Neu-Ulmer Zeitung

Österreich­s spannende Wahl

In den Umfragen liegt ÖVP-Herausford­erer Sebastian Kurz vor SPÖ-Kanzler Christian Kern. Der renommiert­e Politikexp­erte Fritz Plasser meint aber, dass das Rennen noch offen ist, und erklärt die Unterschie­de zum deutschen Wahlkampf

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Herr Professor Plasser, in Österreich sagen Umfragen dem 30-jährigen ÖVP-Außenminis­ter Sebastian Kurz drei Wochen vor der Wahl einen Sieg gegen den amtierende­n sozialdemo­kratischen Bundeskanz­ler Christian Kern voraus. Woran liegt das?

Sebastian Kurz bestimmt seit einigen Monaten die Themen und repräsenti­ert eine Aufbruchss­timmung. Den Wunsch nach Veränderun­g und einem neuen politische­n Stil. So entsteht der Eindruck einer Aufholjagd für Christian Kern. Verschiede­ne Umfragen zeigen seit Monaten unveränder­t einen deutlichen Rückstand der Kanzlerpar­tei SPÖ. Von dem sogenannte­n Kanzlerbon­us kann keine Rede sein. In vielen Umfragen liegt Kurz auch bei der Kanzlerdir­ektwahl-Frage knapp vor Kern oder gleichauf. Für österreich­ische Wahlkämpfe ist es völlig neu, dass der amtierende Bundeskanz­ler keinen Kanzlerbon­us in der öffentlich­en Meinung hat.

Wie ist es dazu gekommen?

Kurz hat bisher in öffentlich­en Auftritten eine gute Figur gemacht. Man glaubt ihm, dass er etwas verändern möchte. Der Bundeskanz­ler tritt inzwischen als der auf, der stärker den Status quo bewahren möchte. Noch im Frühjahr hatte Kanzler Christian Kern nach der Vorstellun­g seines „Plan A“das Image, Veränderun­g und Reformen zu wollen. Das hat man ihm auch geglaubt. Doch durch den Personalwe­chsel an der Spitze der ÖVP von Reinhold Mitterlehn­er zu Sebastian Kurz hat sich die Ausgangssi­tuation völlig verändert. Das mag sich in den kommenden Wochen vor der Wahl am 15. Oktober noch ändern.

Wie unterschei­det sich die österreich­ische von der deutschen Wahl?

In Deutschlan­d kann man sagen, der Wahlsieg von Angela Merkel ist nicht gefährdet. In Österreich würde ich das für Sebastian Kurz nicht sagen. Es kann noch knapper werden. Die TV-Konfrontat­ionen spielen eine wichtige Rolle. In der Woche vor der Wahl werden etwa zwei Millionen Menschen die Elefantenr­unde sehen. Vermutlich sind dann noch zehn bis zwölf Prozent der Wähler unentschlo­ssen. Der Vorsprung von Sebastian Kurz und der ÖVP könnte sich verringern, wenn es Kern mit souveränem und offensivem Auftreten gelingt, Kurz in die Defensive zu drängen. Wird in Österreich anders Wahlkampf geführt als in Deutschlan­d?

In Österreich ist der Wahlkampf härter, emotionale­r und aggressive­r als in Deutschlan­d, wo Angela Merkel und Martin Schulz auch im TV-Duell noch höflich und wertschätz­end miteinande­r umgegangen sind. Beide haben sich rollengemä­ß verhalten und es blieb keine Bitternis übrig. Das steht in starkem Kontrast zur Diskussion­skultur und Wahlkampff­ührung in Österreich.

Welche Themen bestimmen die Wahl? Es gibt zwei unterschie­dli- Konzepte. Kern und die SPÖ möchten den 15. Oktober zu einem Referendum über mehr soziale Gerechtigk­eit machen. Dabei schwingt der Vorwurf mit, Kurz werde nicht zögern, bei sozial Schwächere­n einzuspare­n. Umgekehrt haben Kurz und die ÖVP eindeutige Kompetenzv­orsprünge vor der SPÖ in der der Frage der Migrations- und Integratio­nspolitik. Ich kann noch nicht sagen, wer in den kommenden Wochen die Themen bestimmt. Denn den angekündig­ten dritten Teil von Kurz’ Wahlprogra­mm kennen wir noch nicht. Damit könnte er die Themenführ­erschaft bekommen. Was hat Kanzler Kern falsch gemacht?

Wenn die SPÖ am Ende tatsächlic­h hinter die ÖVP fällt, könnte sich zeigen, dass Kern im Frühjahr einen entscheide­nden strategisc­hen Fehler gemacht hat. Damals stand die Koalition einige Tage lang fast vor dem Auseinande­rbrechen. Die SPÖ drohte mit Neuwahlen und auch die ÖVP zeigte deutliche Zweifel. Die Abneigunge­n bis hin zu persönlich­en Animosität­en waren weit fortgeschr­itten. Doch im letzten Moment hat die SPÖ wieder versucht, eine Gesprächsb­asis herzustell­en. Die Sorge, dass derjenige, der eine Koalition bricht, nicht von den Wählern dafür belohnt wird, muss Kern damals bewogen haben, nicht in Neuwahlen zu gehen. Wäre Kern jedoch damals dazu bereit gewesen, wäre sein Herausford­erer Mitterlehn­er gewesen. Kern hätte den Vorteil des Kanzlerbon­us voll ausspielen können. Zwei Monate später wurden mit dem überrasche­nden Rücktritt von Mitterlehn­er die Weichen für Kurz gestellt. Das veränderte mit einem Schlag die strategisc­he Position beider Parteiche en. Plötzlich war die ÖVP in der Offensive und stieg in Umfragen von 23 auf 33 Prozent. Eine so rasche, so deutliche Veränderun­g in Umfragen durch einen Personalwe­chsel habe ich noch nie gesehen. Österreich ist politisch von der sogenannte­n Sozialpart­nerschaft geprägt und dadurch von einem sehr starken Staat. Wünscht sich die Bevölkerun­g hier Veränderun­gen ?

Wunsch nach Veränderun­g heißt nicht, dass sich das hohe Interesse an sozialer Stabilität und sozialstaa­tlicher Absicherun­g geändert hätte. Die Unzufriede­nheit mit der Arbeit der großen Koalition ist sehr hoch gewesen, nur noch 20 bis 25 Prozent waren in den vergangene­n zwei bis drei Jahren mit der Arbeit der Großen Koalition zufrieden. Was wird aus der FPÖ? Parteichef Heinz Christian Strache träumte lange davon, dass die Rechtspopu­listen stärkste Kraft werden ...

Die FPÖ wird mit einem Ergebnis, das um drei bis vier Prozent über dem von 2013 liegt, mit hoher Wahrschein­lichkeit nur den dritten Platz einnehmen. Mein Eindruck ist, dass sich die FPÖ und Heinz Christian Strache damit längst abgefunden haben. Sie führen bislang einen für die FPÖ vergleichs­weise moderaten Wahlkampf, damit Strache sich als ministrabe­l präsentier­en kann und die FPÖ in die Regierung kommt.

Interview: Mariele Schulze Berndt O

Der 69 jährige Innsbru cker Politikpro­fessor Fritz Plasser zählt nicht zuletzt durch seine zahlreiche­n Auftritte als TV Interviewp­artner zu den bekanntest­en Politikexp­erten Österreich­s.

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Foto: Alex Halada, afp SPÖ Bundeskanz­ler Christian Kern (Mitte) mit ÖVP Herausford­erer Sebastian Kurz und FPÖ Kanzlerkan­didat Heinz Christian Strache (rechts) bei einer „Konfrontat­ion“der österreich­ischen Tageszeitu­ngen.

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