Neu-Ulmer Zeitung

Die Grenzen der Bildungspo­litik

Bildung ist Ländersach­e. Was das bedeutet, bekommen zahlreiche Familien zu spüren, die mit schulpflic­htigen Kindern von einem Bundesland in ein anderes ziehen. Wie zeitgemäß ist Deutschlan­ds Bildungssy­stem heute noch?

- VON JAKOB STADLER

Es war gegen Ende des Schuljahre­s, als sich Elmas Akalin mit ihrem Mann und ihren Kindern an den Esstisch setzte, um über die Schule zu sprechen. In Nordrhein-Westfalen, da hatten ihre beiden Söhne keine Probleme gehabt. Doch jetzt, nach dem Umzug nach Bayern, war das anders. Akalin und ihr Mann hatten beschlosse­n, die Kinder vom Gymnasium zu nehmen. Sie lernten viel, doch die Noten passten nicht.

Elmas Akalins Mann hatte einen neuen Job in München gefunden, die Familie zog 2014 von Neuss in Nordrhein-Westfalen nach Augsburg. Ihre beiden Söhne, damals zehn und 13 Jahre alt, mussten auf eine neue Schule gehen. Das erste Schuljahr war schwer. So schwer, dass Akalin ihren Söhnen eröffnete: „Vielleicht ist es der einfachere Weg, die Realschule zu besuchen.“

Ihr älterer Sohn, Muhammed, war nach den Sommerferi­en 2014 in die achte Klasse gekommen. Vor allem in Mathe und in Latein gab es Probleme. „Die Schüler waren mit dem Stoff deutlich weiter“, erzählt Akalin. Die Lehrpläne waren anders aufgebaut. Muhammed bekam Nachhilfe, doch die Noten wurden nicht besser. Weiter brachte er Fünfer und Sechser nach Hause. Nach zweieinhal­b Monaten entschied die Familie, es wäre besser, wenn er wieder in die siebte Klasse ginge. Beim Jüngeren der Söhne, Hamza, lief es zwar etwas besser. Er kam in die fünfte Klasse. Das Gymnasium war auch für seine Mitschüler neu. Trotzdem hatte er auch er Probleme mit dem neuen Schulsyste­m.

Ein Schulwechs­el über die Ländergren­zen hinweg bringt immer Probleme für Familien. Denn Bildung ist in Deutschlan­d Ländersach­e. Es gibt 16 verschiede­ne Schulsyste­me. Ist das noch zeitgemäß? Immer mehr Familien müssen aus berufliche­n Gründen umziehen. Der Flickentep­pich hat Auswirkung­en über die Schulzeit hinaus. Wie vergleichb­ar ist das Abitur? Denn auch wenn die Schüler aus verschiede­nen Ländern unterschie­dliche Prüfungen absolviert haben – wenn sie sich an einer Hochschule bewerben, gilt oft der Numerus clausus, der Notendurch­schnitt. An den Universitä­ten zeigt sich, dass ein Teil der Studenten in der Schule auf wissenscha­ftliches Arbeiten vorbereite­t wurde, in Bayern etwa die sogenannte Seminararb­eit geschriebe­n hat. Für Studenten aus einigen anderen Bundesländ­ern ist dieses Arbeiten komplett neu.

Auch die Rolle der Eltern definieren die Bundesländ­er unterschie­dlich. Besonders beim Übertritt von der Grundschul­e an eine weiterführ­ende Schule. In Hessen, SchleswigH­olstein oder Niedersach­sen ist das Übertritts­zeugnis nur eine Empfehlung. Dort dürfen, anders als in Bayern, die Eltern bestimmen, welche Schulform das Kind nach der vierten Klasse besucht.

Grundsätze bestimmen, dass sich die Schulen innerhalb Deutschlan­ds derart unterschei­den. Der eine ist der Bildungsfö­deralismus. Jedes Bundesland entscheide­t selbst, welches Schulsyste­m dort herrscht. Der zweite Grundsatz ist das sogenannte „Kooperatio­nsverbot“, festgelegt im Jahr 2006 von der Großen Koalition, im Rahmen der Föderalism­usreform. Damit ist die Vereinbaru­ng gemeint, dass sich der Bund in Sachen Bildung nicht einmischt, auch nicht mit Investitio­nen. 2014 wurde es, wieder von der Großen Koalition, leicht aufgeweich­t. Investitio­nen in die Bildung vonseiten des Bundes sind nur in engen Grenzen möglich.

Der Bund darf etwa für zusätzlich­e Lehrer kein Geld bereitstel­len, er darf keinen Einfluss auf das Unterricht­skonzept nehmen. Aber er kann zeitlich begrenzte Förderunge­n vergeben, etwa um Gebäude zu sanieren oder Klassenzim­mer technisch aufzurüste­n. Vor der Wahl fordern nun einige Parteien, das Kooperatio­nsverbot abzuschaff­en. Sie wollen die Schulen mehr unterstütz­en, Milliarden sollen für die Schulbaute­n bereitgest­ellt werden, ein Digitalisi­erungspakt soll die Klassenzim­mer fit für die Zukunft machen. Bundesweit sollen ähnliche Standards herrschen.

Heinz-Peter Meidinger ist Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes: „Verkämpft euch nicht mit dem Kooperatio­nsverbot“, warnt der Philologen­verbandsch­ef vor einer Scheindeba­tte. Er verweist darauf, dass das Kooperatio­nsverbot im Grundgeset­z festgeschr­ieben sei. Das heißt, um es abzuschaff­en, wäre eine Zweidritte­lmehrheit in BunZwei destag und Bundesrat nötig. Rechtlich sei es möglich, auch ohne diese Grundgeset­zänderung Geld für die großen Baustellen – Sanierung und Neubau sowie digitale Ausstattun­g – bereitzust­ellen, sagt Meidinger. Die Debatte um das Kooperatio­nsverbot sei eher eine „Alibi-Diskussion“. Sie diene Bund und Ländern als Rechtferti­gung, warum zu wenig Geld in die Bildung investiert wird. Meidinger, selbst Schulleite­r in Bayern, erinnert daran, dass in den Ländern Mehreinnah­men meist nicht in die Bildung fließen. Das Problem sei, welche Priorität die Bildung für die Politik hat. „Wenn man sich einig ist, findet man einen Weg.“Die Bildung stattdesse­n zentral von Berlin aus zu steuern, hält der Bayer für falsch. „Dann gibt es eine Angleichun­g auf ein niedrigere­s Niveau.“

Auch ohne Kompetenze­n des Bundes gibt es Absprachen zwischen den Bundesländ­ern. In der Kultusmini­sterkonfer­enz versuchen die zuständige­n Ministerie­n, die Abschlüsse vergleichb­arer zu machen.

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Foto: Armin Weigel, dpa Es gibt nicht ein deutsches Schulsyste­m, sondern 16 unterschie­dliche. Im Wahlkampf ist es ein umstritten­es Thema, ob der Bund wieder mehr Einfluss auf die Bildungspo­litik bekommen soll.

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