Weltliteratur aus Neapel?
Der dritte Band der neapolitanischen Saga von Elena Ferrante um die zwei Freundinnen Lila und Lenu hat Schwächen. Aber klug und unterhaltsam ist er dennoch
Weltliteratur, Teil drei. Elena „Lenu“Greco, die kluge Pförtnertochter, hat es hinaus in die Welt geschafft. Sie lebt in Florenz, knapp 500 Kilometer entfernt von Neapel, verheiratet mit einem jungen Professor aus einer angesehenen norditalienischen Familie, ihr erster Roman wird als Erfolg gefeiert. Ihre Freundin Lila hingegen hat sich von ihrem Ehemann getrennt, schuftet sich als Arbeiterin in einer Wurstfabrik die Finger blutig, kehrt abends in den Wohnsilo zum kleinen Sohn nach Hause. Einst Tür an Tür im gleichen Rione aufgewachsen, könnte der soziale Unterschied zwischen den Freundinnen nicht größer sein … Soweit zum ersten Zwischenstand, weil man den Überblick im Ferrante-Kosmos bei mittlerweile über 1500 Seiten ja auch leicht mal verliert. „Ich hatte mich tatsächlich davongemacht“, resümiert Elena, die erfolgreiche der beiden Heldinnen nun in Band drei, um jedoch im darauffolgenden Satz ihren Irrtum schon wieder einzugestehen. Flucht nämlich ist gar nicht möglich, gefangen ist auch sie in einer Kette mit immer größeren Gliedern: „Der Rione verwies auf die Stadt, die Stadt auf Italien, Italien auf Europa, auf den ganzen Planeten.“
Weltliteratur also. Von großer literaturgeschichtlicher Bedeutung. Der Hype um die neapolitanische Saga mag etwas abgeklungen sein, der neue Band aber kletterte nach Erscheinen sofort auf Platz eins der Bestsellerliste, und Superlative haf- ten der Tetralogie so fest an wie je. „Schallmauerdurchbrecher“schrieb die Zeit, Die Tageszeitung schwärmte vom „Jahrhundertepos“. Zumindest der Aufstieg in die Elite der literarischen Frauenfiguren scheint also beiden Frauen sicher: Elena und Lila in einer Reihe mit Madame Bovary oder Anna Karenina…
Dass Band drei, „Die Geschichte der getrennten Wege“, dem Etikett dann aber nicht gerecht wird, ist dennoch keine Enttäuschung. Wenn man den höchsten Maßstab anlegt, wirkt das Buch kleiner, als es ist. Spannend, süffig, intelligent – was für die Vorgänger gilt, gilt auch für Band drei, im Übrigen von Karin Ich hatte es übertrieben, hatte mich gezwungen, mir männliche Fähigkeiten anzueignen. Ich glaubte, alles wissen zu müssen ...“
Was Elena immer befürchtet, dass sie von den beiden die langweiligere, mittelmäßigere sei, kann man selbstverständlich als unberechtigte Selbstzweifel abtun. Wer eine Geschichte über so viele Jahrzehnte mit einem solchen Figurenreichtum und so viel Gespür für gesellschaftliche Stimmungen erzählen kann wie Elena, muss begabt, wenn nicht brillant sein. Aber wenn es eine Figur gibt, die neben Bovary und Karenina bestehen kann, dann ist eben doch eher ihre Freundin Lila, die sich selbst aus einer scheinbar ausweglosen Situation wieder befreien kann: Nachts, nach einem erschöpfenden Arbeitsalltag zwischen Schweinehälften und grapschenden Kollegen, studiert sie mit ihrem Freund „die Funktionsweise elektronischer Rechner“, lässt sich, um ihren Ehrgeiz endlich zu befriedigen, sogar mit dem Erzfeind ein: Michele Scolara, ein Boss der Camorra, der das Viertel beherrscht, wird zu ihrem Arbeitgeber, macht sie zur Chefin seines Lochkartenzentrums…
„Sie hatte ein bewegtes Leben, meines stand still“, muss Elena feststellen. In Florenz ist sie einsam, die Ehe entwickelt sich zum schlechteren, der zweite Roman will nicht gelingen: „Mir fiel nichts ein, was über ein duzend lahmer Seiten hinausging. Was also fehlte mir? Schwer zu sagen. Neapel vielleicht, der Rione…“Oder eben doch Lila, gehasst, geliebt, unverzichtbar. „Ich musste mich außerhalb von ihr akzeptieren. Das war der springende Punkt.“
Ferrante entwickelt so etwas wie ein Versuchslabor. Sie lässt zwei kleine Mädchen am gleichen Punkt starten, protokolliert die unterschiedlichen Lebenswege, das Fazit in beiden Fällen: Als Frau hat man es schwerer, im Italien der 70er Jahre ohnehin. Die Mutterschaft füllt Elena nicht aus, degradiert von ihrem Ehemann zur braven Hausfrau bleibt ihr auch die gesellschaftliche Teilhabe verwehrt: Von den Protesten der 68er-Bewegung an den Universitäten wird ihr Leben nur gestreift. Nur gelegentlich, wenn Elena „in Wörtern wühlt“, fühlt sie sich ein wenig lebendig. Aber wie schon Lila wird sich auch Elena in Band drei befreien, von gesellschaftlichen Zwängen, alten Denkmustern, nicht aber von der Blindheit der Liebe. Nino, Windbeutel, Wissenschaftler, einst angehimmelter Mitschüler, dann Lilas Liebhaber, taucht wieder auf. Und nun?
Auf diese Antwort werden die Leser nun noch mal ein halbes Jahr warten müssen, Band vier soll im Februar erscheinen. „Manchmal hatte ich den Eindruck, dass der Boden unter meinen Füßen – die einzige Oberfläche, auf die man bauen konnte – bebte.“So endet Band drei. Ein feiner, ein kluger Roman, ein Roman, den man mit Vergnügen und über seine Schwächen schnell hinweg liest. Gute Literatur eben, als ob das nichts wäre.
Es ist wohl die bisher umfangreichste Ausstellung deutscher Nachkriegskunst auf internationaler Bühne. Nie zuvor hat Peking eine derart große Schau deutscher Kunst erlebt. „Deutschland 8“bringt 320 Werke von 55 Künstlern aus sieben Jahrzehnten in die chinesische Hauptstadt. Die Kuratoren Walter Smerling von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur und Fan Di’an von der Hochschule der Bildenden Künste in Peking wollen mit der Ausstellung „dem Gütesiegel ,Made in Germany‘ eine neue Bedeutung geben“.
„Es war eine unglaubliche Herausforderung, diese Ausstellung zu organisieren“, erzählt Kurator Smerling. Das mehr als drei Millionen Euro teure Projekt in sieben Museen und einem Forum für „verbalen Austausch“zeigt, wie sich deutsche Kunst seit 1945 zu ihrer enormen Diversität entwickelt hat. Smerling ist wichtig, damit auch auf die Grundlagen für die staatlich geschützte Freiheit der Kunst in Deutschland zu verweisen, die in der Zeit des Aufbruchs nach dem Nationalsozialismus geschaffen wurden. „Kunst ist grundlegend für das Selbstverständnis einer Gesellschaft“, hebt Smerling hervor. „Als wesentlicher Ausdruck individueller Persönlichkeit ist sie – wie die Würde des Menschen – unantastbar.“Da in China diesbezüglich einiges im Argen liegt, wirkt es wie ein Hinweis, den verstehen will, wer mag.
Die bis 31. Oktober dauernde Ausstellung ist wie eine „deutsche Kunsthalle mit acht Abteilungen“über Peking verteilt. Abstrakte und informelle Kunst wie von K.O. Götz, Gerhard Hoehme oder Bernhard Schultze, die den Neuanfang nach 1945 symbolisieren, sind im Red Brick Museum vertreten. In der Kunsthochschule ist die größte Präsentation mit 17 Werken von Künstlern wie Stephan Balkenhol, Isa Genzken oder Martin Kippenberger zu sehen. Fotografie mit dem Schwerpunkt auf die Düsseldorfer Becher-Schule sind im Minsheng Art Museum vertreten, Video- und Medienkunst von Harun Farocki bis Marcel Odenbach zeigt das Today Art Museum.