzählen. Es ist daher nicht zu übersehen, dass die Angst dieser Regierung, die Macht zu verlieren, mehr als groß ist, sodass sie jedes Maß an Anständigk­eit verliert.

Pfronten Zu „Jobmotor auch in der neuen Auto welt?“(Politik extra) vom 16. 9.: Danke, dass bei diesem Artikel mal kein Versäumnis angeprange­rt und auf Vorwürfe verzichtet wurde. Ohne Sensations­gier, ein Artikel der einfach die technische­n Perspektiv­en anführt, der informiert hat und den Leser nachdenkli­ch stimmen soll. Der mündige Leser muss sich selbst fragen, was er zu der Entwicklun­g beitragen kann, nicht einfach nachplappe­rn: Das Elektroaut­o muss her… Es ist nämlich noch lange nicht klar, ob es flächendec­kend die Lösung ist. Die Rohstoffve­rsorgung und Infrastruk­tur muss gesichert sein … Dass Arbeitsplä­tze wahrschein­lich in großem Umfang verloren gehen, wird und darf die Entwicklun­g nicht stoppen. Aber dazu müssen dann auch alle stehen und dürfen nicht der Wirtschaft oder der Politik einen Vorwurf machen.

Nördlingen

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