In die Fenster seiner Suite hämmerte er zwei Löcher
Strip hochgeht und sich umdreht, kann man das Fünf-Sterne-Hotel viele Kilometer weit sehen. So weit konnte auch Paddock schauen, aus seiner erhöhten Position, mit seinen Zielfernrohren allemal.
Countrymusiker Jason Aldean steht auf der Bühne und singt sein letztes Lied dieses Abends: „When She Says Baby.“Da kommen aus der Richtung des Mandalay Bay Hotels Knall-Geräusche, die von den meisten der Zuschauer zuerst für harmlose Explosionen von Feuerwerkskörpern gehalten werden. Plötzlich brechen die ersten Menschen blutend zusammen. Aldean rennt von der Bühne, während sich die Zuschauer flach auf den Boden werfen oder geduckt zum Ausgang laufen. Das schlimmste Schusswaffen-Massaker der US-Geschichte hat begonnen. Am Ende werden 59 Menschen tot und über 500 weitere verletzt sein.
Auf dem Platz vor der Bühne gibt es kaum Deckung vor dem Kugelhagel. „Bleibt unten“, ruft ein Mann. Manche werfen sich auf ihre Kinder. „Sie sind 20, ich bin 53“, sagt ein Festivalgast. „Ich hatte ein gutes Leben.“Andere versuchen, über die Zäune des Festivalgeländes zu klettern, um sich in Sicherheit zu bringen. Polizeibeamte suchen Schutz hinter ihren Streifenwagen. Nicht alle entkommen den Schüs- sen. Bilder zeigen zwei Frauen, die zwischen Plastikbechern und Bierflaschen auf dem Boden liegen. Einer von ihnen rinnt Blut über die Beine. Augenzeugen berichten von Menschen, die ihre sterbenden Angehörigen in den Armen halten.
Im 32. Stockwerk des MandalayHotels, das nur durch eine Straßenkreuzung vom Festivalgelände getrennt ist, steht der 64-jährige Stephen Paddock am Fenster und schießt mit einem automatischen Gewehr auf die Menge unter ihm. Seine Opfer können das Mündungsfeuer seiner Waffe sehen, mehrere hundert Schüsse peitschen über den Platz. Zehn bis fünfzehn Minuten lang hätten die Schüsse angehalten, berichtet Konzertbesucherin Rachel de Kerf. „Wir rannten um unser Leben.“Mehrmals verstummen die Schüsse für eine etwa halbe Minute: Paddock lädt nach.
Unterdessen kommen Beamte eines Sondereinsatzkommandos der Polizei im 32. Stockwerk des Mandalay-Hotels an. Paddock schießt durch die Tür und verletzt einen Polizisten. Die Beamten sprengen die Tür auf, werfen eine Blendgranate und stürmen hinein. Doch Paddock ist tot. Nach Polizeiangaben hat er sich selbst erschossen.
Der Islamische Staat (IS) reklamiert den Massenmord schnell für sich. Doch die Ermittler haken es rasch als Trittbrettfahrerei der Islamisten ab; es gibt keine Hinweise auf irgendwelche Verbindungen des Täters zu den Extremisten in Syrien und Irak. Noch während die Toten gezählt und die Verletzten in den Krankenhäusern behandelt werden, beginnt eine heftige politische Diskussion um die Verschärfung des Waffenrechts. Die Polizei vermeidet es, Paddocks Massaker als „Terrorismus“zu bezeichnen, weil die Motive des Täters nicht bekannt seien. Auch Präsident Donald Trump, der sonst immer mit schnellen Verurteilungen zur Stelle ist, reagiert auffällig zurückhaltend und drückt den Opfern lediglich sein Mitgefühl aus. Er spricht von einer Tat des „reinen Bösen“.
Wer ist dieser Stephen Paddock, der ganz Amerika jetzt so viele Rätsel aufgibt? Ein „normaler, durchschnittlicher“Zeitgenosse sei er gewesen, sagt Christ Michel. Der Besitzer des Waffenladens „Dixie GunWorx“im US-Bundesstaat Utah hat dem Pensionär und Glücksspieler Paddock vor ein paar Monaten ein Gewehr verkauft. Der 64-Jährige habe seinen Laden mehrmals besucht – und dabei sei nichts Außergewöhnliches an dem Mann zu beobachten gewesen. Als Michel aus den Medien erfährt, dass Paddock fast 60 Menschen erschossen hat, kann er es nicht fassen. „Mir wurde ganz schlecht.“Und nicht nur der Waffenhändler fragt sich, was für ein Mensch Paddock war.
Selbst Paddocks Bruder Eric in Florida bringt den Mann, den er sein Leben lang kannte, nicht mit dem Massenmörder von Las Vegas zusammen. All das ergebe keinen Sinn, sagt Eric. Fest steht jedoch, dass Gewalt und Rechtsbruch zu den frühesten Erlebnissen der beiden Brüder gehörte. Ihr Vater Benjamin Paddock war ein Bankräuber, der 1968 aus dem Gefängnis ausbrach und sich damit einen Platz auf der Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher Amerikas verdiente. Die Polizei beschrieb Benjamin Paddock als „Psychopathen“.
Wenn auch Stephen Paddock seelisch krank war, dann hat er es vor seiner Umgebung geschickt versteckt. Für seinen Bruder und die meisten anderen Leute, die ihn kannten, war er ein erfolgreicher Geschäftsmann und wohlhabender Pensionär, der sich mit einigem Erfolg dem Glücksspiel und dem Video-Poker widmete. Geldnot hatte er offenbar nicht, sein Vermögen wird laut Medienberichten auf mehr als zwei Millionen Dollar geschätzt. Die Summe soll er mit Immobiliengeschäften verdient haben. In den letzten Jahren reiste der kinderlose Paddock im Land umher und verbrachte viel Zeit in Spielcasinos. Die Washington Post meldet, er habe bei seinen Reisen mehrere Millionen Meilen bei Vielflieger-Programmen der Fluggesellschaften zusammengetragen. Über mögliche Alkohol- oder Drogenprobleme oder Spielsucht ist nichts bekannt. Der Massenmörder führte das sorglose Leben eines reichen Mannes, der an seinem Lebensabend noch ein wenig Spaß haben will. Paddock besaß mehrere Häuser, wohnte aber häufig in Hotels wie dem Mandalay Bay, wo er sich am Donnerstag in der Suite 32135 einmietete. In insgesamt zehn Koffern schaffte er im Laufe der Tage mehr als 30 Pistolen und Gewehre in die 170-Quadratmeter-Suite, die aus mehreren Zimmern besteht.
Für die Ermittler, die nach dem Massaker die Motive des Täters ergründen wollen, ergibt sich ein Bild, dessen einzelne Bestandteile nicht zusammenpassen. In Paddocks Haus der Seniorensiedlung „SunCity“in Mesquite, rund 120 Kilometer nordöstlich von Las Vegas, fand die Polizei ein weiteres Waffenarsenal von rund 20 Schusswaffen und jeder Menge Munition. In seinem Auto stießen die Beamten auf Ammonium-Nitrat, das beim Bau selbstgebastelter Bomben benutzt wird. Paddock verheimlichte seine Waffensammlung so erfolgreich, dass selbst sein Bruder fragt: „Wie zum Teufel ist er an automatische Waffen gekommen?“
Laut Medienberichten könnte Paddock nicht nur ein Waffensammler gewesen sein, sondern auch ein erfahrener Experte. Offenbar gibt es Hinweise darauf, dass er einige frei erhältliche halbautomatische Sturmgewehre illegal zu automatischen Waffen umbaute, die selbst im Waffenland Amerika strengen Vorschriften unterliegen. Der Waffennarr mit genau geplanten Mordabsichten wirkte nach außen sehr zurückhaltend. Nachbarn beschreiben ihn als abweisend.
Paddock spielte Golf, besuchte Konzerte wie das, bei dem er am