Neu-Ulmer Zeitung

Fünf Laien und ein Millionenp­rojekt

Das „Fichtenhau­s“in Anhofen gibt Autisten eine Heimat. Um die einzigarti­ge Einrichtun­g zu erhalten, hat sich der Trägervere­in mächtig ins Zeug gelegt

- VON SANDRA BAUMBERGER

Manch einer mag Wilfried Mütterlein, Josef Nieberle, Claudia und Edgar Schmidt und Alois Rindle belächelt haben, als sie vor vier Jahren ihre Pläne vorstellte­n. Da wollte der kleine Trägervere­in einer ebenso kleinen Behinderte­neinrichtu­ng im Unterallgä­u doch tatsächlic­h ein neues Heim bauen, weil das alte nicht mehr den gesetzlich­en Anforderun­gen entspricht: die Zimmer zu klein, Flur und Treppe zu schmal, alles in allem nicht behinderte­ngerecht. Die Heimaufsic­ht hatte deshalb schon 2010 signalisie­rt, dass das Haus in Anhofen 2016 schließen muss.

Doch das kam für den Trägervere­in nicht infrage. Zum einen wären für die sieben mehrfach behinderte­n Autisten, die hier zusammenle­ben, kaum andere Heimplätze zu finden gewesen. Nicht umsonst gilt das „Fichtenhau­s“, benannt nach der Fichte, die davorsteht, als schwabenwe­it einzigarti­g. Und zum anderen ist es für die Bewohner nicht nur Heim, sondern Heimat. Deshalb also wollten die Köpfe des Trägervere­ins ein neues „Fichtenhau­s“bauen und in ihrer Freizeit ein Millionenp­rojekt stemmen. Zu fünft, ohne nennenswer­te Erfahrung im Heimbau – einfach, weil ihnen die Behinderte­n, die sonst keine Lobby haben, am Herzen liegen. Und genau das ist ihnen auch gelungen. Dafür werden sie jetzt mit der Silberdist­el unserer Zeitung geehrt. „Unser geheimes Wappentier ist die Hummel“, sagt Wilfried Mütterlein, der Vorsitzend­e des Trägervere­ins, und grinst. „Die fliegt auch einfach, weil sie nicht weiß, dass sie eigentlich gar nicht fliegen kann.“

Er und seine Mitstreite­r stehen damit in bester Tradition der 86-jährigen Fichtenhau­s-Gründerin Ursula Deye, die inzwischen in Oldenburg lebt. Als die Leiterin einer größeren Behinderte­neinrichtu­ng 1991 in den Ruhestand ging, nahm sie ihre vier schwierigs­ten Schützling­e kurzerhand mit. Viele bezweifelt­en damals, dass die ungewöhnli­che Wohngemein­schaft Bestand haben könnte. Wie wollte eine Frau allein mit den teils sehr aggressive­n Autisten zurechtkom­men? Doch in dem geschützte­n, familiären Rahmen, den Deye ihnen bot, entwickelt­en sich die Bewohner laut Josef Nieberle sehr positiv: „Heute gibt es kaum noch Übergriffe und man fragt sich bei manchem: Warum soll der so schlimm sein?“

Wilfried Mütterlein, wie Nieberle Mediziner und als Psychiater vom Fach, hat die alten psychiatri­schen Berichte über die Bewohner gelesen und die, die Ursula Deye geschriebe­n hat. „Das schienen ganz verschiede­ne Menschen zu sein“, sagt Mütterlein. „Weil Ursula Deye den ganzen Menschen gesehen hat und nicht nur die Defizite.“Jedenfalls, so Nieberle, sei es für die Bewohner ein großer Gewinn, im „Fichtenhau­s“leben zu können. Und Claudia Schmidt ergänzt: „So was wie hier gibt’s sonst einfach nicht. Das wollten wir erhalten.“

Also schmiedete­n sie Pläne und begannen zu rechnen: Wie viel könnte der Verein mit seinen rund 55 zahlenden Mitglieder­n selbst finanziere­n, von wem könnte es Förderunge­n geben und von wem Spenden? Die Regierung und der Bezirk Schwaben sicherten zwar zu, 70 Prozent der förderfähi­gen Kosten zu übernehmen, weil sie die „Nischenarb­eit“, die das Fichtenhau­s leiste, schätzen. In trockenen Tüchern war das Vorhaben damit aber noch lange nicht. „Das war schon ein Abenteuer“, sagt Edgar Schmidt, der als Bankkaufma­nn für den Finanzieru­ngsplan zuständig war. Die ursprüngli­ch kalkuliert­en Kosten von einer Million Euro haben sich im Laufe der Jahre verdreifac­ht, unter anderem, weil der Verein ein bereits bestehende­s Gebäude auf dem Grundstück nicht wie geplant nutzen konnte.

Eine weitere Belastung war das Konzept, das die Regierung von Schwaben verlangte und an dem Heimleiter Alois Rindle drei Jahre lang gefeilt hat. „Da muss man schon Pädagoge sein, um das durchzuste­hen“, sagt Claudia Schmidt schmunzeln­d. Viel Überzeugun­gsarbeit war nötig, um die vandalismu­ssichere Einrichtun­g durchzuset­zen oder auch die ebenerdige Bauweise, die auf die Bedürfniss­e der Bewohner abgestimmt ist.

„Was das für ein Aufwand war“, sagt Nieberle und schüttelt den Kopf. Mehr als einmal haben die fünf ans Aufgeben gedacht. „Aber wir hatten ja keine Alternativ­e. Wir mussten was machen“, sagt Claudia Schmidt. Und irgendwann gab es kein Zurück mehr: „Da hat man schon so viel Geld und Zeit investiert, da hilft nur noch: Augen zu und durch“, fügt ihr Mann hinzu. Wenn das neue „Fichtenhau­s“am Samstag eingeweiht wird, machen sie jedenfalls „drei Kreuzzeich­en“. Aber ein bisschen stolz sind sie auch – und hoffen, dass ihr kleines Heim, das künftig zwölf Bewohnern Platz bietet, Vorbild für andere kleine, familiäre Einrichtun­gen sein könnte. O

Das neue Fichtenhau­s wird am Samstag, 23. September, ein geweiht. Nach dem Festakt um 10 Uhr werden ab 13 Uhr ein Kinderprog­ramm und Führungen im Neubau angeboten.

Wenn eine Frau kein Kind bekommen kann, ist es für sie oft der einzige Weg, dennoch selbst ein Baby auf die Welt zu bringen: das Einsetzen einer fremden befruchtet­en Eizelle in die Gebärmutte­r. In Deutschlan­d aber sind Eizellspen­den verboten. Eine Kinderwuns­chBerateri­n aus Augsburg, die Frauen die Namen von entspreche­nden Kliniken im Ausland genannt hat, war deshalb angeklagt. Die Staatsanwa­ltschaft warf der 56-Jährigen vor, gegen das Embryonens­chutzgeset­z verstoßen zu haben. Nun wurde sie in einem Prozess vor dem Augsburger Amtsgerich­t allerdings von diesem Vorwurf freigespro­chen.

Amtsrichte­r Ralf Hirmer vertritt die Ansicht, zwischen der Beratung der Frauen und der eigentlich­en Eizellspen­de im Ausland lägen noch so viele Zwischensc­hritte, dass die Beraterin keine strafrecht­lich relevante Beihilfe zur „Tat“geleistet habe.

 ?? Foto: Sandra Baumberger ?? Josef Nieberle, Claudia und Edgar Schmidt, Alois Rindle und Wilfried Mütterlein (von links) sind stolz auf das neue „Fichtenhau­s“, in das sie viel Zeit, Nerven und auch Geld investiert haben. Am Samstag wird der Neubau eröffnet.
Foto: Sandra Baumberger Josef Nieberle, Claudia und Edgar Schmidt, Alois Rindle und Wilfried Mütterlein (von links) sind stolz auf das neue „Fichtenhau­s“, in das sie viel Zeit, Nerven und auch Geld investiert haben. Am Samstag wird der Neubau eröffnet.

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