Gebraucht wird ein Hebel, ein Kniff, eine Brechung
hat sich schon mancher brave Regisseur die Zähne ausgebissen. Weil er, wo „Wald“draufsteht, den dunklen Tann auch hegte – quasi als ein Fichtenkulturschützer.
Wer den „Freischütz“aber heute noch über dessen illustrative Märchenund Sagenhaltigkeit hinaus interessebindend inszenieren will, der braucht schon einen Hebel, einen Kniff, eine Brechung – zumindest eine dramatische Idee. Hinrich Horstkotte, der nun als Regisseur, Kostümbildner und Animator für den Augsburger „Freischütz“auserkoren war, brachte sogar zwei Kniffe mit. Zum einen präsentiert er noch während der Ouvertüre den Jägerburschen Max als einen Autoren, der an einer heraufziehenden dunklen Geschichte (in Sütterlin) webt und schreibt – und auch mythische Quellen studiert.
Und zum Zweiten, und das wird visuell durchgezogen bis zum Finale, hat es dieser Max mit sich selbst alles andere als leicht. In ihm, der sich – trotz Gewissensbissen – grausiger Mittel bedient, um Erfolg, Gewinn, Ansehen zu erzielen, stecken gleichsam mehrere Wesen, mehrere Elemente. Dieser Max leidet an Spaltungen, an Doppelgängern, an einem mehrgestaltigen Alter Ego. Der verführerische Jägerbursche Kaspar ist ein Ich von ihm („Bru- Samiel, der Dämon, ein zweites und eine von Horstkotte zusätzlich ins Spiel gebrachte Hexe wohl ein drittes. Max liegt – nicht zuletzt auch wegen des Dämons Alkohol – in ständigem Kampf mit diesen dunklen Identitäten und schwarzen Nebenmächten. Vollends zum changierenden Spiegel-, Verwirr- und Vexierbild gerät seine Persönlichkeitsspaltung in der Wolfsschluchtszene, die bei Horstkotte und seinem originellen Bühnenbildner Siegfried Meyer natürlich keine Naturdarstellung, sondern eine packende Seelenabgrundslandschaft im heimischen nächtlichen Schlafzimmer zeigt. Wer bin ich – und wenn ja wie viele?
Die wahnhaften Verstrickungen setzen sich fort, wenn Max zum entscheidenden Probeschuss ansetzt. Da fallen gleich viere um: Agathe und Kaspar natürlich, aber auch Agathes schlafwandelndes Alter Ego und Max selbst. Die Übermächte in Agathe und Max – Somnambulismus und Hasardeurhaftigkeit – scheinen nun erledigt und abge- schieden von dem sich wieder aufrappelnden Brautpaar, dem umgehend Bewährung auferlegt wird.
Doch auch eine solche Lösung des dramatischen Knotens bleibt Horstkotte letztlich noch zu eindimensional: Zum versöhnlichen C-DurSchlussakkord des Werks legt (sich) der kämpferische Max erneut an. Er nimmt den (nicht recht plausibel schwarz geschminkten) Eremiten auf Kimme und Korn – und dieser den Max. Der Wahn ist noch nicht aufgebraucht.
Alles in allem hat Horstkotte eine geistreiche, psychologisch verrätselte Inszenierung hingelegt, die den „Freischütz“gleichsam zur düsterobsessiven Geschwisteroper von „Hoffmanns Erzählungen“und deren bier- und weinseliger schwarzer Schauerromantik erklärt.
Wenn ihm dennoch kein Volltreffer gelang, er geschätzt nur sieben von zehn Ringen erzielte, dann lag das an den doch wieder recht konventionell geratenen Volksszenen, die mehr auf bajuwarische Trachten-Opulenz, auf Jauchzer und Jodderherz!“),