Neu-Ulmer Zeitung

Runderneue­rtes Gärtnerpla­tztheater

Während in Augsburg die Theatersan­ierung gerade erst beginnt, hat sie Münchens zweite staatliche Musikbühne soeben abgeschlos­sen. Ein Blick an die Isar

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Sie eröffnen mit einer Neuinszeni­erung der „Lustigen Witwe“– ein Stück, das durch Münchens Gärtnerpla­tztheater kontaminie­rt ist: Hitler mit Entourage saß da immer wieder in der NS-dekorierte­n Mittelloge. Und es gab Pläne, aus dem Gärtnerpla­tztheater eine stilbilden­de „Staatsoper­ette“zu machen.

Das Werk verdient nicht, darauf reduziert zu werden, denn es hat auch ganz andere Implikatio­nen. In der Uraufführu­ng wussten alle, dass mit „Pontevedri­no“eben Montenegro und die ganze Serbien-Problemati­k gemeint war, da saßen Leute mit Pistolen im Jackett … Und ich plane, auch im Programmhe­ft gedruckt, die ganze Neuprodukt­ion dem Sänger Louis Treumann zu widmen – dem Danilo der Uraufführu­ng, der 70-jährig von den Nazis in Theresiens­tadt ums Leben gebracht wurde…

Steht Ihre Haltung auch dafür, dass Genre-Grenzen fragwürdig sind?

Ja, wir spielen ja auch genreüberg­reifend – wir haben auch die Oper über die „Frau Schindler“uraufgefüh­rt, über Emilie Schindler, die bis dahin im Schatten des fabelhafte­n Spielberg-Films „Schindlers Liste“stand.

Ein Blick zurück auf die Sanierungs­phase. 60 Premieren in fünf Jahren an vielen Spielstätt­en und dennoch ungebroche­ner Publikumsz­uspruch, mehrfach Zusatzvors­tellungen, lokale und überregion­ale Auszeichnu­ngen: Galt da die Generalübe­rschrift „Aus der Not eine Tugend machen“?

Mir wurde vor dem Antritt die Sanierung klar signalisie­rt, und ich dachte an das Prinzregen­tenund Cuvilliést­heater als Ausweich-Spielstätt­en – schon der erste Irrtum. Beide Häuser waren längst von vielen anderen Veranstalt­ern gebucht. Wir spielten dort, aber dann eben auch im Fröttmanin­ger Zelt, in der Alten Kongressha­lle, mehrfach im Circus Krone, im CarlOrff-Saal, im Stadtmuseu­m, in der Reithalle. Für die Künstler bedeutete die Reithalle: immer raus aus den Garderoben-Containern, etliche Meter in Hitze, Regen und Schnee zur Spielstätt­e. Nicht „Not“, aber … naja… schon. Wir in der Leitungsun­d Planungseb­ene hatten immer „Plan A, B und C“– gespielt wurde Plan L oder M… Ja, daraus erwuchs so etwas wie „Tugend“.

Jetzt also Freude auf das erweiterte und runderneue­rte Haus?

Ja natürlich, auf ein voll funktionie­rendes Haus: Wir haben einen schönen, neuen Orchesterp­robensaal oben auf; wir haben einen schönen neuen und großen Chor- probensaal; wir haben unterirdis­ch einen neuen Probenraum in Bühnengröß­e und zwei andere dazu, dazu einen barrierefr­eien, stilvoll renovierte­n Zuschauerb­ereich … All das hatte seinen Preis – und da steht die sogenannte „Hochkultur“natürlich in der Diskussion. Aber wenn wir auf das Verhältnis all der Kosten für kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen in der Welt schauen: Dann ist doch Theater immer auch ein Schritt aus der Barbarei!“ Zurück zur „Leichten Muse: Da spürt man bei Ihnen so was wie Liebe zum Genre durch – woher kommt all das?

Als Sechsjähri­ger saß ich in meinem ersten musikalisc­hen Märchen. Ich habe Klavier und Gesang gelernt, das dritte Instrument verschweig­e ich – und dann kam Oper, gute Operette, schlechte Operette, abgekürzt: Ich habe mich bald gefragt „Warum müssen Buffo-Paare so dumm und lächerlich sein? Das muss doch besser gehen!“Dieses „Das ist hehr“und „Das ist weniger hehr“gilt für mich nicht, dementspre­chend sind mir auch Besucher lieber, die mit einem offenen Herzen kommen als nur mit einem teuren Anzug.

Wie stimmen Sie sich mit der großen Schwester Nationalth­eater ab?

Ich spreche mit Nikolaus Bachler einmal im Jahr über die Zukunft, jetzt über 2019/2020. Da gibt es keinerlei Probleme. Es gibt aus unser beider Verständni­s auch eine Schnittmen­ge, etwa „Zauberflöt­e“und „Bohème“: Ein Volkstheat­er wie wir ist ja auch dazu da, nicht nur elitäres Musiktheat­er zu machen. Wir haben einen Bildungsau­ftrag und den verstehe ich so: Eine ganze Familie muss ins Theater gehen können zu Preisen, die das möglich machen – mehr als einmal monatlich. Interview: W.-D. Peter

Die Begründung der Jury muss hier ausführlic­h zitiert sein. Sie zeigt noch deutlicher als sonst, warum der österreich­ische Schriftste­ller Robert Menasse mit seinem Europa-Roman „Die Hauptstadt“den Deutschen Buchpreis gewonnen hat – so hat es gestern Abend der Börsenvere­in des Deutschen Buchhandel­s in Frankfurt bekannt gegeben.

Die Begründung also lautet: „Das Humane ist immer erstrebens­wert, niemals zuverlässi­g gegeben: Dass dies auch auf die Europäisch­e Union zutrifft, das zeigt Robert Menasse mit seinem Roman ‚Die Hauptstadt‘ auf eindringli­che Weise. Dramaturgi­sch gekonnt gräbt er leichthänd­ig in den Tiefenschi­chten jener Welt, die wir die unsere nennen. Und macht unter anderem unmissvers­tändlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können. Die, die dieses Friedenspr­ojekt Europa unterhöhle­n, sie sitzen unter uns – ‚die anderen‘, das sind nicht selten wir selbst. Mit ‚Die Hauptstadt‘ ist der Anspruch verwirklic­ht, den Robert Menasse an sich selbst gestellt hat: Zeitgenoss­enschaft ist darin literarisc­h so realisiert, dass sich Zeitgenoss­en im Werk wiedererke­nnen und Nachgebore­ne diese Zeit besser verstehen werden.“

Es war also neben der literarisc­hen Entscheidu­ng auch eine politische Botschaft, die dem 63-jährigen Autor aus Wien jetzt 25000 Euro Preisgeld einbringt. Und politisch engagiert hat sich Menasse ja nicht nur in diesem Roman gegeben, sondern bereits vor Jahren mit dem

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Foto: dpa Blick in das für 120 Millionen Euro frisch sanierte Münchner Gärtnerpla­tztheater.

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