Missbrauch: Neu Ulmer muss in Haft
Landgericht Memmingen verurteilt 58-Jährigen wegen vielfachen Kindesmissbrauchs zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis sowie Alkoholentzug in geschlossener Therapie
„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich der Angeklagte in seinem letzten Wort. Der 58-jährige Neu-Ulmer hat durch Alkoholsucht schlimme sexuelle Taten begangen. Opfer waren Mädchen zur Tatzeit im Alter von neun bis elf Jahren, darunter seine eigene Tochter. Dafür muss er nun zwei Jahre und neun Monate in Haft – und zur Therapie in eine geschlossene Suchtklinik. Das sei seine letzte Chance, mit seinem bisher verkorksten Leben klar zu kommen, sagte der vorsitzende Richter Jürgen Hasler in der Urteilsverkündung. Der Missbrauch der eigenen Tochter und eines Mädchens aus der Nachbarschaft sei der Albtraum für die Eltern gewesen, so Hasler, aber auch für den Angeklagten, der immerhin die Taten gestanden habe. Entscheidender Punkt war das umfassende Geständnis des Angeklagten.
Am gestrigen dritten Prozesstag sagte unter anderem die frühere Ehefrau des Mannes aus. Seit der Heirat war es wegen des ständigen Alkoholkonsums immer wieder zu Streit gekommen. 2003 trennte sich Paar trotz zweier Kinder, einem heute 19-jährigen Bub und einer jetzt 15-jährigen Tochter. Bei mehreren Besuchen des Angeklagten am früheren gemeinsamen Wohnort in Baden-Württemberg kam es seit 2011 immer wieder zu sexuellen Übergriffen des Mannes an der Tochter. Davon fertigte der Täter auch noch Fotos an, die später auf seinem Computer entdeckt wurden. Außerdem hatte er dort zahlreiche kinderpornografische Fotos und sieben Videos gespeichert.
Noch gravierender war ein Vorfall im Jahr 2016, durch den die Ermittlungen erst ins Rollen kamen: Damals hat er in Neu-Ulm eine ebenfalls erst Neunjährige auf der Straße angesprochen und sie mit in seine Wohnung genommen, so die Anklage. Dort hätten die beiden zunächst am Computer gespielt, dann habe er das Mädchen über der Kleidung an ihrem Gesäß und ihrer Scheide berührt, allerdings ohne sie dabei unter Druck zu setzen. Eine Gerichtsmedizinerin berichtete über die Untersuchung der Kleidung des Opfers. Sie hatte an Leggings und Unterhose zwar verschiedene Anhaftungen gefunden, aber kein Sperma. Die DNA-Spuren wiesen allerdings eindeutig auf den Angeklagten hin. In der Verhandlung wurde außerdem die Videovernehmung der missbrauchten Tochter wiedergegeben, die am Amtsgericht Hechingen erfolgt war. Dabei schloss das Gericht die Öffentlichkeit aus.
Die Lebenssituation des Angeklagten ist eine Kette des Scheiterns: Der 58-Jährige kam als drittältestes von acht Kindern auf die Welt. Seine heute 94-jährige Mutter ist Alkoholikerin. Nach einer mehr schlecht als recht absolvierten Schulzeit ging der Mann zunächst als Junggehilfe zur Bahn, dann schaffte er im Straßenbau. Wegen seiner Alkoholprobleme verlor er den Arbeitsplatz. In der Familie habe er immer den Kopf hinhalten müssen, wenn seine Geschwister Mist gebaut hatten, beschrieb der Angeklagte seine desolate Kindheit. Immer wieder wurde ihm der Alkoholismus zum Verhängnis und nach der Scheidung rutschte er völlig ab.
Er wurde arbeits- und zeitweise sogar obdachlos. Sein Alkoholkonsum betrug anfangs noch bis sechs Flaschen, dann stieg er auf eine Kiste täglich, dazu Hochprozentiges wie Korn oder Wodka. „Die Unterdas suchungshaft hat ihnen wohl gutgetan“, meinte Richter Hasler, weil er so aus dem Milieu rauskomme. Der Angeklagte zeigte plötzlich starke Gefühlsregung und brach in Tränen aus. Mit dem Gesetz war er schon mehrfach in Konflikt gekommen. Vorstrafen für Trunkenheit im Verkehr, Schusswaffenbesitz in der Öffentlichkeit, Körperverletzung sowie missbrauchte Notrufe listete die Strafkammer auf.
Staatsanwalt Thomas Hörmann forderte eine Gesamtstrafe von drei Jahren sowie die Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt. Rechtsanwalt Thomas Weber sagte, sein Mandant stehe vor einem Scherbenhaufen und könne sich nicht erklären, wie es zu den Taten gekommen sei. Die letzte Möglichkeit wieder ins Leben zurückzukommen, sei die Therapie, für die der Angeklagte bereit sei. Der Anwalt stellte keinen eigenen Antrag für das Strafmaß. In einem Rechtsgespräch war ein Rahmen zwischen zwei Jahre und sechs Monate bis drei Jahre vereinbart worden. Das Urteil der Strafkammer fiel mit knapp drei Jahren dementsprechend aus. Die Untersuchungshaft von elf Monaten wird darauf angerechnet.