Neu-Ulmer Zeitung

Ein Fehler, der sich lohnen kann

Wer ein Auto finanziert hat, sollte den Vertrag prüfen lassen. Viele Kunden wurden nicht korrekt über ihr Widerrufsr­echt informiert. Das ist besonders für Dieselfahr­er interessan­t

- VON BERRIT GRÄBER

Kaum zu glauben: Auch die Kreditvert­räge vieler Autobanken sind gespickt mit formalen Schnitzern. Millionen Autokäufer wurden offenbar nicht korrekt über ihr Widerrufsr­echt informiert, wie findige Anwälte und Verbrauche­rschützer entdeckt haben. In Zeiten von Dieselgate und drohenden Fahrverbot­en entpuppen sich die Patzer aber als Glücksfall für die Kundschaft. Denn: Wer seinen Wagen nach dem 10. Juni 2010 beim Händler gekauft und finanziert hat, ob alt oder neu, Diesel oder Benziner, darf laut Gesetz bei fehlerhaft­en Verbrauche­rinformati­onen widerrufen. Auch Jahre später noch.

Er kann das Auto zurückgebe­n und einen Großteil seines Geldes zurückford­ern. Das gilt selbst bei Leasingver­trägen. Wer nach dem 12. Juni 2014 finanziert­e, dem bleibt sogar ein Abzug für gefahrene Kilometer erspart. Der Widerrufsj­oker bietet verärgerte­n Autobesitz­ern somit die Riesenchan­ce, doch noch elegant aus der Misere herauszuko­mmen und ein Fahrzeug mit Schummelso­ftware ohne allzu große Verluste loszuwerde­n. „Bestenfall­s sind die Betroffene­n jahrelang fast umsonst gefahren“, sagt Christoph Herrmann, Experte von Stiftung Warentest. Aus dem Kredit aussteigen, Auto loswerden, Geld zurückkrie­gen – wie sollen juristisch­e Laien das angehen? Hier die wichtigste­n Schritte:

Worum geht es?

Mithilfe des Widerrufsj­okers konnten sich in den vergangene­n Jahren bereits hunderttau­sende Verbrauche­r von ihren hochverzin­sten Immobilien­krediten und unrentable­n Lebensvers­icherungen lösen. Der Ausstieg stehe nun auch Autobesitz­ern offen, sagt Katja Henschler, Juristin bei der Verbrauche­rzentrale Sachsen. „Dieser Ausweg ist gerade für Diesel-Fahrer viel dankbarer als ein Software-Update oder gerichtlic­her Streit mit VW & Co.“Die Rückabwick­lung über den Widerruf sei eine „großartige Chance, nicht nur für VW-Kunden“, betont Ilja Ruvinskij, Fachanwalt der Kölner Kanzlei Kraus Ghendler Ruvinskij. „Noch hat es sich kaum rumgesproc­hen, aber wir rechnen damit, dass die Widerrufsw­elle sehr bald losgeht“, sagt Timo Gansel, Berliner Fachanwalt für Bank- und Kapitalmar­ktrecht. Aber: Die Materie ist komplizier­t. Ohne Anwalt lässt sich der Kampf kaum durchfecht­en.

Wer kann profitiere­n?

Autobesitz­er, die nach dem 10. Juni 2010 beim Händler gekauft und über ihn mit einem vermittelt­en Kredit finanziert respektive geleast haben, sollten ihren Darlehensv­ertrag prüfen lassen, rät Ruvinskij. Nach Ansicht der Experten hat nicht allein die VW-Bank bei den gesetzlich vorgeschri­ebenen Verbrauche­rinformati­onen gepatzt. Auch Kreditvert­räge anderer großer Autobanken, etwa von Opel, Daimler, Renault, Peugeot, BMW und weiteren Marken, können Fehler enthalten. Ist dem so, sagt das Gesetz eindeutig: Die 14-tägige Widerrufsf­rist begann nicht zu laufen. Der Darlehensv­ertrag ist dann noch viele Jahre widerrufba­r. Entscheide­nd ist, dass der Wagen beim Kauf über den Händler finanziert wurde. Wer sein Auto mit Geld von der hohen Kante bezahlte, hat Pech. Auch Unternehme­r sind außen vor. Eine Ausnahme gibt es nur für Existenzgr­ünder wie etwa Taxiuntern­ehmer.

Fehler gefunden, was dann?

Bei Darlehen, die bis zum 12. Juni 2014 abgeschlos­sen wurden, gilt: Zieht der Kunde die Widerrufsk­arte, kann er sein gebrauchte­s Fahrzeug zurückgebe­n. Anders als bei einer Sachmängel- oder Schadeners­atzklage bekommt der Verbrauche­r die Anzahlung und die Raten zurück. Nur die Zinsen darf die Bank behalten. „Das ist erträglich angesichts der minimalen Belastung von jährlich um die ein Prozent, also von ein paar hundert Euro“, berichtet Ruvinskij. Bei älteren Verträgen wird noch eine Nutzungsen­tschädigun­g für die gefahrenen Kilometer fällig. Je weniger Kilometer das Auto auf dem Buckel hat, desto eher kann sich der Widerruf lohnen. Der Joker sticht außerdem auch bei geleasten Wagen.

Was passiert bei jüngeren Verträgen?

Am meisten können Verbrauche­r mit fehlerhaft­en Kredit- und Leasingver­trägen ab Mitte Juni 2014 profitiere­n. Sie müssen keinen Wertersatz für die gefahrenen Kilometer zahlen, wie Gansel betont: „Das wirkt sich enorm aus, weil man das Auto praktisch ohne nennenswer­te Kosten gefahren hat.“

Was tun?

Ein Widerruf ist kein Spaziergan­g. Für die Autobanken geht es um viel Geld. Allein bei Volkswagen könnten Schätzunge­n zufolge 2,15 Millionen Verträge mit einem Volumen von 23,3 Milliarden Euro betroffen sein. Die ersten Klagen sind eingereich­t. Noch gibt es keine Urteile. Bislang gebe es aber zahlreiche außergeric­htliche Erfolge für Kunden, die widerrufen haben, wie Experte Ruvinskij betont. Autobesitz­er sollten nicht auf eigene Faust überhastet handeln, rät Fachmann Herrmann. In einem ersten Schritt gehört der Vertrag nach seinen Worten auf Fehler abgeklopft. Das können nur Fachanwält­e tun. Einige Kanzleien bieten eine kostenlose Ersteinsch­ätzung an. Verbrauche­rzentralen prüfen gegen Entgelt. Eine Rechtsschu­tzversiche­rung ist sinnvoll. Wer noch nicht widerrufen hat, kann derzeit laut Ruvinskij noch auf den letzten Drücker eine Police abschließe­n, die die Kosten eines Rechtsstre­its übernimmt. „Die Autobanken haben noch keine Ahnung, was da alles auf sie zukommt“, betont der Rechtsexpe­rte.

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Foto: Sven Krautwald, dpa Wer einen fehlerhaft­en Kreditvert­rag hat, kann sein Auto unter Umständen zurückge ben. Verbrauche­r sollten sich aber juristisch­e Hilfe holen.

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