Leitartikel
Nach den radikalen Kräften geht endlich auch die „schweigende Mehrheit“auf die Straße. Aber noch ist der große Showdown nicht abgewendet
Wie hat sich das Bild auf den Straßen Barcelonas doch gewandelt: Statt der katalanischen Flagge mit ihren neun schmalen Streifen in Gelb und Rot dominiert bei den Demonstrationen am Samstag die Farbe Weiß. Jetzt melden sich in Katalonien und in ganz Spanien Menschen zu Wort, die auf Ausgleich und Dialog aus sind. Am Sonntag wird es dann zwar wieder rot-gelb-rot. Aber beim Aufmarsch hunderttausender Unabhängigkeitsgegner in Barcelona bestimmt die spanische Flagge die Szenerie, die in denselben Farben gehalten ist wie die katalanische. Beide Flaggen werden sogar nebeneinander getragen oder sind in Herzform verwoben – das ist ein starker Ruf nach Verbrüderung statt Spaltung.
Spätestens seit diesem Wochenende kann mit Fug und Recht niemand mehr behaupten, „die Katalanen“wollten die Abspaltung vom Königreich Spanien. Dieser Eindruck hatte sich bis vor kurzem noch aufgedrängt. Aber das Bild war oberflächlich. Denn fanatische Anhänger einer Idee, wie es Separatisten nun einmal oft sind, lassen sich naturgemäß leichter mobilisieren als die „schweigende Mehrheit“. Diese Menschen haben jetzt aber erkannt, dass sie aufstehen müssen, wenn sie nicht den radikalen Kräften das Feld überlassen wollen. Und sie haben es an diesem Wochenende eindrucksvoll getan.
Gleichzeitig macht sich bei Banken und Wirtschaftsunternehmen Panik breit: Aus Furcht vor dem Verlust von Kunden und Absatzmärkten verlegen sie ihre Zentralen aus Katalonien heraus. In einem unabhängigen Kleinstaat, der dann nicht mehr Mitglied der EU wäre, könnten national und international operierende Firmen nur verlieren.
Immer deutlicher zeigt sich, dass in Katalonien lediglich eine nationalistische Minderheit die Radikallösung einer Trennung von Spanien betreibt – ohne Rücksicht auf die Rechtslage und auf mögliche Konsequenzen. Beim Referendum eine Woche zuvor, das vom spanischen Verfassungsgericht für illegal erklärt worden war, hatten zwar 90 Prozent für die Autonomie votiert. Aber die Mehrheit war zu Hause geblieben. Dennoch will die Regionalregierung immer noch allen Ernstes die Unabhängigkeit der bisher leistungsstarken Region im Nordosten Spaniens erklären. Morgen nach einer Sitzung des Regionalparlaments könnte es so weit sein.
Kommt es dann, wie im Western, zum großen Showdown? Die Zentralregierung in Madrid will die Abspaltung jedenfalls nicht hinnehmen, und sie hat das Recht und die Verfassung auf ihrer Seite. Ministerpräsident Mariano Rajoy sagt: „Die Regierung wird sicherstellen, dass jede Unabhängigkeitserklärung zu nichts führen wird.“Doch recht haben und richtig handeln sind zweierlei. Wenn Spanien die Regionalregierung und das Parlament in Barcelona für abgesetzt erklärt, wird es wieder hässliche Szenen geben – wie schon beim übertrieben harten Polizeieinsatz gegen das Referendum. So kann keine vernünftige Lösung aussehen.
Beide Seiten müssen miteinander reden, direkt oder indirekt, auf jeden Fall möglichst schnell. Dazu bedarf es keiner internationalen Vermittlung. Aber es dürfen auch keine Vorbedingungen gestellt werden. Rajoy kann nicht erwarten, dass sein katalanischer Gegenspieler Carles Puigdemont zu Kreuze kriecht. Ebenso muss der Katalane auf die provokative Ausrufung eines eigenen Staates verzichten.
Ohne Dialog droht sowohl Spanien als auch Katalonien ein dramatischer Rückschlag. Spanien wird den Schwung verlieren, mit dem es sich gerade aus der jüngsten schweren Wirtschaftskrise befreit. Ein unabhängiges „Catalunya“dagegen stünde vor einem massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung und internationaler Isolierung. Zum Leitartikel „Was Macron wirklich will, ist nicht im deutschen Interesse“von Walter Roller am 6. Oktober: Wie wahr: Was Macron will, ist nicht im deutschen Interesse. Aber das Aufzählen von Schlagwörtern (Umverteilung, Zentralismus, Gleichmacherei) hilft da nicht weiter, zumal, wenn die Ursache der EU-Krise unerwähnt bleibt: der Euro. Die Einheitswährung, die für deutsche Verhältnisse unterbewertet ist, hat entscheidend zur Stärke unserer Wirtschaft beigetragen, anderen der Währungsunion beigetretenen Ländern geschadet. Herr Roller hat recht, wenn er von einem „Mangel an Wettbewerbsfähigkeit“spricht. Aber: Für Deutschland gilt das wegen des gerade Gesagten nicht, wohl aber für die EU-Länder im Süden und Osten. So kommt Griechenlands Wirtschaft trotz aller Anstrengungen nicht auf die Beine, weil seine Exporte zu teuer sind, der Versuch des Ausgleichs durch Lohnkürzungen, Einsparen von Personal Gift für die Binnenwirtschaft bedeutet… Merkels Spruch „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ist nicht nachvollziehbar. Europa wird scheitern, wenn es am gegenwärtigen Euro-Konstrukt festhält, das die Starken belohnt, die Schwachen dagegen bestraft.
Fischen Zu „Ein Doppelmord wegen 5000 Euro?“(Bayern) vom 5. Oktober: Wir fragen uns, warum Sie in allen Berichten über den Doppelmord in Neusäß mehrmals von dem „lesbischen“Paar sprechen? Warum können Sie nicht einfach von den Nachbarinnen oder von den Frauen im Nachbarhaus berichten. Die Lebensform der Frauen geht doch niemand etwas an und ist in dem Fall auch nicht relevant. Sie schüren dabei nur die Sensationslust bei den Menschen, die immer noch ein Brett vor dem Kopf haben und einer lesbischen Beziehung ablehnend gegenüberstehen.
Augsburg Zu „Kälbchen im Glück“(Die Dritte Sei te) vom 7. Oktober: Der Artikel deckt schonungslos auf, wie widersprüchlich der Mensch mit Tieren umgeht. Ich bin mir sicher, dass viele Leser angesichts dieser vier „Kälbchen im Glück“vor Rührung feuchte Augen bekommen. Wenn der Mensch einen Grund findet, diese unschuldigen und niedlichen Geschöpfe zu schonen, kann er sich plötzlich auf die Gabe der Gnade besinnen und die Rettung von ein paar Kälbchen als großzügige humanitäre Geste feiern.
Bei allen anderen genauso süßen Kälbchen kennt er jedoch kein Pardon. Man trennt sie nach der Geburt von ihrer verstörten Mutter, was zu Erkrankungen und Verhaltensstörungen führt. In der Kälbermast hält man sie durch Eisenmangel bewusst blutarm, damit ihr Fleisch schön hell bleibt, denn helles Fleisch gilt als Delikatesse. Nach dem Transport zum Schlachthof, bei dem auf ihre Bedürfnisse wenig Rücksicht genommen wird, werden sie erbarmungslos getötet, damit ihr Fleisch, das in Form und Aussehen nichts mehr mit einem süßen Kälbchen zu tun hat, genüsslich verzehrt werden kann. Das Schicksal dieser unglücklichen Kälbchen wäre eine Story wert. Aber solch unappetitliche Fakten will keiner lesen…
Memmingen Zu „WC Panne und Fliesen Pfusch“(Bayern) vom 6. Oktober: Alle Jahre wieder wird gebetsmühlenartig die bundesweite Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe angeprangert. Würde sich ein Politiker oder eine zuständige Amtsstube dafür interessieren, könnte so etwas gar nicht erst passieren. Würde sich die Masse der Bürger dafür interessieren, hätte sie schon längst entsprechend reagiert. Nachdem aber weder das eine noch das andere zutrifft, bleibt bis zum nächsten Bericht alles wie gehabt!
Aichach Zum Leitartikel „Auf nach Südkorea! Ein Boykott hilft nur Kim“von Milan Sako vom 5. Oktober: Vielen Dank, endlich einmal ein vernünftiger Kommentar zu der derzeitigen Panikmache in der europäischen Presse, von der sich einige junge, halb informierte Sportler leider anstecken lassen. Warum soll ein friedliches Drittland, nur weil es in der Nähe von Nordkorea liegt, darunter leiden, wenn sich Kim & Trump verbal attackieren? Südkorea ist und bleibt eines der sichersten Länder der Welt – keine Kriminalität, kein Islamterror. Daran ändern auch Raketentests 600 Kilometer weiter oder wirre Drohungen eines offenbar überforderten US-Präsidenten nichts.
Mannheim