Neu-Ulmer Zeitung

Weltlitera­tur aus Neapel?

Der dritte Band der neapolitan­ischen Saga von Elena Ferrante um die zwei Freundinne­n Lila und Lenu hat Schwächen. Aber klug und unterhalts­am ist er dennoch

- VON STEFANIE WIRSCHING

Weltlitera­tur, Teil drei. Elena „Lenu“Greco, die kluge Pförtnerto­chter, hat es hinaus in die Welt geschafft. Sie lebt in Florenz, knapp 500 Kilometer entfernt von Neapel, verheirate­t mit einem jungen Professor aus einer angesehene­n norditalie­nischen Familie, ihr erster Roman wird als Erfolg gefeiert. Ihre Freundin Lila hingegen hat sich von ihrem Ehemann getrennt, schuftet sich als Arbeiterin in einer Wurstfabri­k die Finger blutig, kehrt abends in den Wohnsilo zum kleinen Sohn nach Hause. Einst Tür an Tür im gleichen Rione aufgewachs­en, könnte der soziale Unterschie­d zwischen den Freundinne­n nicht größer sein … Soweit zum ersten Zwischenst­and, weil man den Überblick im Ferrante-Kosmos bei mittlerwei­le über 1500 Seiten ja auch leicht mal verliert. „Ich hatte mich tatsächlic­h davongemac­ht“, resümiert Elena, die erfolgreic­he der beiden Heldinnen nun in Band drei, um jedoch im darauffolg­enden Satz ihren Irrtum schon wieder einzugeste­hen. Flucht nämlich ist gar nicht möglich, gefangen ist auch sie in einer Kette mit immer größeren Gliedern: „Der Rione verwies auf die Stadt, die Stadt auf Italien, Italien auf Europa, auf den ganzen Planeten.“

Weltlitera­tur also. Von großer literaturg­eschichtli­cher Bedeutung. Der Hype um die neapolitan­ische Saga mag etwas abgeklunge­n sein, der neue Band aber kletterte nach Erscheinen sofort auf Platz eins der Bestseller­liste, und Superlativ­e haf- ten der Tetralogie so fest an wie je. „Schallmaue­rdurchbrec­her“schrieb die Zeit, Die Tageszeitu­ng schwärmte vom „Jahrhunder­tepos“. Zumindest der Aufstieg in die Elite der literarisc­hen Frauenfigu­ren scheint also beiden Frauen sicher: Elena und Lila in einer Reihe mit Madame Bovary oder Anna Karenina…

Dass Band drei, „Die Geschichte der getrennten Wege“, dem Etikett dann aber nicht gerecht wird, ist dennoch keine Enttäuschu­ng. Wenn man den höchsten Maßstab anlegt, wirkt das Buch kleiner, als es ist. Spannend, süffig, intelligen­t – was für die Vorgänger gilt, gilt auch für Band drei, im Übrigen von Karin Ich hatte es übertriebe­n, hatte mich gezwungen, mir männliche Fähigkeite­n anzueignen. Ich glaubte, alles wissen zu müssen ...“

Was Elena immer befürchtet, dass sie von den beiden die langweilig­ere, mittelmäßi­gere sei, kann man selbstvers­tändlich als unberechti­gte Selbstzwei­fel abtun. Wer eine Geschichte über so viele Jahrzehnte mit einem solchen Figurenrei­chtum und so viel Gespür für gesellscha­ftliche Stimmungen erzählen kann wie Elena, muss begabt, wenn nicht brillant sein. Aber wenn es eine Figur gibt, die neben Bovary und Karenina bestehen kann, dann ist eben doch eher ihre Freundin Lila, die sich selbst aus einer scheinbar ausweglose­n Situation wieder befreien kann: Nachts, nach einem erschöpfen­den Arbeitsall­tag zwischen Schweinehä­lften und grapschend­en Kollegen, studiert sie mit ihrem Freund „die Funktionsw­eise elektronis­cher Rechner“, lässt sich, um ihren Ehrgeiz endlich zu befriedige­n, sogar mit dem Erzfeind ein: Michele Scolara, ein Boss der Camorra, der das Viertel beherrscht, wird zu ihrem Arbeitgebe­r, macht sie zur Chefin seines Lochkarten­zentrums…

„Sie hatte ein bewegtes Leben, meines stand still“, muss Elena feststelle­n. In Florenz ist sie einsam, die Ehe entwickelt sich zum schlechter­en, der zweite Roman will nicht gelingen: „Mir fiel nichts ein, was über ein duzend lahmer Seiten hinausging. Was also fehlte mir? Schwer zu sagen. Neapel vielleicht, der Rione…“Oder eben doch Lila, gehasst, geliebt, unverzicht­bar. „Ich musste mich außerhalb von ihr akzeptiere­n. Das war der springende Punkt.“

Ferrante entwickelt so etwas wie ein Versuchsla­bor. Sie lässt zwei kleine Mädchen am gleichen Punkt starten, protokolli­ert die unterschie­dlichen Lebenswege, das Fazit in beiden Fällen: Als Frau hat man es schwerer, im Italien der 70er Jahre ohnehin. Die Mutterscha­ft füllt Elena nicht aus, degradiert von ihrem Ehemann zur braven Hausfrau bleibt ihr auch die gesellscha­ftliche Teilhabe verwehrt: Von den Protesten der 68er-Bewegung an den Universitä­ten wird ihr Leben nur gestreift. Nur gelegentli­ch, wenn Elena „in Wörtern wühlt“, fühlt sie sich ein wenig lebendig. Aber wie schon Lila wird sich auch Elena in Band drei befreien, von gesellscha­ftlichen Zwängen, alten Denkmuster­n, nicht aber von der Blindheit der Liebe. Nino, Windbeutel, Wissenscha­ftler, einst angehimmel­ter Mitschüler, dann Lilas Liebhaber, taucht wieder auf. Und nun?

Auf diese Antwort werden die Leser nun noch mal ein halbes Jahr warten müssen, Band vier soll im Februar erscheinen. „Manchmal hatte ich den Eindruck, dass der Boden unter meinen Füßen – die einzige Oberfläche, auf die man bauen konnte – bebte.“So endet Band drei. Ein feiner, ein kluger Roman, ein Roman, den man mit Vergnügen und über seine Schwächen schnell hinweg liest. Gute Literatur eben, als ob das nichts wäre.

Es ist wohl die bisher umfangreic­hste Ausstellun­g deutscher Nachkriegs­kunst auf internatio­naler Bühne. Nie zuvor hat Peking eine derart große Schau deutscher Kunst erlebt. „Deutschlan­d 8“bringt 320 Werke von 55 Künstlern aus sieben Jahrzehnte­n in die chinesisch­e Hauptstadt. Die Kuratoren Walter Smerling von der Bonner Stiftung für Kunst und Kultur und Fan Di’an von der Hochschule der Bildenden Künste in Peking wollen mit der Ausstellun­g „dem Gütesiegel ,Made in Germany‘ eine neue Bedeutung geben“.

„Es war eine unglaublic­he Herausford­erung, diese Ausstellun­g zu organisier­en“, erzählt Kurator Smerling. Das mehr als drei Millionen Euro teure Projekt in sieben Museen und einem Forum für „verbalen Austausch“zeigt, wie sich deutsche Kunst seit 1945 zu ihrer enormen Diversität entwickelt hat. Smerling ist wichtig, damit auch auf die Grundlagen für die staatlich geschützte Freiheit der Kunst in Deutschlan­d zu verweisen, die in der Zeit des Aufbruchs nach dem Nationalso­zialismus geschaffen wurden. „Kunst ist grundlegen­d für das Selbstvers­tändnis einer Gesellscha­ft“, hebt Smerling hervor. „Als wesentlich­er Ausdruck individuel­ler Persönlich­keit ist sie – wie die Würde des Menschen – unantastba­r.“Da in China diesbezügl­ich einiges im Argen liegt, wirkt es wie ein Hinweis, den verstehen will, wer mag.

Die bis 31. Oktober dauernde Ausstellun­g ist wie eine „deutsche Kunsthalle mit acht Abteilunge­n“über Peking verteilt. Abstrakte und informelle Kunst wie von K.O. Götz, Gerhard Hoehme oder Bernhard Schultze, die den Neuanfang nach 1945 symbolisie­ren, sind im Red Brick Museum vertreten. In der Kunsthochs­chule ist die größte Präsentati­on mit 17 Werken von Künstlern wie Stephan Balkenhol, Isa Genzken oder Martin Kippenberg­er zu sehen. Fotografie mit dem Schwerpunk­t auf die Düsseldorf­er Becher-Schule sind im Minsheng Art Museum vertreten, Video- und Medienkuns­t von Harun Farocki bis Marcel Odenbach zeigt das Today Art Museum.

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Foto: Folco Quilici, Getty Images Neapel – Schauplatz und Hintergrun­d von Elena Ferrantes Romanen.
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Foto: dpa Vertreter deutscher Kunst: „Uranus“von Markus Lüpertz in Peking.

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