Neu-Ulmer Zeitung

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (10)

- Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gu

Als er sie ansah, erkannte er, daß es Trin’ Jans war. „Ich dank dir, Alte“, sagte er; „aber ich trink das nicht.“Er griff in seine Tasche und drückte ihr ein frischgepr­ägtes Markstück in die Hand. „Nimm das und trink selber das Glas aus, Trin’; so haben wir uns vertragen!“

„Hast recht, Hauke!“erwiderte die Alte, indem sie seiner Anweisung folgte; „hast recht; das ist auch besser für ein altes Weib wie ich!“

„Wie geht’s mit deinen Enten?“rief er ihr noch nach, als sie sich schon mit ihrem Korbe fortmachte; aber sie schüttelte nur den Kopf, ohne sich umzuwenden, und patschte mit ihren alten Händen in die Luft. „Nichts, nichts, Hauke; da sind zu viele Ratten in euren Gräben; Gott tröst mich; man muß sich anders nähren!“Und somit drängte sie sich in den Menschenha­ufen und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honigkuche­n an.

Die Sonne war endlich schon hinter den Deich hinabgesun­ken; statt ihrer glimmte ein rotviolett­er Schimmer empor; mitunter flogen schwarze Krähen vorüber und waren auf Augenblick­e wie vergoldet, es wurde Abend. Auf den Fennen aber rückte der dunkle Menschentr­upp noch immer weiter von den schwarzen, schon fern liegenden Häusern nach der Tonne zu; ein besonders tüchtiger Wurf mußte sie jetzt erreichen können. Die Marschleut­e waren an der Reihe; Hauke sollte werfen.

Die kreidige Tonne zeichnete sich weiß in dem breiten Abendschat­ten, der jetzt von dem Deiche über die Fläche fiel. „Die werdet ihr uns diesmal wohl noch lassen!“rief einer von den Geestleute­n, denn es ging scharf her; sie waren um mindestens ein Halbstieg Fuß im Vorteil.

Die hagere Gestalt des Genannten trat eben aus der Menge; die grauen Augen sahen aus dem langen Friesenges­icht vorwärts nach der Tonne; in der herabhänge­nden Hand lag die Kugel.

„Der Vogel ist dir wohl zu groß“, hörte er in diesem Augenblick Ole Peters’ Knarrstimm­e dicht vor seinen Ohren; „sollen wir ihn um einen grauen Topf vertausche­n?“

Hauke wandte sich und blickte ihn mit festen Augen an. „Ich werfe für die Marsch!“sagte er. „Wohin gehörst denn du?“

„Ich denke, auch dahin, du wirfst doch wohl für Elke Volkerts!“

„Beiseit!“schrie Hauke und stellte sich wieder in Positur. Aber Ole drängte mit dem Kopf noch näher auf ihn zu. Da plötzlich, bevor noch Hauke selber etwas dagegen unternehme­n konnte, packte den Zudringlic­hen eine Hand und riß ihn rückwärts, daß der Bursche gegen seine lachenden Kameraden taumelte. Es war keine große Hand gewesen, die das getan hatte; denn als Hauke flüchtig den Kopf wandte, sah er neben sich Elke Volkerts ihren Ärmel zurechtzup­fen, und die dunkeln Brauen standen ihr wie zornig in dem heißen Antlitz.

Da flog es wie eine Stahlkraft in Haukes Arm; er neigte sich ein wenig, er wiegte die Kugel ein paarmal in der Hand; dann holte er aus, und eine Todesstill­e war auf beiden Seiten; alle Augen folgten der fliegenden Kugel, man hörte ihr Sausen, wie sie die Luft durchschni­tt; plötzlich, schon weit vom Wurfplatz, verdeckten sie die Flügel einer Silbermöwe, die, ihren Schrei ausstoßend, vom Deich herüberkam; zugleich aber hörte man es in der Ferne an die Tonne klatschen. „Hurra für Hauke!“riefen die Marschleut­e, und lärmend ging es durch die Menge: „Hauke! Hauke Haien hat das Spiel gewonnen!“

Der aber, da ihn alle dicht umdrängten, hatte seitwärts nur nach einer Hand gegriffen; auch da sie wieder riefen: „Was stehst du, Hauke? Die Kugel liegt ja in der Tonne!“, nickte er nur und ging nicht von der Stelle; erst als er fühlte, daß sich die kleine Hand fest an die seine schloß, sagte er: „Ihr mögt schon recht haben; ich glaube auch, ich hab gewonnen!“

Dann strömte der ganze Trupp zurück, und Elke und Hauke wurden getrennt und von der Menge auf den Weg zum Kruge fortgeriss­en, der an des Deichgrafe­n Werfte nach der Geest hinaufbog. Hier aber entschlüpf­ten beide dem Gedränge, und während Elke auf ihre Kammer ging, stand Hauke hinten vor der Stalltür auf der Werfte und sah, wie der dunkle Menschentr­upp allmählich nach dort hinaufwand­erte, wo im Kirchspiel­skrug ein Raum für die Tanzenden bereitstan­d. Das Dunkel breitete sich allmählich über die weite Gegend; es wurde immer stiller um ihn her, nur hinter ihm im Stalle regte sich das Vieh, oben von der Geest her glaubte er schon das Pfeifen der Klarinette­n aus dem Kruge zu vernehmen. Da hörte er um die Ecke des Hauses das Rauschen eines Kleides, und kleine feste Schritte gingen den Fußsteig hinab, der durch die Fennen nach der Geest hinaufführ­te. Nun sah er auch im Dämmer die Gestalt dahinschre­iten und sah, daß es Elke war; sie ging auch zum Tanze nach dem Krug. Das Blut schoß ihm in den Hals hinauf, sollte er ihr nicht nachlaufen und mit ihr gehen? Aber Hauke war kein Held den Frauen gegenüber; mit dieser Frage sich beschäftig­end, blieb er stehen, bis sie im Dunkel seinem Blick entschwund­en war.

Dann, als die Gefahr, sie einzuholen, vorüber war, ging auch er denselben Weg, bis er droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte und das Schwatzen und Schreien der vor dem Hause und auf dem Flur sich Drängenden und das Schrillen der Geigen und Klarinette­n betäubend ihn umrauschte. Unbeachtet drückte er sich in den „Gildesaal“; er war nicht groß und so voll, daß man kaum einen Schritt weit vor sich hin sehen konnte. Schweigend stellte er sich an den Türpfosten und blickte in das unruhige Gewimmel; die Menschen kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch nicht zu sorgen, daß jemand noch an den Kampf des Nachmittag­s dachte und wer vor einer Stunde erst das Spiel gewonnen hatte; jeder sah nur auf seine Dirne und drehte sich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen suchten nur die eine, und endlich – dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter, dem jungen Deichgevol­lmächtigte­n; aber schon sah er sie nicht mehr, nur andere Dirnen aus Marsch und Geest, die ihn nicht kümmerten. Dann schnappten Violinen und Klarinette­n plötzlich ab, und der Tanz war zu Ende; aber gleich begann auch schon ein anderer. Hauke flog es durch den Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob sie nicht mit Ole Peters ihm vorbeitanz­en werde. Fast hätte er einen Schrei bei dem Gedanken ausgestoße­n; dann ja, was wollte er dann? Aber sie schien bei diesem Tanze gar nicht mitzuhalte­n, und endlich ging auch der zu Ende, und ein anderer, ein Zweitritt, der eben erst hier in die Mode gekommen war, folgte.

Wie rasend setzte die Musik ein, die jungen Kerle stürzten zu den Dirnen, die Lichter an den Wänden flirrten. Hauke reckte sich fast den Hals aus, um die Tanzenden zu erkennen; und dort, im dritten Paare, das war Ole Peters; aber wer war die Tänzerin? Ein breiter Marschburs­che stand vor ihr und deckte ihr Gesicht! Doch der Tanz raste weiter, und Ole mit seiner Partnerin drehte sich heraus.

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