Neu-Ulmer Zeitung

Macron brilliert. Wo bleibt Merkel?

Die Kanzlerin lobt den Elan des Franzosen – äußert sich aber nicht zu Inhalten. Aus einer Jamaika-Koalition könnten Querschüss­e kommen. Warum die FDP bremst

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Emmanuel Macron hat die Partie eröffnet, jetzt ist Angela Merkel am Zug. Nach der flammenden Europarede des französisc­hen Präsidente­n wird die deutsche Kanzlerin am Donnerstag bei einem Abendessen mit ihren EU-Kollegen in Estland gefragt werden, wie sie sich die Zukunft des Kontinents vorstellt. Einfach wird die Antwort nicht. Die CDU-Chefin ist nach der Bundestags­wahl geschwächt, und ihre möglichen Koalitions­partner in Berlin ziehen bereits rote Linien.

Macron hat bei seiner Grundsatzr­ede am Dienstag an der Pariser Universitä­t Sorbonne ein wahres Feuerwerk an Vorschläge­n und Initiative­n abgeschoss­en, die die träge, oft an sich selbst verzweifel­nde, aber auch irgendwie verschlafe­n-gemütliche EU von Grund auf ummodeln würden. Ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget, ein Milliarden­haushalt für die Eurozone, gemeinsame Schulden, gemeinsame Steuern, ein Finanzmini­ster, ein gemeinsame­s Asylamt, eine Innovation­sagentur – all dies schlägt Macron vor und garniert es mit ordentlich französisc­hem Pathos. „Haben wir keine Angst, gehen wir voran“, rief Macron den Europäern zu.

Merkel dürfte das alles nicht schmecken. Feinsinnig ließ sie ihren Sprecher am Mittwoch Elan und Leidenscha­ft des französisc­hen Staatschef­s loben, ließ aber inhaltlich alles offen. Auch in den vergangene­n Monaten, als Macron seine Leitthemen bereits anklingen ließ, machte die Kanzlerin im Wahlkampf bestenfall­s vage Andeutunge­n. Einen EU-Finanzmini­ster und einen Haushalt für die Eurozone schloss sie nicht aus. Aber Merkel wünschte sich erst eine ausführlic­he Debatte über die Kompetenze­n des Ministers. Und der Haushalt sollte eher klein ausfallen.

Inzwischen steuert Merkel auf eine Jamaika-Koalition zu. Während sich die Grünen europapoli­tisch offen geben, kommen von der FDP Querschüss­e: EurozonenH­aushalt? Keine Chance, postuliere­n die Liberalen. Das wäre aus ihrer Sicht eine Art europäisch­er Finanzausg­leich auf deutsche Kosten.

Doch Macron baut Druck auf. Schon Ende Januar will er mit Deutschlan­d einen erneuerten Freundscha­ftsvertrag schließen, quasi als moderne Karosse für den viel beschworen­en deutsch-französisc­hen Motor der Europäisch­en Union. Der junge Präsident bittet die erfahrene Kanzlerin neben sich auf den Beifahrers­itz – für Merkel eine ungewohnte Rolle.

Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) hat die Pläne Macrons zur Sicherheit­spolitik indes begrüßt. Sie freue sich, „dass er eine gemeinsame europäisch­e Strategie für den Verteidigu­ngs- und Sicherheit­sbereich einfordert, denn sie ist unabdingba­re Voraussetz­ung für eine handlungsf­ähige Verteidigu­ngsunion“, sagte sie am Mittwoch. „Über die Details müssen wir sicher reden, aber die Grundricht­ung ist eine gemeinsame.“

Ifo-Präsident Clemens Fuest dagegen hält nichts von einem euro- päischen Finanzmini­ster und eigenen EU-Steuereinn­ahmen. Der Wirtschaft­sforscher meint, es wäre wichtiger, für mehr Stabilität des Finanzsekt­ors zu sorgen und Haftung und Kontrolle in der Wirtschaft­sund Finanzpoli­tik wieder besser in Übereinsti­mmung zu bringen. Macrons Einladung zum Nachdenken über Europas Zukunft solle man jedoch annehmen.

50000 Flüchtling­e sollen in den kommenden zwei Jahren in den EU-Staaten neu angesiedel­t werden. Gleichzeit­ig drängt die Brüsseler Kommission darauf, dass in nächster Zeit geschätzte 1,5 Millionen Menschen ohne Asylanspru­ch in ihre Heimatländ­er zurückgefü­hrt werden. Mit diesen beiden Punkten will die EU-Behörde die festgefahr­ene Diskussion um die Lösung der Flüchtling­skrise wieder in Gang bringen. „Die Flüchtling­szahlen sind zurückgega­ngen. Das ist ein Erfolg“, sagte Kommission­svize Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. „Aber wir sind noch nicht am Ziel.“

Ohne Rücksicht auf Widerständ­e und politische Wahlergebn­isse besteht die EU-Kommission auf weiteren Fortschrit­ten. Dass Ungarn und die Slowakei sich bisher immer noch weigern, ihren Widerstand gegen ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes vom August aufzugeben, mit dem sie gezwungen werden, Hilfesuche­nden eine neue Heimat anzubieten, ficht die Kommission nicht an. Trotz dieses Boykotts wurden bisher 29 000 Menschen aus griechisch­en und italienisc­hen Aufnahmela­gern umgesiedel­t. Allerdings hätten die Mitgliedst­aaten 37 000 aufnehmen müssen.

Bei der Ansiedlung von Flüchtling­en können die Staaten mit finanziell­er Unterstütz­ung aus der Unionskass­e rechnen. 500 Millionen Euro sollen dafür bereitgest­ellt werden, 10 000 Euro pro neu angesiedel­tem Flüchtling.

Außerdem regt die Behörde an, in Abstimmung mit dem UN-Flüchtling­skommissar­iat Menschen aus libyschen

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Foto: Ludovic Marin, afp Nach seiner fulminante­n Rede in der Pariser Sorbonne wird Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron (rechts) stürmisch gefeiert. Eine Anhängerin streckt ihm voller Begeis terung die Hand entgegen. Im Berliner Kanzleramt löst der brillante Redner freilich...

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