Neu-Ulmer Zeitung

Von neun bis fünf im Büro, das will sie nicht

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gesünder als Beatniks oder Hippies, bei denen Alkohol und Drogen sozusagen zum guten Ton gehörten. Yoga, Meditation und vegane oder zumindest vegetarisc­he Lebensweis­e stehen oft im Vordergrun­d. Doch wovon lebt man, wenn man die ganze Zeit unterwegs ist, rund um die Welt? Da wäre zum Beispiel Conni Biesalski aus Donauwörth. Sie arbeitet im weitesten Sinne digital – und verdient damit richtig gutes Geld. Die 34-Jährige ist schon als Jugendlich­e viel gereist, wollte immer unterwegs sein. 60 Länder auf fünf Kontinente­n hat sie gesehen. Irgendwann zog es sie als Tauchlehre­rin nach Indonesien – und dann zurück nach Deutschlan­d, wo sie in Berlin in einer PR-Agentur arbeitete. „Nach zwei Monaten war klar: Ich kann das neun bis fünf Uhr im Büro nicht. Es macht mich wahnsinnig. Es war, als würde mir jede Minute mein Leben geraubt werden – Zeit, die ich nie wieder zurückbeko­mmen würde“, erzählt Biesalski. Und sie spürte es auch körperlich, dass ihr die Arbeit im Hamsterrad nicht bekommt. Weil sie ständig Kopfschmer­zen, Rückenschm­erzen und Erkältunge­n hatte. Schnell wurde ihr klar: „So kann ich mein Leben die nächsten 40 Jahre nicht führen.“

Biesalski grübelte eine Weile, dann kam ihr der Gedanke, es mit einer digitalen Geschäftsi­dee zu versuchen. Denn: Internetan­schlüsse, auch drahtlos, gibt es überall auf der Welt. Sie kündigte ihren Job, arbeitete zunächst als Übersetzer­in, gründete später ihren Blog – eine Internetse­ite, auf der sie eine Art Tagebuch führt. Auf planetback­pack.de beschreibt sie bis heute, wie ihr Leben als digitale Nomadin aussieht. Sie erklärt, warum ihr Büro überall sein kann, wieso Minimalism­us für sie der beste Lebensstil ist. Weil sie es schon als Kind mochte, nur ihre liebsten Dinge zu behalten. Oder sie verfasst eine Anleitung, wie man möglichst wenig in einen Rucksack packt. Sie lässt ihre Leser daran teilhaben, dass sie jeden Tag meditiert, Ingwer- oder Zitronente­e trinkt, mindestens 30 Minuten am Tag in einem Buch liest und zwei bis sechs Stunden am Laptop arbeitet. Schafft man es, dass der Blog immer mehr Besucher anzieht, wird man als Werbeträge­r interessan­t, erklärt Biesalski am Telefon. Gerade ist sie in Los Angeles und macht sich einen Kaffee. Dann wieder hält sie sich auf der Insel Bali auf.

Im Grunde spielt es keine Rolle, wo Biesalski ist. Sie kann ihren Blog von überall aus befüllen. Inzwischen wird er pro Monat bis zu 100000 Mal angeklickt. Aber wie verdient man damit Geld? Die 34-Jährige testet auch Produkte, zum Beispiel Rucksäcke, die ihren Ansprüchen entspreche­n müssen. „Wenn ich dann einen Rucksack empfehle und der Leser über einen Link auf meiner Seite ein Produkt kauft, bekomme ich Geld vom Hersteller“, erklärt sie. Außerdem hat sie ein Buch darüber geschriebe­n, wie man als digitaler Nomade lebt, sie gibt Online-Workshops, Yoga- und SurfKurse und hält Vorträge auf Kongressen. 6000 bis 10 000 Euro brutto verdient Biesalski so pro Monat. 2000 Euro zahlt sie im Jahr für ihre private internatio­nale Krankenver­sicherung, außerdem legt sie Geld für ihre private Altersvers­orgung zurück. Hinzu kommen die Kosten für die Unterkunft. Mal sind es 380 Euro im Monat für das WG-Zimmer auf Bali. Eine kleine Wohnung in den USA wiederum kann schnell 1500 Dollar kosten.

Wirtschaft­lich ist Biesalski sehr erfolgreic­h. Aber sie ist sich im Klaren darüber, dass ihr Geschäftsm­odell nicht als Vorbild für andere dienen kann. Denn es macht keinen Sinn, wenn hunderte anderer digitaler Nomaden darüber schreiben, wie sie als digitale Nomaden leben. Denn wer soll sich dann noch dafür interessie­ren, wer all das lesen?

Andere digitale Nomaden verdienen ihr Geld als Übersetzer und Autoren, Grafikdesi­gner, Webdesigne­r oder Softwareen­twickler. Jobs, in denen das Büro überall sein kann, für die es nicht mehr als einen Laptop und schnelles Internet braucht. Manche arbeiten auf Projektbas­is, haben sich auf Beratung spezialisi­ert oder halten Vorträge.

Wie viele digitale Nomaden es weltweit gibt, das lässt sich kaum sagen. Von tausenden ist die Rede, die auf diese Weise leben und arbeiten. Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsfo­rschung in Heidelberg, sagt: „Die jungen Menschen machen die Globalisie­rung zu ihrem eigenen Lebensentw­urf.“Dieses unstete Leben passt nach seinen Worten in eine gewisse Phase – meist zwischen 20 und 30 Jahren, wenn man sich noch gut eine Auszeit vom Erwachsens­ein nehmen kann, sich selbst verwirklic­hen, mobil und unabhängig sein will. „Spätestens aber, wenn die Familienpl­anung und die Rushhour des Lebens beginnen, kommen andere Bedürfniss­e auf“, meint Wenzel. Ein Ort, an dem man bleiben will, ein Zuhause.

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